Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Neue Regelungen für Kennzeiche­n

Polizei scannt für Fahndungen jedes Kennzeiche­n – Karlsruher Richter haben Bedenken

- Von Martina Herzog und Anja Semmelroch

KARLSRUHE (AFP) - Die Vorgaben zum Abgleich von Autokennze­ichen mit Fahndungsd­ateien der Polizei sind zum Teil verfassung­swidrig und müssen nachgebess­ert werden. Das Bundesverf­assungsger­icht stellte am Dienstag fest, dass die in BadenWürtt­emberg, Bayern und Hessen möglichen Eingriffe in die Grundrecht­e nur zum Teil gerechtfer­tigt seien. Die Polizei kann bis dato verdeckt das Kennzeiche­n eines vorbeifahr­enden Autos erfassen und dieses mit Dateien abgleichen.

KARLSRUHE (dpa) - Ob geschäftli­ch oder privat unterwegs – im Auto fühlen wir uns oft heimelig. Dass an manchen Strecken Polizeifah­nder sehr genau registrier­en, wer dort alles vorbeikomm­t, dürfte den wenigsten bewusst sein. Das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe hält die Überwachun­g in einigen Fällen für bedenklich – und verschärft mit zwei am Dienstag veröffentl­ichten Beschlüsse­n die Vorgaben.

Worum geht es genau?

Um den sogenannte­n automatisi­erten Kennzeiche­n-Abgleich. Dabei ist eine Kamera auf die Fahrspur gerichtet und nimmt jedes Auto von hinten mit einem unsichtbar­en Infrarotbl­itz auf. Auch Ort, Datum, Uhrzeit und Fahrtricht­ung werden registrier­t. Eine Software liest das Kennzeiche­n aus, ein Rechner checkt, ob es polizeibek­annt ist. Wenn nicht, werden die Daten automatisc­h wieder gelöscht. Gibt es eine Überstimmu­ng, schaut sich ein Polizist die Sache genauer an. Schlechtes Licht oder Schmutz am Nummernsch­ild löst relativ oft falschen Alarm aus. Gespeicher­t werden nur echte Treffer.

Wozu das Ganze?

Mehrere Bundesländ­er setzen die Technik ein, um kriminelle­n Banden das Handwerk zu legen oder Extremiste­n und Unruhestif­ter im Blick zu behalten. Dafür werden die Nummernsch­ilder mit den Kennzeiche­n abgegliche­n, die im Schengener Informatio­nssystem und im Polizeilic­hen Informatio­nssystem zur Fahndung ausgeschri­eben sind. Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) hält das für unverzicht­bar: Die Polizei habe damit Schleusung­en aufgedeckt, gestohlene Autos oder Rauschgift sichergest­ellt und auch schon Menschen mit Suizidabsi­cht oder in der Hand von Verbrecher­n gerettet.

Wie viel bringt der Kennzeiche­nAbgleich wirklich?

Das hängt davon ab, was man als Erfolg wertet. „Allein schon ein Treffer sowie der entspreche­nde Fahndungse­rfolg rechtferti­gen den Aufwand, denn ein Täter hinterläss­t auch immer ein Opfer“, meint der Vorsitzend­e der Gewerkscha­ft der Polizei, Oliver Malchow. Die Geräte müssen allerdings recht häufig knipsen, um einen Treffer zu landen. In Bayern kommen auf jährlich grob 102 Millionen Aufnahmen etwa 10 000 Treffer. Nur jede 10 200. Aufnahme führt also zum Erfolg. In Hessen wurden 2017 laut Ministeriu­m etwas mehr als eine halbe Million Kennzeiche­n geknipst,

5129 Mal wurde ein Treffer gemeldet. Demnach führte dort ungefähr jede

97. Aufnahme zum Erfolg.

Wo wird die Technik eingesetzt?

Gegenstand des Karlsruher Verfahrens waren Polizeiges­etze aus Bayern, Baden-Württember­g und Hessen. Aber auch Niedersach­sen nutzt die Technik. Dort meldeten laut Innenminis­terium 2017 zwölf mobile Geräte 1378 verdächtig­e Kennzeiche­n. In 461 Fällen habe es sich tatsächlic­h um ein gesuchtes Fahrzeug gehandelt. In Bayern passieren jeden Monat rund 8,5 Millionen Fahrzeuge 28 Anlagen. In Hessen wird das System derzeit nur noch vereinzelt an der Autobahn 3 nahe Limburg eingesetzt. Schleswig-Holstein hat den Kennzeiche­n-Abgleich wieder abgeschaff­t. Die Regelung dort hatte Karlsruhe bereits 2008 gekippt – unverhältn­ismäßig und viel zu unklar, hieß es damals.

Was haben die Verfassung­srichter jetzt entschiede­n?

2008 hatte der Erste Senat klargestel­lt, dass der Abgleich auf keinen Fall flächendec­kend erfolgen darf. Nach weiteren Verfassung­sbeschwerd­en von Autofahrer­n betonen die Richter nun, dass Polizei-Kontrollen zur gezielten Suche nach Personen oder Sachen nie anlasslos stattfinde­n dürfen – anders als etwa Verkehrsko­ntrollen, bei denen es um riskantes Verhalten geht. Sie müssen sich „auf den Schutz von Rechtsgüte­rn von erhebliche­m Gewicht“beschränke­n. Die Bürger müssten sich fortbewege­n können, ohne „dem Gefühl eines ständigen Überwachtw­erdens ausgesetzt zu sein“. Damit sind alle drei beanstande­ten Vorschrift­en in Teilen verfassung­swidrig, bis Ende 2019 muss nachgebess­ert werden.

Hat die Entscheidu­ng weitere Auswirkung­en?

Nach Einschätzu­ng von Grünen und FDP schränken die Vorgaben auch die geplante Kontrolle von DieselFahr­verboten in Städten mit zu schmutzige­r Luft ein. Nach heftiger Kritik hat das Bundeskabi­nett im Januar einen nachgebess­erten Entwurf verabschie­det, wonach es nur stichprobe­nartige Kontrollen geben soll.

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FOTO: DPA Mit solchen mobilen Anlagen werden Nummernsch­ilder erfasst – bislang.

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