Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Wenn Kinder im Sterben liegen

Ambulanter Kinder- und Jugendhosp­izdienst der Caritas unterstütz­t Familien

- Von Dirk Thannheime­r

BAD SAULGAU - Wenn ein Kind sterbenskr­ank ist, gerät für die Familie die Welt aus den Fugen. Nichts ist mehr, wie es früher war. Viele Eltern sind in dieser Situation überforder­t, verlieren den Halt. Der ambulante Kinder- und Jugendhosp­izdienst der Caritas Biberach-Saulgau unterstütz­t Familien dabei, diese schwierige Zeit zu bewältigen – mit großer Empathie und einer hohen Sensibilit­ät. Im Dekanat Saulgau koordinier­t Annette Brade diesen Dienst. Eine Herzensang­elegenheit.

Ein dreijährig­es Kind wird aus dem Krankenhau­s entlassen – mit der für die Eltern erschütter­nden Diagnose unheilbar. Das Kind hat noch ein paar Monate, vielleicht noch ein paar Jahre zu leben. Für die Geschwiste­r und die Eltern verändert sich das Leben von einem Moment auf den anderen. „Die Angehörige­n können keinen klaren Gedanken mehr fassen“, sagt Annette Brade, die noch weitere solcher Beispiele schildern könnte.

Sie berichtet von kleinen Kindern, deren Herz aufgehört hat zu schlagen, von einer Familie mit drei Kindern zwischen fünf und zehn Jahren, deren Mutter Anfang 30 bei einem Verkehrsun­fall ums Leben kam. Denn auch von Familien, in denen ein Elternteil erkrankt ist, kann Brade angesproch­en werden.

Kinderärzt­e und Kliniken vermitteln den betroffene­n Familien in solchen Fällen den Kontakt zum ambulanten Kinder- und Jugendhosp­izdienst, der von den im gesamten Gebiet der Caritas Biberach-Saulgau tätigen 22 Begleiteri­nnen allein im Dekanat Saulgau auf vier Ehrenamtli­che zurückgrei­fen kann.

Sie wurden für diesen Dienst speziell ausgebilde­t, wissen genau, worauf sie sich einstellen müssen – auf Trauer, auf seelische Schmerzen. „Unser Dienst wird benötigt, von dem Zeitpunkt an, wenn das Kind zu Hause ist – bis über den Tod hinaus“, sagt Brade in ihrem Büro im CaritasZen­trum im Rosengarte­n in Bad Saulgau, wo sie seit dem Einzug in den Neubau an der Kaiserstra­ße vor einigen Monaten erste Ansprechpa­rtnerin für betroffene Familien ist.

Wichtiges Erstgesprä­ch

Sie führt, wenn sie angerufen wird, ein Erstgesprä­ch mit der Familie, um Klarheit über die Situation vor Ort zu gewinnen. Gibt es eine Haushaltsh­ilfe, wie ist das familiäre Umfeld, leiden die schulische­n Leistungen der Geschwiste­rkinder unter der psychische­n Belastung? „Wenn dann darüber hinaus eine Begleiteri­n in die Familie kommen darf, gelingt es uns, ein gutes Vertrauens­verhältnis aufzubauen, noch bevor die Krankheit ihrem Ende entgegenge­ht. Das ist sehr hilfreich für die Begleitung in der Zeit zwischen Tod und Bestattung und danach in der Trauer“, sagt Annette Brade, die selbst gelernt hat, den Tod ihrer Eltern in ihr Leben gut zu integriere­n. „Dasein und zuhören“, sagt Brade, sei dabei schon eine große Hilfe für die Angehörige­n. „Wir sind diejenigen, die einen klaren Kopf bewahren, aber auch gemeinsam weinen mit den Eltern und den Kindern“, ergänzt Brade. Die Arbeit mit Kindern und Jugendlich­en sei eine ganz andere als mit Erwachsene­n. „Kinder haben ein ganz anderes Bild vom Tod. Darauf müssen wir eingehen.“

Die Begleitung der Kinder und Jugendlich­en kann eine lange Zeit dauern, viele Jahre sogar. Manchmal hört sie gar nicht auf, weil die Begleiteri­nnen zu wichtigen Bezugspers­onen geworden sind. „Wir übernehmen gerade für die Kinder eine große Verantwort­ung“, ergänzt Brade, die von einer Begleiteri­n berichtet, die inzwischen Patentante eines Kindes ist, dessen Mutter in jungen Jahren den Verlust ihres Bruders erfahren musste und froh war, dass der ambulante Kinder- und Jugendhosp­iz ihr damals zur Seite stand. „Wir erfahren eine Dankbarkei­t der Angehörige­n“, so Brade. Und wie gehen die Begleiteri­nnen selbst mit dieser schwierige­n Aufgabe um? „Wir tauschen uns regelmäßig aus, reden viel miteinande­r und unterstütz­en uns dadurch gegenseiti­g. Auch Supervisio­nen gehören zu einer guten Begleitung der Ehrenamtli­chen“, ergänzt die 60-jährige Brade, die sich diesen Dienst am Menschen noch viele Jahre vorstellen kann. „Kinder sind mir schon immer ein großes Anliegen gewesen.“

Trotz Trauer und Kummer gibt es für Annette Brade auch Erfolgserl­ebnisse, die sie darin bestärken, Familien zu begleiten, zu unterstütz­en und zu entlasten. Ein Ehepaar, so berichtet Brade, habe vor vielen Jahren seinen 14-jährigen Sohn beerdigen müssen. Der Kontakt zu den Eltern sei nie abgebroche­n. „Heute haben die beiden wieder Fuß gefasst und neuen Lebensmut gewonnen.“Das sei Motivation genug.

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FOTO: DIRK THANNHEIME­R Annette Brade ist Koordinato­rin des ambulanten Kinder- und Jugendhosp­izdienstes der Caritas Biberach-Saulgau. Die Begleiteri­nnen unterstütz­en Familien, wenn ein Kind oder ein Elternteil schwer erkrankt ist.

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