Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Wir wollen, dass die Mobilität bezahlbar bleibt“

ZF-Chef Wolf-Henning Scheider über alte Kunden, neue Partnersch­aften und den Antrieb der Zukunft

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FRIEDRICHS­HAFEN - Zum Segeln auf dem Bodensee ist Wolf-Henning Scheider in seinem ersten Jahr als Vorstandsc­hef beim Zulieferer ZF nicht gekommen. Das will der 56-Jährige 2019 nachholen – trotz unruhiger Zeiten in Weltwirtsc­haft und Autoindust­rie. Schließlic­h sieht der studierte Betriebswi­rt den Friedrichs­hafener Traditions­konzern auf einem guten Weg. Im Interview mit Hendrik Groth, Benjamin Wagener und Martin Hennings erklärt er warum.

Die Ereignisse in London bestimmen diese Woche alles – wie ist ZF für einen harten Brexit gerüstet?

Wir haben schon vor einigen Monaten einen Plan für diesen Fall ausgearbei­tet und der steht – vor allem für die logistisch­e Absicherun­g nach England und aus England heraus. Wir sind vorbereite­t. Aber es ist natürlich schon bedrückend zu sehen, wie politische Diskussion­en heute geführt werden – immer kontrovers­er und nicht mehr konsensori­entiert.

Befürchten Sie eine Spirale nach unten – auch im Hinblick auf die Politik von US-Präsident Trump?

Ich empfinde es nicht so, dass die Unsicherhe­iten zunehmen, sondern wir beschäftig­en uns bereits seit drei Jahren fortlaufen­d mit Krisenszen­arien. Aber einige haben sich inzwischen auch gelöst – wie das Freihandel­sabkommen in Nordamerik­a, das für ZF eine viel größere Bedeutung hat als der Brexit. Positive Effekte gibt es auch beim Import von ausländisc­hen Autos nach China hinein, woraus sich wiederum Chancen für uns ergeben. Der Cocktail der Themen ist unveränder­t hoch. Ich erwarte jedoch keinen stärkeren Abschwung in diesem Jahr als das, was wir gerade sehen.

Die Weltwirtsc­haft ist im Umbruch, ZF im Aufbruch. In Las Vegas haben Sie für den Elektrokle­inbus Ego-Mover einen ersten Kunden vorgestell­t. Emanzipier­en sich die Zulieferer von ihren Kunden, den Autobauern?

Es gibt zwei grundsätzl­iche Veränderun­gen. Zum einen innerhalb der klassische­n Geschäftsm­odelle die Kohlendiox­id-Reduzierun­g, und zum anderen die neuen Geschäftsm­odelle, die durch die Digitalisi­erung möglich werden. Hier müssen wir uns richtig positionie­ren. Das kann mit bestehende­n Kunden sein, aber auch mit neuen Kunden. Klar ist aber, dass ZF ein Technologi­elieferant bleibt.

Aber den Ego-Mover produziere­n Sie gemeinsam mit dem Start-up Ego-Mobile. Wird ZF nicht doch auch zu einem Fahrzeugba­uer?

Wir haben zurzeit nicht das Interesse, selbst zu einem Serviceanb­ieter zu werden oder das Endprodukt zu verkaufen, sondern wir stellen uns so auf, dass wir als Systemlief­erant möglichst alle Teile liefern können. Das Unternehme­n Transdev zum Beispiel, das den Ego-Mover nutzen wird, bezieht die komplette Technologi­e von uns. In dem Zusammenha­ng macht es Sinn, dass wir mit einem Partner, der Fahrzeuge baut, sehr eng zusammenar­beiten, um unsere Idee vollständi­g verwirklic­hen zu können.

Im September haben Sie angekündig­t, in den nächsten fünf Jahren zwölf Milliarden Euro in das autonome Fahren und die Elektromob­ilität zu investiere­n. Reicht das?

Im Vergleich mit anderen stehen wir damit ziemlich gut da. Aber ob das reicht, hängt nicht nur vom Geld ab, sondern auch von den pfiffigen Ideen, die wir haben müssen. Es gehört mehr als Geld dazu. Das betrifft organisato­rische Themen, das betrifft den Freiraum für Mitarbeite­r für Innovation­skraft, das betrifft die weltweite Zusammenar­beit im Team. Neben der Investitio­n sind weitere Maßnahmen nötig, um dafür zu sorgen, dass ZF einer der weltweit Top-3-Anbieter für diese Technologi­en wird.

Als Synonym für „pfiffige Ideen“gilt das Silicon Valley. In Deutschlan­d gibt es die Angst, dass die Technologi­efirmen der deutschen Autoindust­rie den Rang ablaufen.

Es gibt Technologi­en, bei denen Europa wenig zu bieten hat und bei denen wir die Zusammenar­beit mit den Firmen aus dem Valley brauchen. Das tun wir auch. Entscheide­nd an so einer Partnersch­aft ist, dass wir für ZF einen Vorteil generieren, der uns im Endprodukt ausreichen­d differenzi­ert. In Las Vegas haben wir beispielsw­eise gerade den stärksten Computer für Fahrzeugte­chnik vorgestell­t.

Den Rechner ZF Pro AI, den Sie gemeinsam mit dem Softwaresp­ezialisten Nvidia entwickelt haben.

Wir nutzen für den ZF Pro AI RoboThink Elektronik­bausteine unseres Partners. So waren wir die Ersten, die einen komplett serientaug­lichen Fahrzeugco­mputer für das automatisc­he Fahren marktreif haben. Das war ganz und gar nicht trivial, da schon allein die Bedingunge­n im Fahrzeug völlig verschiede­n von denen für Konsumelek­tronik sind – vor allem im Hinblick auf Belastunge­n wie Temperatur­en, Vibratione­n, Spritzwass­erschutz oder elektrosta­tische Aufladung.

Sind solche Partnersch­aften die Organisati­onsform der Zukunft?

Die Komplexitä­t der Systeme ist so groß, dass auch ZF als einer der weltweit größten Konzerne der Branche das nicht allein stemmen kann. Deshalb brauchen wir Partnersch­aften. Das ist ganz klar Teil unserer Strategie. Aber entscheide­nd dabei ist, dass man die Teams netzwerküb­ergreifend so orchestrie­rt, als ob alle in einem Raum sitzen, um Produkte in kürzester Zeit serienreif zu machen. Das Modell funktionie­rt bei ZF schon sehr gut. Der Supercompu­ter ZF Pro AI ist mit einem Kernteam hier in Friedrichs­hafen entwickelt worden.

Wann werden sich die Aktivitäte­n im Software- und Elektronik­bereich in Umsätzen auszahlen?

Man kann die Trennung gar nicht so scharf ziehen. Die Investitio­nen in die klassische­n, mechanisch­en Produkte werden weiterhin hoch sein – sie werden nur viel stärker über Software definiert werden. Ein Beispiel hierfür ist ein gewöhnlich­er Querlenker: Eigentlich handelt es sich nur um ein bearbeitet­es Stück Metall – mit einem Sensor ausgestatt­et wird es die Fahrwerksb­ewegungen noch präziser verstehen und ein besseres Fahrgefühl schaffen können. So durchdring­en Elektronik, Sensorik und Vernetzung unsere gesamte Produktpal­ette und schaffen neue Möglichkei­ten.

Ein anderes Thema: Ihr Vorgänger forderte vor eineinhalb Jahren im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“, die „Freiheit zu tun, was nötig ist“. Haben Sie diese Freiheit?

Schauen Sie: Wir haben 2018 unsere Strategie überarbeit­et und geschärft. Verbunden haben wir das mit einer neuen Organisati­on, die durchaus signifikan­t in unsere Arbeitswei­se eingreift. Wir haben das größte Investitio­nsprogramm verabschie­det, das dieses Unternehme­n jemals gestemmt hat. Wir haben das alles in einer sehr zügigen und konstrukti­ven Art und Weise entschiede­n und sind dabei, mit der ganzen Mannschaft in die Realisieru­ng zu gehen. Mehr muss man eigentlich nicht sagen.

ZF ist ein Stiftungsu­nternehmen. Hilft diese Konstrukti­on in Zeiten des Wandels?

Dass wir zwei Stiftungen als Eigentümer haben, sehe ich in Zeiten, die volatiler geworden sind, als klaren Vorteil. Stiftungsu­nternehmen haben als vorrangige­s Ziel eine nachhaltig­e Unternehme­nsentwickl­ung und sind geprägt von längerfris­tigem Denken. Das ist im Moment sehr viel wert. In manchen Feldern wie dem automatisi­erten Fahren werden sich die Investitio­nen erst nach längerer Zeit in Gewinn auszahlen, da hilft die Stiftungss­truktur sehr. Vielleicht ist es gar kein Zufall, dass inzwischen so viele deutsche Zulieferer Stiftungsu­nternehmen sind.

Aufbruchss­timmung und innovative Produkte – ist ZF die große Ausnahme? VW-Chef Herbert Diess bescheinig­t der deutschen Autoindust­rie angesichts der kommenden Herausford­erungen nur eine Überlebens­chance von 50 Prozent.

Grundsätzl­ich halte ich nichts davon, die Mitarbeite­r mit Schreckens­meldungen zu motivieren, sondern mit Zuversicht. Natürlich muss man aufpassen, dass man nicht blauäugig ist und abhebt. Deswegen beschäftig­en wir uns intensiv mit Risikoszen­arien, die sehr, sehr hart sind. Ein Beispiel: Die EU hat jetzt eine Kohlendiox­id-Reduktion der Pkw-Flotten um 37,5 Prozent beschlosse­n. Ein solches Szenario hatten wir schon immer – wir hatten aber auch ein Szenario, das von einer deutlich schärferen Reduktion ausging. Das hat dazu geführt, dass wir nun einige innovative Ideen haben, die vor dem Stichtag bereits in wenigen Jahren auf den Markt kommen.

Wird der Elektroant­rieb der Antrieb der Zukunft sein?

Wir werden in drei bis fünf Jahren nochmals in grundsätzl­iche Diskussion­en zur Antriebste­chnik einsteigen, da kann zum Beispiel auch Wasserstof­f nochmals eine bedeutende Rolle spielen. Wir haben immer, von der ersten Minute an, in den Gesprächen mit der Politik auf Technologi­eoffenheit gepocht. Die ist leider in der öffentlich­en Diskussion ein bisschen zu kurz gekommen.

Wie sehen Sie die Elektromob­ilität?

Die Elektromob­ilität wird im Moment – auch politisch motiviert – auf ein sehr hohes Niveau gehoben. Das entspricht aber nicht ihrer Leistungsf­ähigkeit. Die Probleme sind unveränder­t: die Reichweite­n, die Ladezeiten, die Kosten, die Verfügbark­eit von Rohstoffen. Das führt dazu, dass die Batterie nicht billiger wird, wie manche Szenarien immer unterstell­en. Das Elektroaut­o ist ein schönes Thema für etwas bessergest­ellte Leute als Zweit- oder Drittwagen für die Innenstadt in den nächsten Jahren oder wenn ich eben immer nur in einem begrenzten Umfeld fahre.

Was ist die Alternativ­e?

Der Hybridantr­ieb ist aus unserer Sicht eine hervorrage­nde Lösung, wenn er die Schwächen der ersten Generation ablegt. Es werden Fahrzeuge mit deutlich höheren Reichweite­n auf den Markt kommen, sodass ich meinen Tagesbedar­f komplett elektrisch abfahren kann. Aber ich kann auch in Urlaub fahren und brauche wegen des Verbrenner­s keine Reichweite­nangst auf Langstreck­en zu haben. Ich gehe sogar davon aus, dass dieses Hybridfahr­zeug günstiger sein wird als ein batterieel­ektrisches Fahrzeug – eben ein Volkshybri­d. Denn viele Menschen haben nur ein Auto in der Familie, da brauche ich diese Reichweite­nflexibili­tät. Wir wollen, dass die Mobilität bezahlbar bleibt, und deswegen sehen wir das als das beste Konzept an. Auch in diesem Bereich werden wir in kurzer Zeit ein paar Ideen in den Markt bringen.

Ist das ZF-Projekt des Ego-Mover für Sie eine besondere Herzensang­elegenheit – immerhin hat es ZF gemeinsam mit einem Start-up Ihrer Alma Mater entwickelt?

Das ist nicht entscheide­nd, was ich aber wirklich schön finde, ist etwas anderes: Das Projekt zeigt, dass man ein solches Fahrzeug in Deutschlan­d wettbewerb­sfähig bauen kann. Das ist ein Punkt, der mir wichtig ist. Man redet immer über Niedrigloh­nländer, aber es gibt genug Beispiele, die illustrier­en, dass der sogenannte Hochkosten­standort Deutschlan­d aufgrund seiner Kompetenz, gepaart mit richtiger Automatisi­erung und Digitalisi­erung, wettbewerb­sfähig ist. Der Ego-Mover ist ein solches Beispiel, denn das Fahrzeug baut das Gemeinscha­ftsunterne­hmen in der Region Aachen. Das ist für mich ein schönes Vorbild auch für viele ZF-Produkte: Wenn man es richtig anpackt, sind deutsche Fertigungs­standorte auch für zukünftige Produkte gut geeignet.

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FOTO: FELIX KÄSTLE ZF-Chef Wolf-Henning Scheider am Mittwoch beim Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Wenn man es richtig anpackt, sind deutsche Fertigungs­standorte auch für zukünftige Produkte gut geeignet.“

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