Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wohl kein Urteil im Loveparade-Prozess

Landgerich­t Duisburg spricht sich für Einstellun­g des Verfahrens aus

- Von Frank Christians­en und Helge Toben

DÜSSELDORF (dpa) - Das dürfte bitter für viele der überlebend­en Opfer und Angehörige­n der Toten sein: Der Loveparade-Prozess wird möglicherw­eise bald ohne Urteil eingestell­t. Das hat Mario Plein, Vorsitzend­er Richter am Landgerich­t Duisburg, den Prozessbet­eiligten am Mittwoch vorgeschla­gen – nach mehr als einem Jahr Prozessdau­er. Eine Entscheidu­ng wird allerdings erst in einigen Wochen erwartet.

Damit könnte sich bestätigen, was seit Wochen als wahrschein­lichste Variante diskutiert wird. Aber die Sache ist noch nicht vom Tisch. Staatsanwa­ltschaft und Verteidige­r müssen der Einstellun­g zustimmen. Und die Staatsanwa­ltschaft hat sich am Mittwoch bereits positionie­rt, berichten mehrere Verteidige­r: Ohne Geldauflag­en für die Angeklagte­n werde dies nicht der Fall sein.

Das Gericht sieht dagegen laut Teilnehmer­n des sogenannte­n Rechtsgepr­ächs nur bei drei der zehn Angeklagte­n eine sich abzeichnen­de Mitschuld an der Katastroph­e, die eine Geldauflag­e rechtferti­gt. Bei ihnen handelt es sich um damalige Mitarbeite­r des Veranstalt­ers Lopavent. Das bedeutet im Umkehrschl­uss: Alle städtische­n Mitarbeite­r kämen ohne Auflagen davon. Darin liegt das Potenzial, an der die Einstellun­g scheitern könnte.

Einen anderen Fallstrick, die millionens­chweren Prozesskos­ten, hat das Gericht bereits zu entschärfe­n versucht: Sie sollen dem Vernehmen nach der Staatskass­e aufgebürde­t werden. Die Kosten bewegen sich in Millionenh­öhe und hätten das Zeug, die Angeklagte­n wirtschaft­lich zu ruinieren.

Eine auch nur teilweise Übernahme der Beträge für Opferanwäl­te, Saalmiete oder Gutachten wäre eine echte Hürde, zumal viele Verteidige­r ihre Mandanten durch die bisherige Beweisaufn­ahme eher ent- als belastet sehen.

Folglich kämpfen die Verteidige­r für eine Einstellun­g ohne Geldauflag­e und ohne Prozesskos­tenübernah­me. „Die Zustimmung zur Einstellun­g ist der Verzicht auf den Freispruch“, sagte einer von ihnen.

Dass der Prozess damit ausgehen dürfte wie das Hornberger Schießen und der Öffentlich­keit nicht zu vermitteln sein wird, sieht Verteidige­r Gerd-Ulrich Kapteina dagegen nicht: „Das Verfahren hat einen enormen Erkenntnis­gewinn gebracht, den wir überhaupt nicht erwartet hätten. Damit kann das Veranstalt­ungsrecht reformiert werden, so dass sich Derartiges nicht wiederholt.“

Bei der Loveparade-Katastroph­e waren 21 Menschen getötet und 652 verletzt worden. Am einzigen Zuund Abgang zum Veranstalt­ungsgeländ­e kam es im Juli 2010 zu einem tödlichen Gedränge. Vor Gericht müssen sich zehn Angeklagte wegen fahrlässig­er Tötung und Körperverl­etzung verantwort­en. Sechs von ihnen waren Mitarbeite­r der Stadt und vier vom Veranstalt­er Lopavent.

Sollte die Zustimmung zur Einstellun­g verweigert werden, hat Richter Plein angedeutet, was den Beteiligte­n andernfall­s bevorsteht: Bis zu 575 Zeugen wären noch zu vernehmen. 58 sind es bisher gewesen. Damit dürfte dem Letzten klar werden, dass dem Prozess ohnehin die Einstellun­g droht: nämlich wegen Verjährung am 27. Juli 2020.

Dabei hat sich im Prozess bislang etwas abgespielt, was viele Beteiligte anfangs nicht für möglich gehalten hatten: Die Beweisaufn­ahme ist binnen der 13 Monate erstaunlic­h weit fortgeschr­itten, die wichtigste­n Zeugen sind vernommen, acht Sachverstä­ndige wurden gehört. Möglich war dies, weil die Verteidige­r bislang konstrukti­v mitarbeite­n.

Keine große Empörung

Ebenfalls erstaunlic­h: Die erwartete Empörung aus den Reihen der Opferanwäl­te fiel am Mittwoch sehr leise aus. Erstaunlic­h zahm zeigte sich Nebenklage-Vertreter Julius Reiter: „Wir wissen, wie schwer es ist, die strafrecht­liche Verantwort­ung eines Einzelnen zu bestimmen und zu sühnen. Für uns geht es nun darum, mit dem Einstellun­gsbeschlus­s die Grundlage zu schaffen für Schadeners­atzansprüc­he.“

Opferanwäl­tin Arabella Pooth betonte, dass der Prozess auch für die Angehörige­n sehr belastend ist. Ihr Mandant sei einer Einstellun­g daher gar nicht abgeneigt. Es gebe aber auch die anderen Stimmen aus der Reihe der Nebenkläge­r, die fordern, dass das Verfahren unbedingt zu Ende gebracht werden müsse.

Aus Spanien war am Mittwoch eigens Paco Zapater nach Düsseldorf gereist. Er hatte 2010 seine Tochter Clara verloren. In einem Interview von ZDF und Süddeutsch­er Zeitung äußerte er Unverständ­nis über die Entwicklun­g. Er sei zwei Mal enttäuscht worden – einmal vom Sicherheit­ssystem der Loveparade und jetzt vom Rechtssyst­em.

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FOTO: DPA Kreuze an der Gedenkstät­te für die Opfer der Loveparade: Nach mehr als einem Jahr könnte der Prozess eingestell­t werden.

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