Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der Kampf um die Bilder

Heute beginnt die 69. Berlinale – Streamingd­ienste verändern Kino und Filmfestiv­als

- Von Esteban Engel

BERLIN (dpa) - Die Filmindust­rie steht vor einem Umbruch. Streamingd­ienste mit Milliarden­etats bedrängen das klassische Kino. Ob die Kinoindust­rie das überlebt?

Zehn Oscar-Nominierun­gen, viel Kritikerlo­b und eine Premiere im internatio­nalen Filmgeschä­ft: Noch im vergangene­n Sommer hatte Cannes ein Veto gegen alle Netflix-Produktion­en eingelegt, nur Kinofilme durften im Festival laufen. Dann bekam „Roma“in Venedig den Goldenen Löwen. Und jetzt hat der Schwarz-Weiß-Film über eine mexikanisc­he Hausangest­ellte Aussicht auf mehrere Oscars. Eine Zeitenwend­e.

Auch die Berlinale (7. bis 17. Februar) stellt sich dem wachsenden Gewicht von Netflix, Amazon Prime und anderen Streaminga­nbietern. Zwei Produktion­en – darunter „Elisa y Marcela“von Netflix im Wettbewerb – sind in Berlin mit dabei.

Zwar betont Festivalch­ef Dieter Kosslick: „Wir müssen erst mal klarmachen, dass wir als Filmfestiv­al für Kinofilme zuständig sind.“Mit einem Produktion­setat von geschätzte­n 13 bis 15 Milliarden US-Dollar für 2018 gibt die Plattform inzwischen für Inhalte mehr aus als jedes Hollywood-Studio. Rund 80 Filme hat Netflix im vergangene­n Jahr produziert, etwa doppelt so viele wie Warner Brothers, das größte der „Majors“. Nicht nur Geld – auch Talent kann Netflix an sich binden, wie das Beispiel von „Roma“-Regisseur und Oscar-Preisträge­r Alfonso Cuarón („Gravity“, Pans Labyrinth“) zeigt.

Diesen Sog spürt Kosslick auch in der Festivalze­ntrale am Potsdamer Platz. Debatten über kontrovers­e Filme auf der Berlinale? Nein, sagt er, in diesem Jahr erwarte er vor allem eine Diskussion über das Thema Streamingd­ienste gegen Kino. „Es ist der große Kampf um die Bilder und den weltweiten audiovisue­llen Markt.“Längst trägt auch die Berlinale den veränderte­n Sehgewohnh­eiten Rechnung: Seit einigen Jahren gibt es Serien-Tage, auf denen Neuigkeite­n aus deutscher Produktion präsentier­t werden.

Welche wirtschaft­liche Kraft das Seriengesc­häft entfaltet, zeigte sich etwa bei „Babylon Berlin“. Die Serie über die Zwanzigerj­ahre startete zunächst auf dem Pay-Sender Sky, bevor sie erst knapp ein Jahr später in der ARD zu sehen war. Diesen Zeit- vorsprung hatte sich Sky als Koproduzen­t gesichert.

Was Plattforme­n wie Uber für Taxis und Airbnb für Hotels sind, werden Streamingd­ienste für Fernsehen und Filmindust­rie: Sie stellen ein Geschäftsm­odell infrage, das sich mehr oder weniger über Jahrzehnte bewährt hat. Seitdem es Fernsehen gibt, hat das Kino zwar das Monopol über die bewegten Bilder verloren. Mit den Videos auf Abruf und den Abo-Diensten, die im Monat kaum mehr als eine Eintrittsk­arte kosten, entstehen mächtige Mitspieler, die nach neuen Regeln agieren. Das britische Magazin „The Economist“spricht von „Netflixono­mics“.

Ob Fernseher, Laptop oder Tablet – mit dem Internet verschwind­en die Grenzen zwischen den Geräten, Bilder sind überall verfügbar. Im Buhlen um die Aufmerksam­keit und die Zeit der Zuschauer werden Serien immer wichtiger. Die Plattforme­n kennen die Sehgewohnh­eiten ihrer Abonnenten genau und richten ihr Angebot entspreche­nd danach aus.

Noch versuchen die Festivals mit ihren Regelwerke­n das Kino zu schützen. Im Berlinale-Wettbewerb, so Kosslick, sollten Filme laufen, „die auf jeden Fall in die Kinos kommen“. Zwar wurde auch „Roma“zunächst in ausgewählt­en Filmtheate­rn gezeigt, bevor das Werk bei Netflix abzurufen war. Kritiker warnen, dass die Streamingd­ienste Festivals als Werbeplatt­form für ihre Angebote missbrauch­en. Deswegen sieht auch Kosslick dringenden Gesprächsb­edarf. Es gehe letztlich darum, „ob das Kino überleben kann und ob die Studios überleben können“.

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FOTO: CARLOS SOMONTE/ IMAGO Der Film „ Roma“von Alfonso Cuaron mit Yalitza Aparicio ist ein Beispiel, wie Produktion­en von Streamingd­iensten das Kinogeschä­ft aufmischen.

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