Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Streit um Anti-Randale-Gesetz
Frankreichs Regierung nimmt Demonstranten ins Visier – Der Widerstand ist groß
PARIS - Die Bilder des 1. Dezember 2018 sind in die Köpfe der Pariser eingebrannt: Vermummte Demonstranten in gelben Westen verwüsten den Triumphbogen und greifen die Polizisten an, die das Wahrzeichen schützen wollen. Regierungschef Édouard Philippe bekommt viel Beifall, als er Anfang Januar ankündigt: „Die Randalierer werden nicht das letzte Wort haben.“Nach mehreren Gewaltwochenenden, an denen die Republik seltsam gelähmt wirkte, soll nun ein neues Gesetz gegen die Krawallmacher durchgreifen.
Doch der Text, den die Nationalversammlung am Dienstag in erster Lesung annahm, wirft viele Fragen auf. Denn er sieht eine Einschränkung des Demonstrationsrechts vor, die nicht von den Richtern, sondern von den Präfekten beschlossen wird. Die obersten Repräsentanten des Zentralstaats in den 101 Départements des Landes sind die verlängerten Arme des Präsidenten.
Letztlich ist es also der Staatschef selbst, der darüber entscheidet, ob gegen ihn demonstriert werden darf oder nicht. „Das Risiko der Beschneidung der individuellen Freiheiten ist sehr groß“, warnt der Anwalt Jean-Pierre Mignard in der Zeitung „Libération“.
Zweifel auch in Macrons Partei
Noch deutlicher wird der Abgeordnete Charles de Courson, der zu einer Familie prominenter Widerstandskämpfer gegen die Nazi-Besatzung gehört. „Das ist eine komplette Entgleisung. Man glaubt sich wieder unter dem Vichy-Regime“, kritisiert der Politiker der Zentrumspartei UDI in der Nationalversammlung. Doch auch unter den Mitgliedern der Präsidentenpartei La République en Marche ist das neue Gesetz umstritten. Mehr als ein Dutzend Abgeordnete wollten sich bei der Abstimmung enthalten.
Ihr Widerstand richtet sich insbesondere gegen Artikel 2 des Gesetzes, das dem Präfekten die Möglichkeit eines Demonstrationsverbotes gibt, „wenn eine Person eine besonders schwere Bedrohung für die öffentliche Ordnung ist“. Lediglich ein Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht kann eine solche Entscheidung noch stoppen. Der Präfekt kann bei seinem Nein auf das Fahndungsregister der Polizei zurückgreifen, in das auch gewalttätige Demonstranten aufgenommen werden sollen. Auf eine eigene „Randalierer-Datei“, wie sie Philippe wollte, verzichtete die Regierung. Dafür macht sie die Vermummung zum Verbrechen – auf das ein Jahr Gefängnis und 15 000 Euro Geldstrafe stehen. Auch systematische Durchsuchungen von Demonstranten sind künftig erlaubt.
Für Innenminister Christophe Castaner kommt das Gesetz gerade recht. „Zu oft bringen einige Schlägertypen unser Demonstrationsrecht in Gefahr“, rechtfertigt er auf Facebook die Initiative. Schließlich seien in den vergangenen Wochen 1000 Polizisten und 1900 Demonstranten bei den Auseinandersetzungen zwischen „Gelbwesten“und Beamten verletzt worden.
Was der Innenminister nicht sagt: Viele Verletzungen der Demonstranten werden durch den massiven Einsatz von Hartgummigeschossen durch die Polizei verursacht. Mehr als 170 Verletzungen am Kopf zählte der frühere Journalist David Dufresne, der auf Twitter die blutigen Fotos der Opfer veröffentlicht. Dabei ist es den Polizisten ausdrücklich verboten, ihre modernen Flashballs gegen die Köpfe der Demonstranten zu richten. Besonders bedenklich: Die Projektile treffen auch friedliche Kundgebungsteilnehmer wie den Anführer der Gilets jaunes, Jérôme Rodrigues – oder einen 15-Jährigen, der Mitte Januar in Straßburg von einem Geschoss im Gesicht verletzt wurde. Augenzeugen zufolge war er nicht zum Demonstrieren gekommen, sondern zum Shoppen.