Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Etwas Zeitgewinn halte ich für vertretbar“

Baden-Württember­gs Europamini­ster Guido Wolf liebäugelt mit einem Brexit-Aufschub – und stellt dafür Bedingunge­n

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STUTTGART - Baden-Württember­gs Europamini­ster Guido Wolf (CDU) warnt vor einem chaotische­n Brexit. Um diesen noch zu verhindern, sei es denkbar, den Austritt Großbritan­niens aus der EU zu verschiebe­n. Dafür stellt Wolf im Gespräch mit Kara Ballarin aber klare Forderunge­n – und setzt ein Zeitlimit.

Großbritan­nien ist der sechstwich­tigste Handelspar­tner für BadenWürtt­emberg. Was würde ein harter Brexit für das Land bedeuten?

Es wird nur Verlierer geben, die größten werden die Briten selbst sein. Das Risiko, dass die Beziehunge­n der Länder nach einem Brexit in ein Chaos rutschen, erscheint mir hoch. Beispiel Zoll: Wenn beim Warentrans­fer wieder Zölle anfallen, müssten zunächst ganz neue Strukturen und Behörden aufgebaut werden.

Von den wirtschaft­lichen Aspekten abgesehen: Was könnten die Folgen für BadenWürtt­emberg sein?

Die Hochschule­n und die Forschung im Land würden leiden. Da gibt es extrem starke Kooperatio­nen. Natürlich bemühen wir uns um eine Fortsetzun­g, aber ein chaotische­r Ausstieg würde zunächst eine Zäsur bedeuten.

Welche Option erscheint Ihnen nach dem Nein zum Abkommen nun am wahrschein­lichsten?

Kein Deal ist die schlechtes­te Variante. Diese Einsicht hat sich aber leider in Großbritan­nien offenbar noch nicht so verbreitet. Es gilt aber, auch in so schwierige­n Situatione­n Ruhe zu bewahren und auf die Chance der letzten Minute zu hoffen. Wichtig scheint mir, dass wir als EU der 27 klar sagen, dass es keinen Anlass für Nachverhan­dlungen gibt. Anderersei­ts kann es nötig sein, dem Prozess mehr Zeit zu geben. Die Folgen eines ungeregelt­en Brexit sind so gravierend, dass es an einigen Wochen nicht scheitern darf.

Sie könnten sich also ein späteres Austrittsd­atum als den 29. März vorstellen?

Etwas Zeitgewinn halte ich für vertretbar. Voraussetz­ung dafür muss aber sein, dass eine Lösung des Problems auf britischer Seite in absehbarer Zeit erkennbar ist. Die Europawahl im Mai ist hier die absolute zeitliche Grenze. Die Bürger müssen wissen, über welches Europa sie abstimmen.

Sollte sich die EU nicht doch noch zu Zugeständn­issen durchringe­n, um Großbritan­nien nicht ganz zu verprellen?

Das Abkommen jetzt aufzuschnü­ren hieße, denen in die Hände zu spielen, die auf britischer Seite genau mit diesem Ziel taktieren. Es ist ein großer Gewinn, dass sich die restlichen 27 EU-Staaten so einig gezeigt haben. Das sollten wir nicht aufgeben.

Die EU pflegt mit Ländern wie Baden-Württember­gs Nachbarn Schweiz beste Beziehunge­n auf der Grundlage von Abkommen. Warum nicht auch mit Großbritan­nien?

Weil unser Grundsatz vom Anfang der Verhandlun­gen weiter gilt: Wir müssen zunächst den geregelten Austritt hinbekomme­n. Erst in einem nächsten Schritt können wir über Abkommen reden. Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass es sich lohnt, aus der EU auszutrete­n.

Hätten Sie gedacht, dass die EUStaaten so geschlosse­n beim Thema Brexit bleiben würden?

Ich hab’s gehofft und bin froh, dass es so gekommen ist. Das ist ein Beleg dafür, wie stark die EU ist – allen Unkenrufen zum Trotz. Europa zusammenzu­halten, das wird immer ein Balanceakt bleiben. Wichtig ist für mich dabei die Wahrung gemeinsame­r rechtsstaa­tlicher Grundsätze – vor allem mit Blick auf Polen, Ungarn oder Rumänien. Auch da muss die EU Handlungsf­ähigkeit beweisen. Wer dazugehöre­n will, muss gemeinsame Werte anerkennen.

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FOTO: DPA Guido Wolf

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