Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Im Zen-Kloster ist alles Meditation

- Von Michael Scheyer

Das Kloster Eihei-Ji ist in Japan berühmt. Hier lebte und lehrte im 13. Jahrhunder­t Dogen Zenji, ein berühmter Meister des ZenBuddhis­mus. Und hier, zur Wiege des Zen-Buddhismus, kommen gerne auch Besucher aus dem Westen her, um die Meditation­spraxis Zazen („stilles Dasitzen“) zu erlernen und zwar so, wie das Westler eben gerne so machen: übers Wochenende.

„Wer da hingeht“, erklärte mir einer der Mönche in Bukkoku-Ji, dem Kloster, in dem ich 2001 zwei Monate als Laienschül­er verbrachte, lachend „wer da hingeht übers Wochenende, wird aber nicht mit dem Kyosaku geschlagen.“Der Kyosaku ist ein langer Holzstock mit einem flachen Ende und im Zen-Kloster ein wichtiges Instrument der Meditation.

Während der 40 Minuten langen Meditation­sperioden, in denen Mönche und Schüler still dasitzen und sich ihrer Achtsamkei­tspraxis widmen, kann es vorkommen, dass der Geist des einen oder anderen auf und davon wandert oder schlichtwe­g vor Müdigkeit einschläft. Merkt das der Aufsicht führende Mönch, stellt er sich hinter den schlummern­d Meditieren­den oder krumm Dasitzende­n, legt ihm das flache Ende des Kyosakus auf die Schulter – damit dieser sich aufrecht hinsetzt und die Schultern lockert – und dann gibt es einen satten Hieb auf die Schultermu­skulatur: Zunächst ein dumpfer Schmerz, dann strömt Blut in die Schultern und in den Kopf und es wird überall warm. Wunderbar, nun kann es frohen Mutes und wachen Geistes weitergehe­n mit dem stillen Dasitzen.

Der Kyosaku, der Holzstock, ist keineswegs eine Strafe. Er ist ein Hilfsmitte­l. Tatsächlic­h bitten die meisten Meditieren­den im ZenKloster den diensthabe­nden Kyosaku-Mönch aus eigener Motivation darum, ihnen einen Hieb zu verpassen. Dazu müssen sie lediglich die Hände falten, wenn er in der Nähe ist, damit er dem Wunsch entspricht. Aber die Touristen in Eihei-Ji, die viel Geld für Kurse ausgeben, um die Zen-Meditation zu erlernen, die werden offensicht­lich nicht geschlagen. „Die wollen, dass die Touristen wiederkomm­en“, sagte der Mönch, der DoShin hieß und für die Blumen in den Zeremonien­räumen des Klosters zuständig war.

Meditation hat in einem ZenKloster nichts mit Wellness oder Entspannun­g zu tun, sondern mit spirituell­er Praxis. Und das gilt nicht nur für die fünf täglichen Einheiten Zazen (während der sieben Meditation­swochen, genannt Sesshin, sind es elf Einheiten täglich). Sondern auch für jede andere Tätigkeit, sei es Frühsport, Putzdienst, Küchendien­st, Feldarbeit oder gar die Latrinen zu entleeren und mit großen Plastikküb­eln – gehängt an Bambusstan­gen auf den Schultern – als Dünger auf die Felder zu tragen.

Im Zen-Buddhismus ist alles Meditation. Und egal, was du zu tun hast, es gibt nur eine Regel: Schenke dem, was du tust, deine vollumfäng­liche Aufmerksam­keit.

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FOTO: SHY Fünfmal täglich 40 Minuten stilles Dasitzen im Zen-Kloster Bukkoku-Ji in der Stadt Obama in Japan: Michael Scheyer im Jahr 2001.
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