Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

LKW-Abbiege-Systeme sollen Pflicht werden

Technische Assistente­n könnten Dutzende Leben retten

- Von Matthias Brunnert

GOSLAR (dpa) - Der schwere Lastwagen will nach rechts abbiegen, doch an diesem Abend macht der Fahrer auf einer Hauptstraß­e in Hannover einen folgenschw­eren Fehler: Er übersieht beim Abbiegen einen jungen Radfahrer im toten Winkel. Es kommt zur Kollision, der elf Jahre alte Junge stirbt vor den Augen seiner Mutter. Nach Angaben des Automobilc­lubs ACE kommen jedes Jahr Dutzende Radfahrer in Deutschlan­d auf diese Weise ums Leben. Die Zahl der Schwerverl­etzten ist dreistelli­g.

Das müsste nicht sein, glauben Experten. „Wenn alle Lkw mit Abbiege-Assistente­n ausgerüste­t wären, könnte das pro Jahr 30 Menschenle­ben retten“, sagt Siegfried Brockmann von der Unfallfors­chung der Versichere­r (UDV). Der UDV-Chef will sich deshalb beim 57. Deutschen Verkehrsge­richtstag (VGT) im niedersäch­sischen Goslar dafür stark machen, dass Abbiege-Assistenzs­ysteme in alle Lastwagen und Busse eingebaut werden müssen.

Nach Angaben des ADAC kommen in Deutschlan­d jedes Jahr rund 900 Menschen bei Unfällen unter Beteiligun­g von Lastern und Bussen ums Leben, etwa 8500 werden schwer verletzt. Beim VGT, zu dem ab Mittwoch rund 2000 Verkehrsex­perten erwartet werden, soll unter anderem über Möglichkei­ten diskutiert werden, diese Zahlen zu senken.

Abbiege-Assistente­n seien eine Möglichkei­t, meint Unfallfors­cher Brockmann. „Sie können Radfahrer und Fußgänger im toten Winkel rechtzeiti­g erkennen, den Fahrer warnen und bei ausbleiben­der Reaktion auch selbst eine Bremsung einleiten“, sagt der UDV-Leiter. „Sie sollten daher gesetzlich verpflicht­end in jeden neuen Lkw eingebaut und in allen älteren Lkw nachgerüst­et werden.“Die Kosten lägen bei jeweils rund 1000 Euro.

Polizei unterstütz­t Forderung

Bei den Automobilc­lubs stößt die Forderung auf breite Zustimmung. „Ein Großteil der durch schwere Lkw verursacht­en Abbiegeunf­älle ist vermeidbar“, sagt Herbert Engelmohr vom AvD. Auch der ADAC plädiert für einen verpflicht­enden Einbau der Abbiege-Assistente­n. Die Deutsche Polizeigew­erkschaft (DPolG) setzt sich ebenfalls für den verpflicht­enden Einbau der Systeme ein.

Die derzeit verfügbare­n AbbiegeAss­istenzsyst­eme haben nach Einschätzu­ng des Deutschen Verkehrssi­cherheitsr­ats (DVR) allerdings „eine relativ hohe Fehlerquot­e“. Die Industrie müsse deshalb mit Priorität an den Weiterentw­icklung arbeiten, fordert Sprecherin Julia Fohmann.

Unabhängig davon appelliert der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) an die Kommunen, dass alle Müll- und Straßenrei­nigungsfah­rzeuge zugunsten der Radfahr-Sicherheit schnellstm­öglich freiwillig mit Abbiege-Assistente­n ausgerüste­t werden. Bund und Länder forderte der ADFC auf, ihre Lkw-Flotten ebenfalls nachzurüst­en.

Mindestens genauso wichtig wäre nach Einschätzu­ng vieler Experten der Einbau der jüngsten Generation von Notbremssy­stemen. Neu zugelassen­e Lkw müssen zwar seit Ende 2015 mit Notbrems-Assistente­n ausgestatt­et sein. „Trotzdem sterben auf der Autobahn immer wieder Menschen, weil abgelenkte oder übermüdete Lkw-Fahrer ungebremst in ein Stauende hineinfahr­en“, sagt Unfallfors­cher Brockmann. Neueste Brems-Systeme könnten dies verhindern, weil sie anders als ältere Geräte Lkw vor stehenden Hinderniss­en bis zum Stillstand abbremsen können.

Der ADAC fordert ebenfalls Verbesseru­ngen: Die Systeme dürften nicht mehr abschaltba­r sein, sagt ein Sprecher. Und sie sollten in der Lage sein, auch Auffahrunf­älle auf stehende Fahrzeuge zu vermeiden. Nach Darstellun­g des ACE könnten Notbrems-Assistente­n der neuesten Generation rund 80 Prozent dieser Kollisione­n verhindern.

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FOTO: DPA Das Warnsystem „Bike-Flash“. Es überwacht den toten Winkel durch Wärmesenso­rik.

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