Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Warum Fleischloses an dieser Stelle oft zu kurz kommt
Fragt der Gast: „Was empfehlen Sie Leuten, die kein Fleisch essen?“Sagt der Kellner: „Ein Taxi.“Neulich – wie immer wieder in regelmäßigen Abständen – erreichten die Redaktion Zuschriften, in denen die Verfasser sich über die Kolumne „Aufgegabelt“beklagen. Und zwar aus einem gut nachvollziehbaren Grund. Einer schrieb: „Wird Herr Nyffenegger eigentlich von der Metzgerinnung bezahlt, oder wie viele Schlachthöfe gehören dem Herrn? Ich glaube, der Mann hat noch kein einziges vegetarisches Gericht hier empfohlen – das ist echt krass!“
Tatsächlich hat Herr Nyffenegger, also meine Wenigkeit, an dieser Stelle schon Vegetarisches besprochen. Wollte man einen pomadigen Witz machen, könnte man sagen: Die abgehandelten Desserts sind in der Regel fleischlos. Darüberhinaus verfüge ich weder über ein Mandat in der Metzgerinnung, noch kann ich Schlachthöfe mein Eigen nennen.
Doch der Kritiker hat durchaus nicht unrecht. Vegetarisches kommt an dieser Stelle eher selten vor. Allerdings gibt es dafür eine Reihe von Gründen. Reinrassige vegetarische oder vegane Restaurants kommen in unserer Region fast nicht vor – bis auf wenige Ausnahmen, etwa das
„v2o“in Friedrichshafen, das im Jahr
2016 Gegenstand dieser Kolumne war. Wer Restaurants mit nennenswerten vegetarischen Anteilen zu benennen weiß, der möge es mir bitte kundtun! Tatsächlich ist es nicht so, dass die Welt keine schmackhaften Gerichte ohne Fleisch kennen würde. Nur: Der Großteil der hiesigen Gastronomie ist auf diesem Gebiet eher schwach aufgestellt. In der Regel sind es die immer gleichen Angebote, die sich unter der Rubrik „Vegetarisch“finden: Kässpätzle, Spaghetti mit Tomatensoße und – mit etwas Glück – Gemüsemaultaschen. Und diese sind dann oft nicht hausgemacht, sondern lieblos eingekauft. Vom Geschmack ganz abgesehen, mutet die Füllung dieser industriell hergestellten Teigtaschen doch am Gaumen wie vorgekauter Eintopf à la Rumfort (alles was rumfährt und fort muss) an.
Bizarrerweise gibt es bis zum heutigen Tag noch immer Wirte, die unter dem vegetarischen Angebot Fisch und Geflügel führen. Gerade so, als handle es sich bei Forelle und Pute um besonders merkwürdige Gemüsesorten.
Von all diesen Umständen einmal abgesehen: Die meisten Menschen sind Fleischesser – und das ganz besonders dann, wenn sie zum Essen ausgehen. Eine Menge Leute leben in ihrem Alltag weitgehend fleischarm, doch gerade beim Besuch eines Restaurants gönnen sich viele dann ein Stück Fleisch – auch weil sie zu Hause zum Beispiel langwierige Schmorgerichte aus Zeitgründen nicht zubereiten.
Oder anders gesagt: Die Besprechung vegetarischer oder veganer Mahlzeiten geht an der Lebenswirklichkeit der meisten Leser vorbei. Denn: Je nach Umfrage, sind es höchstens zehn Prozent der Bevölkerung, die zumindest zeitweise fleischlos leben – die darin enthaltene Gruppe der Veganer, die auch auf Milchprodukte oder Eier verzichtet, liegt bei maximal zwei Prozent.
Daraus ergibt sich am Ende zwangsläufig der fleischliche Überhang in den Texten dieser Kolumne. Deutlich über das jetzige Maß an Vegetarischem hinauszugehen, hieße, Leser und Gastronomen erziehen zu wollen – oder aber, sich von der Realität zu entfernen. Das aber kann und will diese Kolumne nicht leisten. Denn sie hat den Anspruch, kulinarische Wirklichkeit abzubilden und nicht zu kreieren.
Weitere „Aufgegabelt“-Folgen: www.schwäbische.de/aufgegabelt