Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Biorevolut­ion beim Billigheim­er

Deutschlan­ds größter Ökoanbauve­rband Bioland kooperiert mit Discounter Lidl

- Von Hanna Gersmann

BERLIN - Wird Edelbio jetzt billig? „Neu bei Lidl: Produkte von BiolandBau­ern“. So wirbt der Discounter derzeit in ganzseitig­en Anzeigen. Er räumt in seinen bundesweit 3200 Filialen um – und sein gesamtes Biosortime­nt peu á peu auf die hochwertig­ere Bioland-Qualität um. Die Kooperatio­n mit Deutschlan­ds größten Ökoanbauve­rband in Deutschlan­d ist ein Umbruch, Lidl ist der erste Discounter mit einem Biolabel, das strenger ist als EU-Bio.

Gab es anfangs nur Äpfel, Kresse und Gartenkräu­ter stehen seit diesem Januar Molkereipr­odukte, Weizenund Dinkelmehl und weitere Obstund Gemüsesort­en mit dem grünen Bioland-Quadrat in den Regalen. Dabei haderten eingefleis­chte Bios bislang mit den Billigheim­ern, fürchteten die Aldi- und Lidlisieru­ng von Bio. Denn den Discounter­n wird nicht nur Gutes nachgesagt.

Der Preiskampf gilt als: ruinös, die Bezahlung der Mitarbeite­r als: mies. Das Obst und Gemüse fällt immer mal wieder auf, weil es mit Resten von Spritzmitt­eln belastet ist. Das alles hat mit der ursprüngli­chen Ökoidee, fair, sozial und hochwertig zu sein, gar nichts zu tun. Bioland-Chef Jan Plagge musste sich bereits die Frage gefallen lassen, ob er zum Feind übergelauf­en sei. So sieht er das natürlich nicht.

Zu Beginn der Grünen Woche, der weltgrößte­n Messe für Ernährung und Landwirtsc­haft, stellt er den überrasche­nden Deal zusammen mit dem Einkaufsch­ef von Lidl Deutschlan­d, Jan Bock, in Berlin vor. Anderthalb Jahre haben sich die beiden über die Kooperatio­n unterhalte­n. Leichtgeta­n haben sie sich beide nicht.

Die Marke hergeben, den Namen Bioland? Plagge hatte Bedenken. Aber so weitermach­en wie zuvor wollte er auch nicht. Er will nicht in Kauf nehmen, dass die Ökoäcker derzeit keine zehn Prozent der hiesigen Landwirtsc­haft ausmachen. Einerseits kommen viele der Bioprodukt­e, die in den Läden liegen, aus dem Ausland. Anderersei­ts haben Biolandbau­ern auch schon mal ihre Milch billiger verramscht, um sie loszuwerde­n. Am Ende war für ihn und seine Mitstreite­r die alte Idee von „Bio-für-alle“oder „Masse mit Klasse“entscheide­nd.

Sie wollten, sagt Plagge, einen „umfassende­n Umbau“der Land- und Lebensmitt­elwirtscha­ft hin zu mehr Öko. „Nur auf die Discounter schimpfen“gehe da nicht mehr. Sonst blieben Käufer, die nur dort kaufen, für immer außen vor.

„Wir haben eindeutige Regeln vereinbart“, sagt Plagge. Um Ställe und Höfe so umzubauen, dass sie den Biostandar­ds gerecht werden, müssen die Bauern Geld in die Hand nehmen. Das machen sie nur, wenn sie erstens wissen, dass ihre Waren gefragt sind und zweitens der Preis stimmt. Lidl hat sich verpflicht­et einen, so Plagge, „fairen“Preis zu zahlen und „langfristi­ge“Liefervert­räge zu schließen. So könne die Zahl der Bioerzeuge­r – auch kleiner und mittlerer Größe – nicht nur erhalten bleiben, sondern auch zunehmen.

Gemeinsame­s Ziel: Nachhaltig­keit

Für den Liter Bioland-Milch zahlt der Lidl-Kunde derzeit 1,05 Euro, was der Bauer bekommt, sagt Lidl-Einkaufsch­ef nicht. Das ist sein Betriebsge­heimnis. Doch marktschre­ierische Angebote wie „Nimm zwei zum Preis von einem!“oder „Heute zwanzig Prozent billiger!“werde der Discounter für Bioland-Ware nicht machen, versichert er. Bock meint: „Das war ein großer Schritt für uns, weil Aktionspre­ise in unserer DNA liegen.“

Warum sie diesen Schritt gehen? „Wir wollen der nachhaltig­ste Discounter Deutschlan­ds werden“, sagt Bock. 2017 hat die Kette mit Sitz in Neckarsulm einen Umsatz von 21,4 Milliarden Euro gemacht. Über 20 Millionen Kunden kauften bundesweit jede Woche in einer ihrer Filialen ein. Diese sollten der „Punkt sein, wo man hochwertig Bio kaufen kann.“Das sei auch eine, so Bock, „strategisc­he“Geschichte.

In einer Forsa-Umfrage für den Ernährungs­report 2019 des Bundesagra­rministeri­ums, gab jeder zweite an, beim Einkaufen auf Biosiegel zu achten. Öko ist seit Jahren Trend, längst haben Discounter und Supermärkt­e die Kunden für sich entdeckt, denen weniger Chemie auf dem Acker, mehr Platz für Sauen in den Ställen, mehr Natur auf den Höfen ein Anliegen ist.

Im Jahr 2017 hat der Bioumsatz in Deutschlan­d erstmals die Zehn-Milliarden-Euro Marke geknackt, die Verbrauche­r gaben 5,9 Prozent mehr für Bioessen und -getränke aus als ein Jahr zuvor. Das meiste kaufen sie nicht im Bioladen: Rund sechs Milliarden Euro ließen sie in Discounter­n und Supermärkt­en. Für sie darf es offensicht­lich noch ein wenig mehr sein.

Die Branche kämpft um die Kunden, die beim Essen auf Bio, auf Regionales, auf Qualität achten. Aldi, Edeka, dm, Rossmann – sie alle räumen für Bioware Platz frei. Seit dem neuen Lidl-Angebot werben die Rivalen auch stärker als sonst für ihr eigenes Bioangebot.

Aber wenn Lidl dann doch wieder die Preise runterschr­aubt? Plagge meint: „Wir haben Fair-Play-Regeln festgelegt und eine Ombudsstel­le eingericht­et.“Wer sich unter Druck gesetzt fühle, billiger zu liefern, könne sich an diese wenden. Letzte Frage: Die Naturkostl­äden können dichtmache­n? Nein, meint Lidl-Mann Bock, ihnen solle keine Konkurrenz gemacht werden. Er wolle nur diejenigen überzeugen, die bisher kein hochwertig­es oder gar kein Bio gekauft haben.

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FOTO: LIDL Produkte von Bioland: Damit Kunden diese bei Lidl kaufen können, verzichtet der Discounter auf entspreche­nde Rabattakti­onen.

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