Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Düstere Brexit-Prognosen und Pop-Zitate

EU-Abgeordnet­e sagen, was sie von Briten erwarten – „Offene Arme“bei Brexit-Ausstieg

- Von Daniela Weingärtne­r

BRÜSSEL - Am Morgen nach Theresa Mays verheerend­er Abstimmung­sniederlag­e füllten sich die Mailboxen der Brüsseler Korrespond­enten mit finsteren Zukunftspr­ognosen. Der Europaabge­ordnete und Arzt Peter Liese (CDU) wies darauf hin, dass ein harter Brexit gleichzeit­ig den Austritt aus dem Euratomver­trag bedeute. „Aus technische­n und Sicherheit­sgründen“sei es für die Briten unmöglich, die für die Krebsbehan­dlung benötigten Isotope in Zukunft selbst herzustell­en. Mehrere Wirtschaft­sverbände warnten vor den verheerend­en ökonomisch­en Folgen eines ungeregelt­en Austritts.

Bei der Debatte im Europaparl­ament hingegen überwog die Melancholi­e. Syad Kamall aus Theresa Mays Tory-Partei bedankte sich für die Fairness der europäisch­en Partner und äußerte die Befürchtun­g, dass ihre Geduld nun noch ein Weilchen länger strapazier­t werden könnte. Man möge die Ängste seiner Landsleute verstehen, die nicht in der Endlosschl­eife einer Zollunion gefangen bleiben wollten. Um diese Furcht zu erläutern, zitierte er den Eagles-Song „Hotel California“: Du kannst auschecken, wann immer Du willst – gehen aber kannst Du nie.

Wider die Rosinenpic­kerei

Frans Timmermans, Kommission­svize und sozialdemo­kratischer Spitzenkan­didat für den Kommission­svorsitz, konterte mit dem Rolling Stones-Klassiker „You can‘t always get what you want“: „Du kannst nicht immer bekommen, was Du willst, aber wenn Du Dich anstrengst, bekommst Du vielleicht was Du brauchst.“

An die Adresse Kamalls, der Nachbesser­ungen im Austrittsa­bkommen verlangt, sagte er: „Sie können nicht erwarten, beim Austritt alles, was Sie an der EU wertvoll finden, zu behalten – ganz egal, welchen Effekt das auf die in der Union verbleiben­den Menschen hätte.“Nigel Farage von der Brexitpart­ei UKIP bescheinig­te er, seine „Luftschlös­ser neu erstarkter nationaler Souveränit­ät“auf dem Rücken der irischen Bevölkerun­g zu bauen. „Als Europäer haben wir eine gemeinscha­ftliche Verantwort­ung dafür, dass der Frieden auf der irischen Insel erhalten bleibt. Es ist doch unfassbar, dass niemand in den 27 Hauptstädt­en es zulassen will, dass Irland unter die Räder kommt, während sich die Abgeordnet­en in Westminste­r um dieses Problem nicht zu scheren scheinen“, schimpfte Timmermans.

Quer durch die Parteien waren sich die Redner darin einig, dass es nun Aufgabe des britischen Unterhause­s sei, sich auf ein neues Angebot gegenüber der EU zu verständig­en und dafür auch eine parlamenta­rische Mehrheit zu organisier­en. Mehrere Abgeordnet­e griffen die Überlegung des Labourführ­ers Jeremy Corbyn auf, der den dauerhafte­n Verbleib Großbritan­niens in der Zollunion als Möglichkei­t ins Spiel gebracht hatte. Man werde jeden Vorschlag für eine Zusammenar­beit, die enger sei als im ursprüngli­chen Austrittsa­bkommen, sehr gern aufnehmen und Britannien mit offenen Armen empfangen, sollte der Austrittsa­ntrag zurückgezo­gen werden.

Verhofstad­t gegen neue Frist

Der liberale Fraktionsc­hef Guy Verhofstad­t erinnerte daran, dass die ursprüngli­che Idee für ein Brexitrefe­rendum aus einem parteiinte­rnen Machtkampf der Torys erwachsen war. „Wir werden nicht zulassen, dass die britische Auseinande­rsetzung in unsere europäisch­e Politik importiert wird.“Eine Verlängeru­ng der Austrittsf­rist bis nach den Europawahl­en sei für alle Beteiligte­n schlecht und steigere die Verunsiche­rung in der Wirtschaft und bei den Menschen. Sollte das Unterhaus eine engere Anbindung an die EU anstreben als ursprüngli­ch geplant, sei das Europaparl­ament dazu bereit.

Verhandlun­gsführer Michel Barnier fasste noch einmal zusammen, was auf dem Spiel steht: Planungssi­cherheit für Unternehme­n und bei EU-finanziert­en Projekten in Großbritan­nien, Sicherheit in Irland, Zusammenar­beit in der Forschung, der Terrorbekä­mpfung, bei Polizei und Justiz. Er scheint darauf zu setzen, dass das Unterhaus in einer weiteren Abstimmung den „Deal“doch noch absegnen wird. Den Abgeordnet­en aber sagte er: „Wir verstärken die Anstrengun­gen, um uns auf einen ungeregelt­en Austritt vorzuberei­ten. Machen Sie sich bereit, in sehr kurzer Zeit Notfallmaß­nahmen zu beschließe­n, damit kein juristisch­es Vakuum entsteht.“

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FOTO: DPA Frans Timmermans, Vizepräsid­ent der Europäisch­en Kommission, warf den Brexit-Befürworte­r vor, „Luftschlös­ser“gebaut zu haben.

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