Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Geschlossen nur gegen die anderen
Die AfD in Baden-Württemberg ringt um den Kurs – Parteimitglieder aus dem Land führen den Protest gegen die Bundesspitze an
STUTTGART - Wenn es gegen einen gemeinsamen Gegner geht, kann die AfD Geschlossenheit. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Partei zum Prüffall erklärt, die Führung hält das unisono für nicht gerechtfertigt. In Baden-Württemberg ist zu besichtigen, wie die AfD intern um den Kurs ringt. Der Richtungsstreit droht, die Landtagsfraktion erneut zu spalten. Das Verhältnis zwischen baden-württembergischer Parteispitze und der AfD-Jugendorganisation JA ist schwer belastet.
Im „Stuttgarter Aufruf“vom Herbst 2018 wenden sich Kritiker gegen Versuche der AfD-Führung, allzu extreme Mitglieder auszuschließen. Denn trotz aller Kritik am Verfassungsschutz: Eine Beobachtung will die Parteispitze nicht riskieren. Doch das sehen nicht alle an der Basis so. „Wir widersetzen uns allen Denk- und Sprechverboten innerhalb der Partei und zeigen allen Vorständen die Rote Karte, die sich an Machenschaften beteiligen, den Mitgliedern ihr Recht auf das freie Wort zu nehmen“, heißt es daher in dem Aufruf. Mittlerweile haben ihn mehr als 1200 Menschen unterzeichnet.
Es ist kein Zufall, dass der Appell in der baden-württembergischen Hauptstadt entstand und deren Namen trägt. Denn initiiert haben ihn zehn der 20 AfD-Abgeordneten im Landesparlament. Emil Sänze (Rottweil) oder Christina Baum (MainTauber-Kreis) halten es für falsch, gegen Mitglieder wie den Kehler Stefan Räpple oder Wolfgang Gedeon (Singen) vorzugehen. Gegen beide hat die AfD-Parteiführung Ausschlussverfahren eingeleitet. Sie wirft Räpple parteischädigendes Verhalten vor, Gedeon Antisemitismus. Ein erster Versuch, ihn wegen judenfeindlicher Schriften auszuschließen, war zunächst gescheitert. Und das, obwohl sich Bundeschef Jörg Meuthen für einen Rauswurf Gedeons starkgemacht hatte. Viele AfDler mögen es nicht, wenn ihnen von oben etwas nahegelegt wird.
Die Meinungsfreiheit halten sie hoch in der Partei, in der man nach Vorstellung vieler alles sagen darf, was nicht gegen Grundgesetz oder das Strafgesetzbuch verstößt. „Quoten nützen nur unqualifizierten, dummen, faulen, hässlichen und widerwärtigen Frauen“etwa, ein Zitat von Heiner Merz. Oder dass eine türkischstämmige Landtagspräsidentin nicht das Recht habe, für die übrigen Deutschen zu reden. O-Ton Sänze: „Sie wird hier aber nie voll integriert sein qua ihrer Herkunft“.
Die Initiatoren des „Stuttgarter Aufrufs“halten Rauswürfe von Parteifreunden für einen Kotau vor einer aus ihrer Sicht falsch verstandenen politischen Korrektheit. Es geht ihnen aber auch um Inhalte. So stehen mindestens Christina Baum und der umstrittene Stefan Räpple der „Identitären Bewegung“(IB) nahe. Sie wird vom Verfassungsschutz beobachtet – unter anderem, weil sie Verschwörungstheorien von einer angeblich geplanten „Umvolkung“verbreitet. Die AfD verbietet Mitgliedern per Beschluss, mit der IB zu kooperieren. Allerdings gibt es immer wieder Hinweise, dass sich daran nicht alle in der AfD halten. Mehrere Fraktionsmitarbeiter engagierten sich zumindest in der Vergangenheit für die IB oder die NPD.
Wegen ihrer Verbindungen zur IB beobachtet der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg seit 2018 die „Junge Alternative“(JA) im Land. Zahlreiche Mitglieder sind seither ausgetreten. Geblieben ist Reimond Hoffmann, Mitarbeiter der AfD im Landtag und ehemaliger Bundestagskandidat für Rottweil und Tuttlingen. Er ist Landes-Vize der JA. Der AfD-Landesvorstand fordert von der JA, ihn und sechs weitere JA-Mitglieder bis Donnerstag auszuschließen.
Hoffmann weist die Vorwürfe zurück: „Die Behauptungen über mich und meine angeblichen Verbindungen zur IB sind nicht richtig. Der Vorstand der Landespartei wollte da Kraft zeigen“, sagte er am Mittwoch.
Landeschef Marc Jongen erklärte zum weiteren Vorgehen: „Wir warten den Donnerstag ab und beurteilen die Situation auch mit Blick auf die neuen Gegebenheiten“– also die bekannt gewordene Prüfung der AfD durch den Verfassungsschutz. Jongen betont: „Wir versuchen, in Baden-Württemberg genauso wie im Bund, die Partei auf einen Kurs zu bringen, der die AfD zur Volkspartei führt. Mitglieder wie Herr Räpple behindern nicht nur diesen Kurs, sie verstoßen mit ihren Positionen auch gegen die Grundsätze der Partei.“
Unterstützung erhält Jongen von Mitgliedern der Landtagsfraktion. Harald Pfeiffer (Böblingen), Klaus Dürr (Herrenberg), Daniel Rottmann (Ehingen) und Lars Patrick Berg (Tuttlingen) stellten sich öffentlich gegen den Kurs jener Kollegen, die den „Stuttgarter Aufruf“unterzeichnet haben. Der Streit unter den Abgeordneten geht so weit, dass Mitarbeiter eine Spaltung der Fraktion fürchten. 2016 gab es diese bereits nach dem Streit um antisemitische Schriften von Wolfgang Gedeon. Nun bangen die Angestellten wieder um ihre Jobs. „Niemand kann sagen, wie das ausgeht“, heißt es.