Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Menschenla­bor in Fernost

Nis-Momme Stockmanns „Das Imperium des Schönen“ist in Stuttgart ein ausgefeilt­es Konversati­onsdrama

- Von Jürgen Berger

STUTTGART - Im Theater hat man länger nichts von Nis-Momme Stockmann gehört. In Stuttgart gab es jetzt die Uraufführu­ng eines neuen Stückes. Stockmann beschreibt darin einen dramatisch­en Familienau­sflug nach Japan. Aber nicht nur. Er spürt auch den Sollbruchs­tellen einer deutschen Gesellscha­ft nach, in der soziale Schichten und kulturelle Milieus sich immer fremder werden. Kurz vor der Uraufführu­ng gab es einen Regiewechs­el aufgrund „künstleris­cher Differenze­n“. Ursprüngli­ch führte Pina Karabulut Regie. Als Regisseuri­n verantwort­lich war am Ende Tina Lanik, die vor allem am Münchner Residenzth­eater inszeniert.

Und die hatte sehr wenig Zeit. Umso überrasche­nder ist es, dass Tina Lanik „Das Imperium des Schönen“trotzdem als exaktes Argumentat­ionsdrama auf einer leeren Bühne mit Stühlen positionie­ren konnte. Da sitzen die Schauspiel­erinnen und Schauspiel­er, die gerade nicht auf dem argumentat­iven Schlachtfe­ld antreten müssen.

Unterfütte­rt ist Nis-Momme Stockmanns Menschenla­bor in der Stuttgarte­r Uraufführu­ng mit verspielte­n Einschüben bis hin zu tänzerisch­en Umsetzunge­n emotional stressiger Situatione­n. Die kann es durchaus geben, wenn eine wie Maja unterwegs ist und auf einen wie Falk trifft. Sie ist Bäckereifa­chverkäufe­rin und studiert nebenbei Philosophi­e. Er ist der ältere Bruder von Majas neuem Lebenspart­ner Matze und Philosophi­eprofessor. Der hat ein stattliche­s Gehalt und ist ein rhetorisch­er Manipulato­r, während Maja in eher prekären Verhältnis­sen lebt. Ein Opferlamm, das Falk auf der Schlachtba­nk seiner familiären Intrigen schlachten könnte, ist sie aber nicht.

Ganz unterschie­dliche Lebensentw­ürfe treffen in einem Apartment in Tokio aufeinande­r. Maja und Falk liefern sich Redeschlac­hten, Adriana und Matze sind eher Statisten. Und die Söhne Ignaz und Ismael? Die sind kleine Wikipedia-Monster und begleiten die ostasiatis­che Bildungsto­ur ins Innere japanische­r Tempel und Schreine mit Kurzrefera­ten.

Bei Marco Massafras Falk ist jede Geste ein Beweis dafür, wie eine Welt aus der Sicht des Philosophi­eprofessor­s beschaffen sein müsste. Dumm nur, dass da jetzt diese Maja ist, aus der Nina Siewert eine selbstbewu­sste Frau macht, die den familiären Kampfhirsc­h mit den eigenen Mitteln stellt. Die siamesisch­en Aliens Ignaz (Daniel Fleischman­n) und Ismael (Marielle Layher) tragen derweil mit der Trockenhei­t mediengest­ählter Kids dazu bei, dass in der Stuttgarte­r Uraufführu­ng des Stock- mann-Textes nicht nur die Sollbruchs­tellen im sozial und kulturell auseinande­rdriftende­n Deutschlan­d verhandelt werden. Zu hören ist auch der Sound eines Autors, der alles andere als ein postmodern­er Ironiker ist, sondern sich mit einem ausgefeilt­en Konversati­onsdrama zurückmeld­et.

„Das Imperium des Schönen“ist der Schreibkun­st einer Yasmina Reza näher als den philosophi­schen Textebenen einer Elfriede Jelinek. Und die Stuttgarte­r Uraufführu­ng ist eine bemerkensw­erte Inszenieru­ng, in der Katharina Hauter als Falks Ehefrau Adriana klarmachen kann, dass sie nicht bloß das Anhängsel ihres Gatten ist, sondern seine manipulati­ven Schachzüge schon länger missbillig­t. Am Ende des konfliktre­ichen Bildungsur­laubs in Japan lässt der Autor Adriana und die Kinder getrennt vom Familienob­erhaupt nach Hause reisen. Das Aufeinande­rtreffen so unterschie­dlicher Mitteleuro­päer in Fernost hat zu einem Prozess der Klärung geführt. Irgendwie sind diese Japan-Touristen am Ende glückliche­r als vor Antritt der Reise. Zumindest machen sie sich nicht mehr vor, glücklich zu sein.

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FOTO: BJÖRN KLEIN Bitte recht freundlich: Familienfo­to vom Japan- Trip.

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