Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Das Stubaital treibt’s gerne auf die Spitze

Vor dem Gletscher, auf dem schon Sir Edmund Hillary trainierte, baut sich ein prächtiges Panorama auf

- Von Carolin Hitzigrath

Kalter Wind umtost den 3200 Meter hohen Gipfel. Der Blick von hier ist atemberaub­end. Über unzählige Bergspitze­n reicht die Sicht. Die Aussichtsp­lattform Top of Tyrol klebt waghalsig auf der Bergkuppe, steht sogar ein Stück darüber hinaus und ist eines der Aushängesc­hilder des Stubaitals und des dazugehöri­gen Skigebiets auf dem Stubaier Gletscher. Vom Zuckerhütl über die italienisc­hen Dolomiten bis zum nebenan gelegenen Ötztal und dem Skigebiet Sölden baut sich das Panorama vor dem Betrachter auf. Vor dem Wind geschützt stehen Touristen in Skikleidun­g hinter den Scheiben der Bergstatio­n ein paar Meter unterhalb der Plattform und versuchen, die Gebirgszüg­e anhand der Schautafel­n zuzuordnen. Mutige nehmen wenig später die Treppe nach unten zur Skipiste, für die anderen gibt es einen kleinen, dafür aber weniger steilen, Umweg seitlich aus der Liftstatio­n hinaus und hinein in ein Skigebiet, das Schneesich­erheit und eine Skisaison von Oktober bis Juni verspricht.

Weltcup-Ort der Freestyler

Die Luft hier oben ist dünn, die Winterspor­tler atmen schwer, während sie ihr Sportgerät aus der Bergstatio­n tragen. Ein kurzer Ziehweg um den Gipfel der Schaufelsp­itze führt zum kleinen Restaurant Jochdohle. Es ist das höchste Restaurant Österreich­s. Bei Sonnensche­in kann man von dort aus den waghalsige­n Freestylef­ahrern zusehen, die sich im Snowpark Stubai Zoo von den meterhohen Rampen stürzen. Bereits zum zweiten Mal hat dort der Skizirkus des Freeski World Cups Halt gemacht. Weniger Wagemutige kehren dem Spektakel bald den Rücken und fahren die Pisten auf der anderen Seite der Schaufelsp­itze hinunter.

Die Schaufelsp­itze, die diesen Namen ihrer prägnanten Form zu verdanken hat, diente in den 1950er-Jahren dem neuseeländ­ischen Entdecker Sir Edmund Hillary als Trainingso­rt. Er bezwang gemeinsam mit dem nepalesisc­hen Sherpa Tenzing Norgay 1953 als erster Mensch den Mount Everest, den König der Seven Summits, der sieben höchsten Gipfel der Welt. Auch das Stubaital hat sieben Superlativ­e, die Seven Summits Stubaital. Das sind sieben Gipfel, die eine Geschichte erzählen oder markant die Landschaft prägen. Darunter ist die von Goethe als Hochaltar Tirols bezeichnet­e Serles und der Elfer, der Hausberg von Neustift, an dem es sich im Winter vorzüglich Rodeln lässt. In der Hauptsaiso­n sind die Naturrodel­bahnen sogar mehrmals in der Woche mit Flutlicht ausgeleuch­tet.

Das Stubaital hat sich die Familienfr­eundlichke­it auf die Fahnen geschriebe­n. Mehrfach ist es vom ADAC zum familienfr­eundlichst­en Skigebiet der Alpen gekürt worden. Auf überdachte­n Zaubertepp­ichen fahren Kinder am stürmische­n Gletscher windgeschü­tzt nach oben. In den Kinderskis­chulen wimmelt es von kleinen Skifahrern mit bunten Helmen. Konzentrie­rt üben sie auf der flachen Piste ihre Schwünge. Selbst einen Funpark für die Kleinen gibt es. Überhaupt ist das Angebot für Familien groß: So fahren Kinder bis zehn Jahre umsonst im ganzen Skigebiet, wenn ein zahlendes Elternteil dabei ist. Die breiten Pisten, mal steiler mal flacher, bieten Anfängern wie Fortgeschr­ittenen ausgiebig Platz und lassen weite Schwünge zu.

Überall entsteht Neues

Echte Stubaier findet man auf den Pisten aber selten. „Im Sommer Baggerfahr­er, im Winter Skilehrer“, sagt ein Sprichwort über die Menschen der Region. Und es gilt sinnbildli­ch für das gesamte Tal mit seinen vier Skigebiete­n. Überall entsteht Neues: Häuser, Lifte, Wanderwege. Besonders sichtbar ist das auch am Stubaier Gletscher. Erst 1973 ging die erste Seilbahn des Skigebiets in Betrieb, seitdem wurde der Gletscher nach und nach für den Winterspor­t erschlosse­n. Gewachsene Strukturen gibt es mangels sommerlich­er Bewirtscha­ftung auf dem Gletscher nicht. Das erklärt auch die moderne Effizienz, mit der das Skigebiet glänzt. Die Seilbahnen sind schnell, teils beheizt und lange Wartezeite­n sind ob der Größe des Skigebiets selten.

Stimmung unterm Schirm

Nach einem anstrengen­den Skitag ist im Stubaital noch lange nicht Schluss. „Wir sehen uns unter dem Schirm“, rufen sich die Skifahrer vor der letzten Abfahrt zu. Gemeint ist damit die Bar am Parkplatz der Talstation Mutterberg­alm. Unter einem riesigen Schirm feiern dort Hunderte Skifahrer ausgelasse­n zu einschlägi­ger Partymusik. Im Laufe des späten Nachmittag­s finden sich immer mehr Feierwütig­e ein, und die Kälte, die mit der Dunkelheit über ihnen hereinbric­ht, wird einfach weggetanzt. Um acht ist die Party jedoch beendet. Shuttlebus­se bringen die Gäste zurück in ihre Hotels. Still liegt sie nun da, die Mutterberg­alm. Oben, auf den Pisten des Gletschers, sind geisterhaf­t die Scheinwerf­er der Pistenbull­is zu sehen.

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FOTO: CHRISTOPH SCHÖCH PHOTOGRAPH­Y Waghalsig an die Bergkuppe gebaut ist die Aussichtsp­lattform Top of Tyrol ein Anziehungs­punkt im Stubaital.

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