Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Bei Seehofers Abschied hält sich der Trennungsschmerz in Grenzen
Die CSU wählt einen neuen Chef und ist auf dem Weg, eine ganz normale Partei zu werden
MÜNCHEN - Dieses Wochenende verabschiedet sich Horst Seehofer von der Macht. Aber bestimmt erst mal nur in Bayern. Die CSU scheint den Abschied ihres Vorsitzenden gut zu verschmerzen. Obwohl der bald Siebzigjährige auch irgendwie für bessere, aber wohl für immer vergangene Zeiten steht. Sogar für die bis vor Kurzem letzte klassische Volkspartei der Republik.
Wer den Wandel erfassen will, muss Vergleiche anstellen. Zwischen Situationen, die sich sehr ähneln, aber komplett verschiedene Auswirkungen zeitigten. Bei der Landtagswahl des Jahres 2008 verlor die CSU 17,3 Prozent der Stimmen und erstmals seit 46 Jahren die absolute Mehrheit. Ministerpräsident Günther Beckstein, zwischen den Wahlen ins Amt gekommen, wurde schier vom Hof gejagt. Im Oktober 2018 fiel das Wahlergebnis der Regierungspartei um weitere sechs Prozent hinter das Beckstein-Tief. Aber es gab nicht einmal leise Rücktrittsforderungen an Markus Söder, der Seehofer noch vor den Wahlen aus dem Amt des Ministerpräsidenten gedrängt hatte.
Sich vorzustellen, was da wohl vorging in Horst Seehofer, ist keine schwierige Übung. Er war es doch, der die CSU zurück zur absoluten Mehrheit geführt hatte. Der dieser Partei gut zehn Jahre lang ein kampferprobter Vorsitzender war. Geachtet und gefürchtet, nicht nur in Bayern. Einer, der die Winkelzüge in der Bundeshauptstadt kennt, wie vor ihm allenfalls Franz Josef Strauß. Und plötzlich sind sie seiner überdrüssig. Vor allem wohl, weil er die Bundeskanzlerin so gern vorgeführt hat. Wo sie doch Machtproben mit der Schwesterpartei früher durchaus schätzten in der CSU.
In einem Abschiedsinterview sagte Seehofer vor ein paar Tagen, dass es wohl ein Fehler war, gleich nach der vorletzten Landtagswahl den Rückzug aus dem Ministerpräsidentenamt in Aussicht gestellt zu haben: „Man darf als Politiker nicht ankündigen, dass man aufhören will.“Zur ganzen Wahrheit gehört jedoch, dass viele Parteifreunde dieser Ankündigung nie so recht trauten. Und dass Seehofer selber viel und oft dazu beitrug, dieses Misstrauen wachzuhalten. Vor allem, wenn er den ungeliebten Kronprinzen Söder madig machte, etwa wegen dessen Hang zu „Schmutzeleien“.
Mittlerweile ist die Zufriedenheit mit diesem Söder und seiner Regierung beim Bayernvolk deutlich gewachsen im Vergleich zu Seehofers Regierungsendzeit. Laut Demoskopie ist die Koalition mit den Freien Wählern den Regierten weit lieber als zuvor die CSU-Alleinherrschaft. Und Söder dämpft, wohl sehr bewusst, nostalgische Wehmut über den Verlust der alten Stärke: „Klar ist: Wir haben als CSU noch einen weiten Weg vor uns. Den werden wir konsequent gehen.“
Dass ihm am Anfang dieses weiten Weges die Rolle des Sündenbocks zugewiesen worden ist, scheint den scheidenden Parteichef nicht sonderlich zu schmerzen. Er ist sich durchaus bewusst, dass sie ihn nicht aus purer Liebe an die Spitze von Partei und Staat holten. Sondern eher aus purer Verzweiflung. Noch ein Jahr vor seiner Machtübernahme hatten ihn Parteifeinde ausgebremst. Etwa damit, dass sie konservativen Blättern die Geschichte von seiner außerehelichen Vaterschaft mit einer Hauptstadt-Dame steckten. Auch so was hat Tradition in der CSU.
Keinen Nachfolger des ParteiÜbervaters Strauß hat die bis heute überlebensgroße Präsenz des berühmten Vorgängers mehr genervt als Horst Seehofer. Womöglich ist es
Horst Seehofer vor ein paar Tagen in einem Abschiedsinterview
kein Zufall, dass alle, die dem Alten noch persönlich nahestanden, auf dem Feld geblieben sind: von Michael Glos über Peter Gauweiler bis Peter Ramsauer. Alle ersetzt durch Folgsamere wie Alexander Dobrindt oder Andreas Scheuer. Dieses Talent in Sachen Personalauswahl, sagen CSUler – nebenbei bemerkt – auch der Kanzlerin gerne nach.
Seehofer hat sie alle geschafft
Die eben genannten Namen stehen durchaus auch fürs Programm: Ramsauer, der es an Gefolgschaft bei der Autobahn-Maut für Ausländer mangeln ließ. Glos, der nie ganz verstanden hatte, warum sein Parteichef die Kanzlerin in den übereilten Atomausstieg trieb. Und Gauweiler, der schon unter Ministerpräsident Edmund Stoiber gern den Querkopf gab, wenn er das Konservative gefährdet sah. Seehofer, so lässt sich salopp sagen, hat sie alle geschafft. Und er schaffte den Aufstieg vom Maurersohn an die Spitze einer Partei, in der Karrieren bis heute gewöhnlich erst nach dem Abitur beginnen.
Oft sei er „als Herz-Jesu-Sozialist verspottet worden“, erinnert sich Seehofer. Zum Beispiel, als er zur berüchtigten CSU-Klausur in Wildbad Kreuth bei nächtlichem Schneetreiben vor die Kamera trat und unverfroren gegen die KopfpauschalenIdee der heutigen Kanzlerin wetterte. Dass die Krankenschwester den gleichen Krankenkassenbeitrag wie der Chefarzt bezahlt, das gehört zu den Dingen, die sich der Sohn aus armem Hause bis heute nicht einmal vorstellen mag. Auch wenn ihn das seinerzeit den Posten als gesundheitspolitischer Sprecher der gemeinsamen Oppositionsfraktion von CDU und CSU kostete. Und Edmund Stoiber keinen Finger rührte, um seinen Parteifreund zu stützen.
So wie er sich nach der Amtsbotenlehre den Verwaltungsbetriebswirt auf dem zweiten Bildungsweg und als Jahrgangsbester erarbeitete, hat Seehofer Politik von der Pike auf gelernt – auch in ihren Abgründen. Bundestagsabgeordneter seit 1980, von 1992 bis 2008 Bundesminister, zuerst für Gesundheit, später für Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Und seit vergangenem Jahr wieder, diesmal fürs Innere. Was womöglich sein spätes Schicksal wurde durch den Dauerstreit mit Angela Merkel um die Flüchtlingspolitik. Daheim in Bayern dachten zwar reichlich Parteifreunde wie ihr Noch-Parteichef, aber sie ahnten bald, dass Seehofer diese Fehde nicht gewinnen kann.
Da wurde in München schnell gemunkelt, dass sich Seehofer den Spottnamen „Drehhofer“redlich verdient habe. Zum Beispiel in der Energiepolitik. Da stimmte er erst auf Bundesebene dem Plan zu, Hochleistungsleitungen durch die Republik zu spannen für den Windstrom von der Küste. Und wenig später stand er daheim in Bayern quasi an der Spitze des Bürgerprotests gegen diese Leitungen. Und verschärfte zugleich die Auflagen für bayerische Windparks derart, dass heimische Bauinteressenten ihre Felle davonschwimmen sahen.
Ob Erweiterung des Großflughafens (namens „Franz Josef Strauß“) oder Abschaffung der Wehrpflicht: Ganz genau wussten selbst enge Parteifreunde nicht, wie Seehofers Tagesparolen ausfallen werden. Und wer das nächste Opfer seines allseits gefürchteten Spotts sein wird. Am Ende waren es wohl – wie bei Edmund Stoiber – viele kleinen, offenen Rechnungen, die in der Summe den hünenhaften Bayern zu Fall brachten. „Ich bin für harte Diskussionen, nicht aber für öffentliche Hinrichtungen“, sagte er eben dem „Straubinger Tagblatt“. Vielleicht hätte ihm der Satz etwas früher einfallen sollen.
Horst Seehofer dieser Tage im „Straubinger Tagblatt“
„Man darf als Politiker nicht ankündigen, dass man aufhören will.“
„Ich bin für harte Diskussionen, nicht aber für öffentliche Hinrichtungen.“