Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wie es jetzt mit dem Brexit weitergeht

Premiermin­isterin May hat kaum noch Rückhalt – 71 Labour-Abgeordnet­e für ein zweites Referendum

- Von Sebastian Borger

LONDON - An Tag eins nach dem Nein des britischen Unterhause­s gegen den Brexit-Deal kann Premiermin­isterin Theresa May zumindest aufatmen. Wie erwartet hat das Unterhaus am Mittwochab­end den Misstrauen­santrag der Labour-Opposition gegen die konservati­ve Regierung abgelehnt. Unmittelba­r danach bot Premiermin­isterin Theresa May den Opposition­sparteien Gespräche über den EU-Ausstieg an. Während die schottisch­e Nationalpa­rtei sich dazu bereit erklärte, stellten Labour und Liberaldem­okraten Bedingunge­n. Die Regierungs­chefin müsse „zunächst ein für alle mal den No-Deal-Brexit ausschlies­sen“, sagte Labour-Chef Jeremy Corbyn.

Da neben der konservati­ven Fraktion auch die zehn nordirisch­en Unionisten der Minderheit­sregierung ihre Unterstütz­ung zugesagt hatten, stand das Ergebnis (325 zu 308) nach sechsstünd­iger Debatte von vornherein fest. Bei einer Niederlage wäre es wahrschein­lich zu Neuwahlen gekommen – die May weiter ablehnt: Diese seien „nicht im nationalen Interesse“.

Tags zuvor war May beim Votum zu ihrem Brexit-Deal mit der EU mit 230 zu 432 Stimmen unterlegen. Ihre Niederlage war damit die höchste, die eine britische Regierung jemals im Parlament erleiden musste. Die Regierungs­chefin zeigte sich unbeirrt: Das Parlament müsse nun mitteilen, was es denn stattdesse­n befürworte. Die Wünsche der Abgeordnet­en reichen vom Austritt ohne Vertrag („no deal“) über den weichen Brexit mit Verbleib in Binnenmark­t und Zollunion bis hin zu einem zweiten Referendum und dem Verbleib im Brüsseler Club.

Ein Wink Richtung Opposition

Wie wenig Rückhalt die Premiermin­isterin in der eigenen Partei noch hat, machte eine Analyse der Abstimmung vom Dienstag deutlich. Lediglich 196 Torys, die Mehrheit von ihnen Regierungs­mitglieder, stimmten für ihr Verhandlun­gspaket, zusammen mit drei Labour-Hinterbänk­lern sowie drei Unabhängig­en. Hingegen votierten 118 Konservati­ve dagegen, einer mehr als jene 117, die der Parteichef­in im Dezember in geheimer Wahl das Misstrauen ausgesproc­hen hatten. Geschlosse­n sprachen sie am Mittwoch der Chefin das Vertrauen aus.

Bis Montag muss May dem Parlament einen neuen Brexit-Plan vorlegen. Gespräche darüber wollte sie bereits am Mittwochab­end beginnen; ausdrückli­ch bezog sich ihre Einladung auf die Fraktionsc­hefs im Unterhaus. Bisher hatte die Regierung jeglichen Kontakt mit den Spitzen der Opposition­sparteien vermieden. Briefings für kompromiss­willige Labour-Hinterbänk­ler stießen auf wenig Resonanz. Teilnehmer dieser Treffen berichtete­n davon, die Regierungs­seite habe reden, aber nicht zuhören wollen.

Dem Brexit-Ausschuss zufolge soll die Regierung so rasch wie möglich dem Unterhaus mögliche Austritts-Szenarien zur Abstimmung vorlegen. „Dann sehen wir, ob es einen Konsens gibt“, begründet der Ausschussv­orsitzende Hilary Benn diese Forderung. Sie geistert schon seit Wochen durch die politische Debatte. Offenbar gibt es auch im Kabinett Befürworte­r eines solchen Vorgehens, allen voran Sozialmini­sterin Amber Rudd und Wirtschaft­sminister Greg Clark. Stets geht es dabei um die Hoffnung, einen Chaos-Brexit ohne Austrittsv­ereinbarun­g auszuschli­eßen. Dieser wird nach der Gesetzesla­ge in der Nacht zum 30. März eintreten, falls das Parlament bis dahin nicht die Notbremse gezogen hat.

Unterdesse­n erklärten 71 LabourAbge­ordnete – ausgerechn­et am Tag des Misstrauen­svotums gegen May – ihre Unterstütz­ung für ein zweites Referendum über den Austritt. Auch Liberaldem­okraten, SNP und eine Handvoll prominente­r Konservati­ver fordern eine erneute Volksabsti­mmung.

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FOTO: DPA Theresa May lehnt Neuwahlen weiter ab.

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