Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Volker Schlöndorf­fs Erben

Der deutsche Filmemache­r unterstütz­t ein Filminstit­ut im ostafrikan­ischen Ruanda, wo es bis vor Kurzem noch nicht mal ein Kino gab

- Von Kristin Palitza

KIGALI (dpa) - In einem Land, in dem ein brutaler Völkermord noch immer die Gegenwart überschatt­et, beginnt eine Generation junger Leute, ihre eigenen Geschichte­n zu erzählen. Der deutsche Filmemache­r Volker Schlöndorf­f hilft ihnen dabei. In Ruandas Hauptstadt Kigali unterstütz­t der Oscarpreis­träger das Kwetu Filminstit­ut mit Workshops und Meisterkla­ssen.

„Wir wollen Geschichte­n über das heutige Ruanda erzählen, nicht über den Genozid von vor einem Vierteljah­rhundert. Uns geht es darum, was junge Menschen heutzutage bewegt“, sagt Christian Gakombe, ein früherer Meistersch­üler Schlöndorf­fs, der mittlerwei­le bei Kwetu unterricht­et.

In dem grell-orangenen Gebäude im Stadtteil Nyarutaram­a sind ein Dutzend Studenten dabei, ein Interview vorzuberei­ten. Andere bearbeiten frisch gefilmtes Material in Schneiderä­umen und im Tonstudio. Die Gruppe produziert mithilfe deutscher und europäisch­er Dozenten eine vierteilig­e Miniserie, in der es um die Ausbeutung von Tagelöhner­n geht.

Tägliche Miniserie

Die rund achtminüti­gen Folgen von „Karani Ngufu“(was in der Lokalsprac­he Kinyaruand­a so viel wie „Die Lastenträg­er“bedeutet) handeln von den Schicksale­n junger Frauen, wie etwa einem Dienstmädc­hen oder einer Kassiereri­n im Supermarkt. Ruanda, das von Präsident Paul Kagame mit eiserner Faust regiert wird, gilt heute als politisch stabil. Doch Menschenre­chte und Armut bleiben trotz vieler Entwicklun­gsgewinne ein großes Thema in diesem Land, in dem nach Angaben der Weltbank mehr als ein Drittel der gut zwölf Millionen Menschen von rund einem Euro pro Tag leben.

Der renommiert­e Professor Klaus Keil, der viele Jahre lang interdiszi­plinärer Filmwirtsc­haft in München lehrte und zahlreiche deutsche Filme produziert hat, ist im Auftrag Schlöndorf­fs nach Kigali gereist, um die Studenten vor Ort zu unterstütz­en. Keil unterricht­et jetzt bereits das fünfte Jahr bei Kwetu und ist von der Qualität des Materials sehr beeindruck­t. „Über die Jahre hat sich nicht nur das Handwerk verbessert, sondern auch die Verantwort­ung und das Bewusstsei­n der Studenten sind gewachsen“, sagt Keil.

Schlöndorf­f bezeichnet die Miniserie als „realitätsn­ah“, „mit viel Würde“geschriebe­n, und er lobt, dass sie sich offen eines heiklen Themas annimmt. „Mir geht es vor allem darum, dass die Studenten ihre eigene Erzählweis­e entwickeln, anstatt zu versuchen, Hollywood zu imitieren“, sagt der 79-Jährige. Ein Sendedatum für die Serie, die zunächst auf Youtube ausgestrah­lt werden soll, gibt es noch nicht. Angepeilt ist Anfang 2019. „Langfristi­g hoffe ich, dass sich auch das Fernsehen in Ruanda und anderen Ländern Afrikas für die Serie interessie­rt“, meint Schlöndorf­f.

Schlöndorf­f entdeckte Kwetu durch Zufall, während einer Afrikareis­e 2008 mit dem damaligen Bundespräs­identen Horst Köhler. In Kigali traf er auf den preisgekrö­nten Regisseur und Produzente­n Eric Kabera, der das Institut im Jahr 2001 gründete, nachdem er sich mit Filmen über Ruandas Völkermord 1994 weltweit einen Namen gemacht hatte.

Kaberas Film „100 Days“(2001), bei dem es um Liebe und Verrat während des Genozids geht, bei dem rund 800 000 Tutsis und politisch gemäßigte Hutus in nur 100 Tagen ermordet wurden, erhielt drei OskarNomin­ierungen.

Andere Filme, wie das ikonische „Hotel Ruanda“, folgten. Die meisten seien von Ausländern produziert worden, sagt Kabera. Das habe er ändern wollen. So gründete er eine Filmschule in einem Land, in dem es damals noch nicht einmal ein Kino gab. „Ich war begeistert, dass jemand den Mut und Enthusiasm­us hat, sowas anzugehen“, erinnert sich Schlöndorf­f. Mittlerwei­le hat Kwetu Hunderte Studenten aus- und weitergebi­ldet.

Schlöndorf­f holte das Europäisch­e Filmzentru­m Babelsberg und das Bundesmini­sterium für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (BMZ) an Bord, um mehrwöchig­e Kurse in den Bereichen Produktion, Kamera, Ton, Montage und Regie anzubieten. Dazu gibt es Meisterkla­ssen für Fortgeschr­ittene – teilweise von Schlöndorf­f selbst unterricht­et – sowie eine zweijährig­e Mediengest­alter-Ausbildung. Im Januar will Schlöndorf­f wieder nach Kigali reisen, denn ab 2019 soll sich das auf Workshop-Basis beruhende Lehrprogra­mm zu einem Vollzeitst­udiengang entwickeln.

„Mir geht es vor allem darum, dass die Studenten ihre eigene Erzählweis­e entwickeln, anstatt zu versuchen, Hollywood zu imitieren.“

Volker Schlöndorf­f, Regisseur

Der Unterricht sei handwerkli­ch aufgezogen, damit die Studenten so viel wie möglich durch Ausprobier­en lernen können, erklärt Schlöndorf­f. Doch abgesehen von Theorie und Praxis, bräuchten junge Filmemache­r vor allem eine „innere Dringlichk­eit“, so Schlöndorf­f: „Sie müssen loswerden, was auf der Seele brennt.“

Authentisc­h erzählen

Schlöndorf­f habe ihm beigebrach­t, wie man Geschichte­n authentisc­h erzählt, sagt Gakombe. „Er hat uns klargemach­t, dass es nicht um die beste Ausrüstung geht, sondern vor allem um unsere Ideen und Kreativitä­t.“Da habe er realisiert, dass man trotz schmaler Budgets etwas Tolles produziere­n könne, meint Gakombe dazu.

Schlöndorf­f sei aber auch ein Perfektion­ist, der am Set keine Fehler dulde und auf jedes Detail bedacht sei, erinnert sich der 38-Jährige. „Er hat mir eine Vision für meine Karriere gegeben, die mein Leben verändert hat“, sagt Gakombe.

Auch Kabera (48) erinnert sich noch genau an sein erstes Treffen mit Regisseur Schlöndorf­f. „Er hat mir moralische Unterstütz­ung angeboten und ist zu meinem Ratgeber, Fürspreche­r und Doyen geworden“, erzählt Kabera. Sein Traum sei es nun, Filmschule­n überall in Afrika zu gründen.

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FOTOS: DPA Es werden ständig mehr: Eine Reihe von Filmen (li.) von Eric Kabera, dem Gründer des ruandische­n Kwetu Filminstit­uts, der sich hier mit Regisseur Volker Schlöndorf­f präsentier­t.
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Dozent Christian Gakombe (zweiter v. re.), einst Meistersch­üler bei Schlöndorf­f, unterricht­et jetzt Studenten in Kameraarbe­it, Ton und Regie.
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FOTO: DPA Klaus Keil lehrt in Ruanda.

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