Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bei Seehofers Abschied hält sich der Trennungss­chmerz in Grenzen

Die CSU wählt einen neuen Chef und ist auf dem Weg, eine ganz normale Partei zu werden

- Von Michael Lehner

MÜNCHEN - Dieses Wochenende verabschie­det sich Horst Seehofer von der Macht. Aber bestimmt erst mal nur in Bayern. Die CSU scheint den Abschied ihres Vorsitzend­en gut zu verschmerz­en. Obwohl der bald Siebzigjäh­rige auch irgendwie für bessere, aber wohl für immer vergangene Zeiten steht. Sogar für die bis vor Kurzem letzte klassische Volksparte­i der Republik.

Wer den Wandel erfassen will, muss Vergleiche anstellen. Zwischen Situatione­n, die sich sehr ähneln, aber komplett verschiede­ne Auswirkung­en zeitigten. Bei der Landtagswa­hl des Jahres 2008 verlor die CSU 17,3 Prozent der Stimmen und erstmals seit 46 Jahren die absolute Mehrheit. Ministerpr­äsident Günther Beckstein, zwischen den Wahlen ins Amt gekommen, wurde schier vom Hof gejagt. Im Oktober 2018 fiel das Wahlergebn­is der Regierungs­partei um weitere sechs Prozent hinter das Beckstein-Tief. Aber es gab nicht einmal leise Rücktritts­forderunge­n an Markus Söder, der Seehofer noch vor den Wahlen aus dem Amt des Ministerpr­äsidenten gedrängt hatte.

Sich vorzustell­en, was da wohl vorging in Horst Seehofer, ist keine schwierige Übung. Er war es doch, der die CSU zurück zur absoluten Mehrheit geführt hatte. Der dieser Partei gut zehn Jahre lang ein kampferpro­bter Vorsitzend­er war. Geachtet und gefürchtet, nicht nur in Bayern. Einer, der die Winkelzüge in der Bundeshaup­tstadt kennt, wie vor ihm allenfalls Franz Josef Strauß. Und plötzlich sind sie seiner überdrüssi­g. Vor allem wohl, weil er die Bundeskanz­lerin so gern vorgeführt hat. Wo sie doch Machtprobe­n mit der Schwesterp­artei früher durchaus schätzten in der CSU.

In einem Abschiedsi­nterview sagte Seehofer vor ein paar Tagen, dass es wohl ein Fehler war, gleich nach der vorletzten Landtagswa­hl den Rückzug aus dem Ministerpr­äsidentena­mt in Aussicht gestellt zu haben: „Man darf als Politiker nicht ankündigen, dass man aufhören will.“Zur ganzen Wahrheit gehört jedoch, dass viele Parteifreu­nde dieser Ankündigun­g nie so recht trauten. Und dass Seehofer selber viel und oft dazu beitrug, dieses Misstrauen wachzuhalt­en. Vor allem, wenn er den ungeliebte­n Kronprinze­n Söder madig machte, etwa wegen dessen Hang zu „Schmutzele­ien“.

Mittlerwei­le ist die Zufriedenh­eit mit diesem Söder und seiner Regierung beim Bayernvolk deutlich gewachsen im Vergleich zu Seehofers Regierungs­endzeit. Laut Demoskopie ist die Koalition mit den Freien Wählern den Regierten weit lieber als zuvor die CSU-Alleinherr­schaft. Und Söder dämpft, wohl sehr bewusst, nostalgisc­he Wehmut über den Verlust der alten Stärke: „Klar ist: Wir haben als CSU noch einen weiten Weg vor uns. Den werden wir konsequent gehen.“

Dass ihm am Anfang dieses weiten Weges die Rolle des Sündenbock­s zugewiesen worden ist, scheint den scheidende­n Parteichef nicht sonderlich zu schmerzen. Er ist sich durchaus bewusst, dass sie ihn nicht aus purer Liebe an die Spitze von Partei und Staat holten. Sondern eher aus purer Verzweiflu­ng. Noch ein Jahr vor seiner Machtübern­ahme hatten ihn Parteifein­de ausgebrems­t. Etwa damit, dass sie konservati­ven Blättern die Geschichte von seiner außereheli­chen Vaterschaf­t mit einer Hauptstadt-Dame steckten. Auch so was hat Tradition in der CSU.

Keinen Nachfolger des ParteiÜber­vaters Strauß hat die bis heute überlebens­große Präsenz des berühmten Vorgängers mehr genervt als Horst Seehofer. Womöglich ist es

Horst Seehofer vor ein paar Tagen in einem Abschiedsi­nterview

kein Zufall, dass alle, die dem Alten noch persönlich nahestande­n, auf dem Feld geblieben sind: von Michael Glos über Peter Gauweiler bis Peter Ramsauer. Alle ersetzt durch Folgsamere wie Alexander Dobrindt oder Andreas Scheuer. Dieses Talent in Sachen Personalau­swahl, sagen CSUler – nebenbei bemerkt – auch der Kanzlerin gerne nach.

Seehofer hat sie alle geschafft

Die eben genannten Namen stehen durchaus auch fürs Programm: Ramsauer, der es an Gefolgscha­ft bei der Autobahn-Maut für Ausländer mangeln ließ. Glos, der nie ganz verstanden hatte, warum sein Parteichef die Kanzlerin in den übereilten Atomaussti­eg trieb. Und Gauweiler, der schon unter Ministerpr­äsident Edmund Stoiber gern den Querkopf gab, wenn er das Konservati­ve gefährdet sah. Seehofer, so lässt sich salopp sagen, hat sie alle geschafft. Und er schaffte den Aufstieg vom Maurersohn an die Spitze einer Partei, in der Karrieren bis heute gewöhnlich erst nach dem Abitur beginnen.

Oft sei er „als Herz-Jesu-Sozialist verspottet worden“, erinnert sich Seehofer. Zum Beispiel, als er zur berüchtigt­en CSU-Klausur in Wildbad Kreuth bei nächtliche­m Schneetrei­ben vor die Kamera trat und unverfrore­n gegen die Kopfpausch­alenIdee der heutigen Kanzlerin wetterte. Dass die Krankensch­wester den gleichen Krankenkas­senbeitrag wie der Chefarzt bezahlt, das gehört zu den Dingen, die sich der Sohn aus armem Hause bis heute nicht einmal vorstellen mag. Auch wenn ihn das seinerzeit den Posten als gesundheit­spolitisch­er Sprecher der gemeinsame­n Opposition­sfraktion von CDU und CSU kostete. Und Edmund Stoiber keinen Finger rührte, um seinen Parteifreu­nd zu stützen.

So wie er sich nach der Amtsbotenl­ehre den Verwaltung­sbetriebsw­irt auf dem zweiten Bildungswe­g und als Jahrgangsb­ester erarbeitet­e, hat Seehofer Politik von der Pike auf gelernt – auch in ihren Abgründen. Bundestags­abgeordnet­er seit 1980, von 1992 bis 2008 Bundesmini­ster, zuerst für Gesundheit, später für Landwirtsc­haft und Verbrauche­rschutz. Und seit vergangene­m Jahr wieder, diesmal fürs Innere. Was womöglich sein spätes Schicksal wurde durch den Dauerstrei­t mit Angela Merkel um die Flüchtling­spolitik. Daheim in Bayern dachten zwar reichlich Parteifreu­nde wie ihr Noch-Parteichef, aber sie ahnten bald, dass Seehofer diese Fehde nicht gewinnen kann.

Da wurde in München schnell gemunkelt, dass sich Seehofer den Spottnamen „Drehhofer“redlich verdient habe. Zum Beispiel in der Energiepol­itik. Da stimmte er erst auf Bundeseben­e dem Plan zu, Hochleistu­ngsleitung­en durch die Republik zu spannen für den Windstrom von der Küste. Und wenig später stand er daheim in Bayern quasi an der Spitze des Bürgerprot­ests gegen diese Leitungen. Und verschärft­e zugleich die Auflagen für bayerische Windparks derart, dass heimische Bauinteres­senten ihre Felle davonschwi­mmen sahen.

Ob Erweiterun­g des Großflugha­fens (namens „Franz Josef Strauß“) oder Abschaffun­g der Wehrpflich­t: Ganz genau wussten selbst enge Parteifreu­nde nicht, wie Seehofers Tagesparol­en ausfallen werden. Und wer das nächste Opfer seines allseits gefürchtet­en Spotts sein wird. Am Ende waren es wohl – wie bei Edmund Stoiber – viele kleinen, offenen Rechnungen, die in der Summe den hünenhafte­n Bayern zu Fall brachten. „Ich bin für harte Diskussion­en, nicht aber für öffentlich­e Hinrichtun­gen“, sagte er eben dem „Straubinge­r Tagblatt“. Vielleicht hätte ihm der Satz etwas früher einfallen sollen.

Horst Seehofer dieser Tage im „Straubinge­r Tagblatt“

„Man darf als Politiker nicht ankündigen, dass man aufhören will.“

„Ich bin für harte Diskussion­en, nicht aber für öffentlich­e Hinrichtun­gen.“

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FOTO: IMAGO Politische­s Urgestein aus Bayern: Innenminis­ter Horst Seehofer.

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