Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Hier werden Getriebe auf Herz und Nieren geprüft
ZF hat beim Forschungs- und Entwicklungzentrum des Konzerns für 70 Millionen Euro ein neues Prüfgebäude errichtet
Kostenrahmen eingehalten, früher fertig als geplant, kein Stress mit den Nachbarn – mancher Bauherr guckt sicher neidisch auf ZF und das jüngste Bauprojekt des Konzerns in Friedrichshafen: das Getriebeprüfzentrum. Das 70-Millionen-Euro-Objekt steht aber nicht nur für moderne und effektive Bauplanung, sondern vor allem für den Wandel des Standorts am Bodensee in Richtung Hightech und Entwicklung.
Wer aus Lindau mit dem Auto nach Friedrichshafen fährt, der kann es nicht übersehen: das neue Prüfzentrum beim FEZ (Forschungs- und Entwicklungszentrum) von ZF. Offiziell wird das Gebäude Ende Februar eröffnet, der Betrieb läuft aber bereits seit Beginn des Jahres. Herzstück des Hauses auf einer Grundfläche von 5500 Quadratmetern sind die Getriebeprüfstände im Erdgeschoss. Dort können ZF-Ingenieure aus dem FEZ und der Entwicklungsabteilung der Division Pkw-Antriebstechnik neue Produkte auf Herz und Nieren testen. In einer Laborsituation, klar, aber unter durchaus realen Bedingungen in einem simulierten Fahrzeugantriebsstrang. Zehn mal zehn Meter groß sind die Prüfstände in der Regel; der zugehörige Aufspannrost, auf den die Prüftechnik montiert wird, ist 36 Tonnen schwer. Dessen spezielle, aufwändige Luftfederung soll Messungenauigkeiten verhindern. „Von der Komponente bis zum Gesamtantriebsstrang können wir alles im Prüfzentrum prüfen“, sagt Dr. Michael Ebenhoch, Entwicklungsleiter der ZF-Division Pkw-Antriebstechnik.
Laufzeit: zwölf Wochen
Wenn der Prüfbetrieb läuft – im Schnitt dauert so eine Untersuchung etwa zwölf Wochen – darf sich kein Mitarbeiter im Prüfstand aufhalten. Durch eine dicke Glasscheibe allerdings lässt sich beobachten, was im schall- und abgasgedämmten Raum passiert. Wichtiger allerdings ist das, was die zahlreichen Computer hinter der Scheibe an Messdaten ausspucken. Vor allem damit arbeiten die Ingenieure, um ihre Getriebe noch effizienter, noch leiser, noch präziser zu machen. „Im Vordergrund steht die Dauerlauferprobung. Im Prüfzentrum können wir den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeuggetriebes in nur drei Monaten simulieren“, sagt Michael Ebenhoch.
Für den Einbau der Prüfstände, der im August 2018 begonnen hat, war übrigens das Geschäftsfeld Prüfstandstechnik zuständig, das am ZFStandort Passau angesiedelt ist. Die Kollegen aus Niederbayern, die solche Systeme auch an andere Firmen verkaufen, hatten sich in einer offenen Ausschreibung beworben und den Zuschlag erhalten, berichtet Andreas Auer, der für die Bauabteilung des Konzerns das Prüfzentrum im Blick hat.
Platz für einen Lkw
In den größten Prüfstand könnte man übrigens auch die komplette Zugmaschine eines Lastzuges fahren. Im Zwischengeschoss sind Batteriesimulatoren für die Energieversorgung von Elektro- und Hybridantrieben eingebaut, deren Leistung noch erweitert werden kann. Damit können die Prüfboxen die gesamte Energiezufuhr für ein Fahrzeug simulieren – gleich aus welcher Energiequelle. Das ermöglicht auch zukunftsweisend das Prüfen von Elektround Hybridantrieben.
Jeder verbrennungsmotorische Prüfstand ist laut Auer mit einer hochmodernen Abgasreinigungsanlage verbunden. Benötigt wird die im Moment nur an zwei Stellen, weil die übrigen neuen Anlagen derzeit elektrisch betrieben werden. Bei Bedarf könnte die Zahl der Prüfstände im Gebäude um elf erhöht werden.
Überhaupt ist das ganze Gebäude sehr flexibel geplant. Wände können bei Bedarf versetzt, sogar Stockwerke zusammengelegt werden. So könnte dort zum Beispiel eine bis zu zwölf Meter hohe Halle entstehen. Dieser Kniff ist eine Erklärung für die hohe Flexibilität und Wandelbarkeit des Gebäudes, aber auch für seine Kosten. Auch die Tatsache, dass jeder Quadratmeter eine Traglast von drei Tonnen aushält, trage dazu bei, sagt Andreas Auer. Das Haus mit einer Brutto-Grundfläche von rund 22 000 Quadratmetern steht auf 190 Pfählen, die 33 Meter tief in den Boden getrieben werden mussten. Die Baukosten betragen 50 Millionen Euro, die eingebaute Technik schlägt mit rund 20 Millionen Euro zu Buche. Unterm Strich: 70 Millionen Euro, so viel wie ursprünglich geplant. Die Inbetriebnahme ging sogar drei Monate vor dem Plandatum über die Bühne.
Für diese Punktlandung sei auch das Prinzip des „Lean Construction Management“verantwortlich, meint Auer. Man verzichtete auf einen Generalunternehmer und band die einzelnen Handwerksfirmen vor Ort sehr direkt und eng in die Abläufe auf der Baustelle ein. Gesteuert wurde das Projekt von einem Container am Rande der Baustelle. Über einfache Stecktafeln wurden alle Bauarbeiten der nächsten Wochen verzeichnet. Jeder wusste, wer wann woran arbeitet. Offene Besprechungen waren an der Tagesordnung. „Das System hat sich total bewährt“, sagt Auer.
Im Jahr 2012 begannen die Planungen für das Prüfzentrum, 2014 wurde das sogenannte „Komm“-Gebäude am Rande des FEZ abgerissen, das ZF vor allem als Lager für die historische Sammlung diente.
Anfang 2016 starteten die Bauarbeiten für das neue Gebäude, das rund 18 Meter hoch ist plus vier Meter für einen Technikaufbau in der Mitte des Flachdaches. Der Kamin des Prüfzentrums ist 33 Meter hoch.
15 000 Kubikmeter Beton und 3500 Tonnen Stahl wurden verbaut. Rund
150 ZFler werden dort arbeiten. „Im Prüfzentrum sind supermoderne und hochattraktive Arbeitsplätze entstanden, das gilt auch für die Montage der Getriebeprototypen, eine Aufgabe, für die wir sehr erfahrene Monteure benötigen“, so Michael Ebenhoch.
See- und Bergsicht inklusive
Neben den Getriebe-Prüfständen im Erdgeschoss, dem Keller und dem Technikgeschoss darüber, die fast vollständig mit Heizung, Wasserzuund -ableitungen, Abgasreinigung, Kühlung, Lüftung und Stromversorgung belegt sind, finden sich im neuen Gebäude aber noch weitere wichtige Funktionen. So wurden ganz oben Montagearbeitsplätze (mit See- und Bergsicht, übrigens) geschaffen, für die zu prüfenden Getriebe, aber auch für die ebenfalls im Haus befindlichen, nicht ganz so aufwändigen Prüfstände für Steuergeräte, die die Schaltzentrale von Automatikgetrieben sind. Weil Getriebe und Steuerungen in sehr vielen Varianten entwickelt und gebaut werden, ist die Montagefläche mit 5500 Quadratmetern ausreichend dimensioniert. Die zahlreichen Einzelteile werden dort unter anderem in großen Blechschränken mit mobilen Regalen gelagert, Paternoster genannt.
Zudem gibt es noch eine mechanische Werkstatt, in der einzelne Teile bearbeitet werden. Und im Erdgeschoss befindet sich seit Kurzem auch der zentrale Warenein- und -ausgang für das FEZ plus zugehöriger Lagerfläche.
Weil im Getriebeprüfbetrieb viel Wärme entsteht, sind die Themen Kühlung und Entlüftung von großer Bedeutung. In die Luft geheizt wird an der Stelle übrigens nicht: Ein Pufferspeicher von 70 Kubikmetern nimmt die Abwärme auf. Von dort kann sie dann bei Bedarf ins Heizungsnetz des Prüfzentrums zurückgespeist werden.
Kein Ärger mit den Nachbarn
Sehr positiv sei während der Bauzeit das Verhältnis zu den unmittelbaren Nachbarn gewesen. „Es gab im Grunde keine Beschwerden“, sagt ein ZFSprecher. Dazu beigetragen haben sicher eine Bürgerinformation zum Projekt und die Tatsache, dass ZF von allen umliegenden Gebäuden vor Baubeginn eine Bestandsaufnahme gemacht hat. Die Aufzeichnungen könne man jederzeit zurate ziehen, wenn es Hinweise auf mögliche Bauschäden gebe. Bisher sei das, so der Sprecher, aber noch nicht nötig gewesen.