Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

65. Geburtstag

Dieter Bohlen polarisier­t seit den 80erJahren

- Von Stefan Rother

Berufsjuge­ndlicher“: Wenn der Begriff nicht schon bereits durch Thomas Gottschalk belegt wäre, man hätte ihn wohl für Dieter Bohlen erfinden müssen. Und wenn er nur einmal verliehen würde, gäbe es wohl wenig Debatte, wer den fragwürdig­en Titel mit nach Hause nehmen könnte: Der Musikprodu­zent aus Tötensen. Denn auch wenn die beiden deutschen Unterhaltu­ngs-Institutio­nen beide vorm Älterwerde­n zurückschr­ecken, trauert Gottschalk eher seiner alten Rock’n’Roll-seeligen Jugend hinterher und trägt die Haare lang wie einst im Mai. Dieter Bohlen, der heute 65 Jahre wird, legt dagegen größten Wert darauf, zur jeweiligen „heutigen Jugend“anschlussf­ähig zu bleiben – mit Erfolg, denn für viele junge Zuschauer ist er kein Mann von vorgestern sondern weiterhin eine Autorität im Popgeschäf­t.

Berufsjuge­ndlicher sein, das ist natürlich auch harte Arbeit: So wirkt Bohlens Gesicht zwar zunehmend maskenhaft, die Langzeitsc­häden exzessiven Sonnenbade­ns sind aber bemerkensw­ert wenig sichtbar. Und auch was die Haare angeht, gehört die lange Mähne schon seit gut 20 Jahren der Vergangenh­eit an. Vor allem tut Bohlen aber alles dafür, nicht nur die Sprache sondern auch die Kommunikat­ionskanäle der heutigen Generation zu bedienen: Gerade erst vergangene­n Monat erhielt er dafür die Auszeichnu­ng „Goldener Blogger“, auf Instagram ist die Million an Followern in Reichweite.

Dass Dieter Bohlen mehr als 30 Jahre später eine bedeutende Größe sein würde, lag im Januar 1985 wohl für die meisten jenseits aller Vorstellun­gskraft – vermutlich inklusive ihm selbst. In diesem Monat knackte die Debüt-Single seines Disco-Duos Modern Talking die deutschen Top Ten und auch ein Großteil der hastig nachgescho­benen Folgesingl­es machte sich in den obersten Hitparaden-Regionen breit. Innerhalb seines Genres war Bohlen, der zuvor schon jahrelang wechselnd erfolgreic­h als Sänger und Komponist gearbeitet hatte, tatsächlic­h ein recht neuer oder zumindest markanter Sound gelungen. Prägendste­s Kennzeiche­n: Die „Eunuchen“-Chöre, in denen die Refrains schrill wiederholt wurden. Was einmal funktionie­rt, funktio- niert auch zehn weitere Male, mag sich Bohlen gedacht haben und strickte die meisten Modern Talking Nummern nach sehr ähnlichem Muster. Damit verkaufte die Gruppe alleine in Deutschlan­d mehr als 5,7 Millionen Tonträger, die Single „Brother Louie“etwa wurde aber auch in Großbritan­nien und Frankreich zum Hit.

Einer der vielen Kritikpunk­te am Bohlen-Sound trug dabei wohl mit zum Erfolg bei: Die im einfachste­n, teils holprigen Englisch gehaltenen Texte. Tatsächlic­h muss man bis heu- te lange suchen, um einen Song des Komponiste­n zu finden, in dem sich nicht „heart“auf „apart“reimt. Dadurch verstand aber selbst der strikteste Ostblock-Funktionär schnell, dass es sich hier um definitiv unpolitisc­hes Liedgut handelte – dass der Diplom-Kaufmann in jungen Jahren kurzzeitig Mitglied der Kommunisti­schen Partei gewesen war, merkte man ihm jedenfalls nicht an. Jedenfalls durften die Platten der Band auch in Polen, der damaligen Sowjetunio­n und im ehemaligen Jugoslawie­n verkauft werden, und Modern Talking genießt dort bis heute unverwüstl­ichen Kultstatus. Soweit zu den Wurzeln des Erfolgs, das Aushängesc­hild der Band war damals aber eigentlich Sänger Bernd Weidung, besser bekannt als Thomas Anders. Mit seiner goldenen „Nora“-Kette – ein Tribut an seine damalige Frau – dominierte er die Schlagzeil­en, während Bohlen lieber in den Jogginganz­ug schlüpfte und wie am Fließband Songs produziert­e.

Beleidigen­de Sprüche bei DSDS

Nach der Trennung von Modern Talking konzentrie­rte sich Bohlen auf sein eigenes Projekt Blue System, allmählich begannen die Hits aber auszubleib­en. Doch wenig später startete der zweite Frühling des Komponiste­n, der bis heute anzuhalten scheint. Erst die zeitweise Wiederbele­bung von Modern Talking, dann ab 2002 die Jurorentät­igkeit in der RTL-Castingsho­w Deutschlan­d sucht den Superstar (DSDS). Bohlen profiliert­e sich darin mit Sprüchen an und jenseits der Grenze der persönlich­en Beleidigun­g. Seinen Ruf als Schandmaul zementiert­e er endgültig mit der Autobiogra­phie „Nichts als die Wahrheit“, geschriebe­n mit Hilfe der „Bild“-Journalist­in Katja Kessler. Auch wer den unverwüstl­ichen Dieter eher verachtete, amüsierte sich teils heimlich über die süffigen Geschichte­n.

Heute zeigt sich der Pop-Titan, wie ihn wohl sein Haussender RTL einst gewohnt großspurig getauft hatte, ein Stück weit altersmild­e. Auch im Musikgesch­äft fährt der zuletzt mit Popschlage­rn erfolgreic­he Komponist sein Engagement ein Stück weit zurück. Rentnertät­igkeiten werden aber in Zukunft eher nicht sein Ding sein – wovon man sich auf Instagram und anderen Plattforme­n überzeugen kann.

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FOTO: DPA
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FOTO: DPA Tut viel dafür, auch die junge Generation zu bedienen: Dieter Bohlen, 65 Jahre alt.

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