Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Witwer äußert Unverständnis
Der Kangal-Prozess wird vor dem Landgericht Hechingen neu aufgerollt.
STETTEN AM KALTEN MARKT - Der Kangal-Prozess ist am Mittwoch vor dem Landgericht Hechingen neu aufgerollt worden. Angeklagt sind eine Hundehalterin und ihr Ehemann aus Frohnstetten. Ende Mai 2017 hatte sich ihr Herdenschutzhund der Rasse Kangal, der im Garten des Ehepaars angekettet war, losgerissen und eine 72-jährige Passantin getötet. Den Angeklagten wirft die Staatsanwaltschaft fahrlässige Tötung vor. Im ersten Prozess vor dem Amtsgericht Sigmaringen wurden die 44-jährige Frau zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung und ihr Ehemann zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Dagegen hatten die beiden Berufung eingelegt.
Der Ehemann der Getöteten schilderte das schreckliche Geschehen. Er und auch seine Frau hätten bislang nie Angst vor Hunden gehabt - seit dieser Nacht habe er jedoch ein regelrechtes Trauma und leide außerdem an Magen- und Kreislaufproblemen. „Wie ich meine Frau da so liegen sah, kaum mehr erkennbar und überall Blut - es war ein Albtraum, der mir heute immer noch nachgeht“, sagte der Ehemann des Opfers mit zittriger Stimme. Sie hätten eine gute Ehe geführt und gerade im Alter hätte man jetzt einander gebraucht. Daraufhin richtete er sich direkt an die Angeklagten und die Verteidiger. „Ich verstehe einfach nicht, warum sie bei einem so milden Urteil Berufung eingelegt haben“, sagte er. Und auch das Schmerzensgeld in Höhe von 4000 Euro sei „niedergebügelt“worden. „Es hat sich einfach nichts geändert. Die Ange- klagte darf immer noch Hunde halten. Ich frage mich, warum sie angeblich Tiere versorgen kann, jedoch sonst nicht in der Lage ist, eine Geldstrafe abzuzahlen.“
Verteidiger fordern erneut Freispruch
Wie bereits vor dem Amtsgericht Sigmaringen plädierten die beiden Verteidiger auf Freispruch. Sie begründeten die Berufung damit, dass es nicht ausreiche, das Verschulden der fahrlässigen Tötung allein in der Haltung der Hunde und in der angeblich mangelnden Erfahrung der Hundebesitzerin zu sehen. Das würde voraussetzen, dass die Halterin wusste, welch eine Gefahr von dem Kangal-Rüden ausgegangen sei. Die Rasse Kangal würde in Baden-Württemberg im Gegensatz zu Hamburg oder Hessen nicht als Kampfhund eingestuft und sei demnach nicht automatisch gefährlich. Laut dem Verteidiger konnte von der Angeklagten nicht erkannt werden, dass der Kangal-Rüde ein aggressives Verhalten habe, da er lediglich sein Revier vor vorbeilaufenden Passanten in Schutz genommen habe.
Des Weiteren wäre es nicht ersichtlich gewesen, dass das Halsband die Last nicht tragen konnte. Letztendlich sei es falsch, dass das Urteil von einer „bewussten“fahrlässigen Tötung ausgehe.
Die Angeklagte hielt sich zu Beginn der Verhandlung bedeckt, musste ihre Mütze, die sie tief ins Gesicht gezogen hatte, jedoch nach Aufforderung von Richter Volker Schwarz abnehmen. Während der Verhandlung hatte sie den Kopf meist gesenkt und starrte teilnahmslos auf den Tisch.
In der Nacht des 30. Mai 2017 war die 72-jährige Passantin auf einem Fußweg unterwegs, als sie von dem zirka 70 Kilogramm schweren Kangal attackiert wird, der sie zu Boden reißt und durch Bisse in den Kopf, Hals und Nackenbereich tödlich verletzt. Eine Nachbarin, die das Geschehen beobachtete und im Gericht als Zeugin aussagte, schilderte, wie sie sofort die Polizei alarmierte und daraufhin ihren Bruder um Hilfe bat. Erst als der Rettungsdienst eintraf und sich einige weitere Helfer, unter ihnen ein ortsansässiger Jäger, dem Tier näherten, ließ der Rüde von seinem Opfer ab und verschwand. In einer Nacht- und Nebelaktion wurden daraufhin der Kangal-Rüde sowie zwei weitere Hunde, die sich auf dem Grundstück befanden, erschossen. Die angeklagte Hundebesitzerin, in deren Haus sich außerdem 20 Katzen befanden, erschien erst nach Mitternacht mit einem Atemalkohol von 1,4 Promille.
Kriminaltechniker untersucht Halsband des Hundes
Ein Physiker des Landeskriminalamts hat das schwere lederne Hundehalsband auf seine Reißfestigkeit geprüft und war seiner Aussage zufolge erstaunt darüber, wie schnell ein solches Halsband reißen könne. Aufgrund der Witterungsbedingungen sei es schwierig, das Alter des Halsbands festzustellen. Wenn der Hund laut Zeugenberichten zufolge häufig Anlauf genommen habe und sich bei seiner Revierverteidigung bis zum Anschlag in die Kette geworfen habe, sei es nicht erstaunlich, dass das Halsband gerissen sei. Es seien bereits einige Mikrorisse zu sehen gewesen.
Bis zum Ende des Obduktionsberichtes seiner getöteten Ehefrau blieb der Ehemann im Saal, danach verließ er das Gericht. Die Verhandlung wird am kommenden Montag fortgesetzt.