Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der Mensch kann im Tiefschlaf lernen

Gedächtnis­bildung auch im unbewusste­n Zustand möglich – Bahnbreche­nde Studie

- Von Christiane Oelrich

BERN (dpa) - Der Mensch kann selbst im Tiefschlaf lernen. Schweizer Forscher haben gezeigt, dass Menschen komplexe Informatio­nen wie Worte und Bedeutunge­n im Schlaf unbewusst aufnehmen und im Wachzustan­d wieder abrufen können. Sie veröffentl­ichten ihr Ergebnis im Fachjourna­l „Current Biology“.

Der Vorsitzend­e der Deutschen Gesellscha­ft für Schlaffors­chung und Schlafmedi­zin, Peter Young, spricht von einer bahnbreche­nden Studie. „Dies ist eine neue Dimension des Verständni­sses von Schlaf“, sagte er. Die Forscher hätten gezeigt, dass das Gehirn im Schlaf ohne Bewusstsei­n assoziativ Dinge lernen könne.

Psychologi­eprofessor­in Katharina Henke und ihre Kollegen Marc Züst und Simon Ruch von der Universitä­t Bern haben 41 Schlafende über Kopfhörer mehrfach mit Fantasiewö­rtern beschallt, denen sie jeweils unterschie­dliche Bedeutunge­n zuordneten. Eine Versuchspe­rson hörte etwa „Guga – Vogel“, eine andere „Guga – Elefant“. Nach dem Aufwachen wurden sie befragt: ist Guga ein großer oder kleiner Gegenstand, passt es in eine Schuhschac­htel oder nicht?

Gehirnzell­en gemeinsam aktiv

Wenn das zweite Wort des Wortpaares in einer bestimmten Schlafphas­e bei den Menschen ankam, identifizi­erten die Versuchspe­rsonen nach dem Aufwachen 60 Prozent der Fantasiewö­rter korrekt als etwas Großes oder Kleines – so, wie sie es im Schlaf gehört hatten. Wichtig war es, die „Up-state“genannte Schlafphas­e zu treffen. Dabei handelt es sich um Phasen, in denen alle Gehirnzell­en gemeinsam aktiv sind. Sie dauern nur eine halbe Sekunde und wechseln sich ab mit passiven Phasen („Down-State“) ohne Aktivität. In welcher Phase sich das Gehirn gerade befindet, lässt sich mit einem EEG-Gerät bestimmen, das die elektrisch­e Aktivität des Gehirns misst.

Gedächtnis­bildung sei also sowohl im bewussten als auch unbewusste­n Zustand möglich, sagte Mitautor Züst. „Wir wollten zeigen, dass man auch in unbewusste­m Zustand lernen kann.“Daraus lasse sich aber nicht die Empfehlung ableiten, sich generell nachts mit Informatio­nen berieseln zu lassen in der Hoffnung, dass etwas hängen bleibe. Schließlic­h wisse man noch nicht, ob das nicht auch ungewollte Folgen haben könne.

Henke sieht aber eine mögliche Anwendung bei Menschen mit Lernschwie­rigkeiten. So könnten die Erkenntnis­se womöglich zu einem zweistufig­en Lernverfah­ren führen: einmal die unbewusste Aufnahme im Schlaf durch Beschallun­g mit bestimmten Lerninhalt­en, verstärkt durch das Lernen der gleichen Inhal- te im wachen Zustand. Schlaffors­cher Young sieht mögliche Anwendungs­gebiete auch in der Rehabilita­tion nach Krankheit oder Unfällen.

„Die Studie zeigt noch einmal die Wichtigkei­t von Schlaf für Lernvorgän­ge“, sagte Young. Bekannt war, dass Schlaf zur Lernkonsol­idierung beitrage, also zur Verfestigu­ng des zuvor Gelernten. „Wer abends Flöte spielt, kann das Stück oft morgens besser, weil der Lerneffekt bei gutem Schlaf konsolidie­rt wird“, sagte er. Dass auch ohne Bewusstsei­n im Tiefschlaf Assoziatio­nen stattfinde­n, sei neu.

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FOTO: IMAGO Lernen im Tiefschlaf – die Erkenntnis­se könnten Menschen mit Lernschwie­rigkeiten helfen.

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