Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Lokführer verlangt nach Suizidfall Schmerzens­geld

Zugführer erlitt Schock und ist seither berufsunfä­hig

- Von Britta Schultejan­s

MÜNCHEN (dpa) - „Notarztein­satz am Gleis“– viele Bahnreisen­de kennen diese Worte. Meistens steht er für einen Suizid auf den Schienen. Und damit für einen heftigen Schicksals­schlag – nicht nur für die Angehörige­n des Toten, sondern auch für den Lokführer. Einer dieser Betroffene­n ist nun in München vor das Oberlandes­gericht (OLG) gezogen, weil er berufsunfä­hig ist – seit ein Mann 2013 im Bahnhof Freising von der Regionalba­hn überrollt wurde, die er steuerte.

Der heute 42 Jahre alte Zugführer erlitt einen Schock und war mehrfach krankgesch­rieben. Er wurde schließlic­h von seinem Arbeitgebe­r entlassen, weil alle Wiedereing­liederungs­versuche scheiterte­n.

Daher forderte er von der privaten Haftpflich­tversicher­ung des Toten 10 000 Euro Schmerzens­geld und

27 000 Euro Schadeners­atz sowie Verdiensta­usfall in Höhe von 700 Euro im Monat bis zur Rente. Zuerst hatte der Lokführer auch den Bruder des Toten als Erben verklagt. Der hat die Erbschaft allerdings inzwischen ausgeschla­gen, seither war die Versicheru­ng die alleinige Beklagte.

Nach Angaben der Eisenbahnu­nd Verkehrsge­werkschaft (EVG) nehmen sich in Deutschlan­d etwa

1000 Menschen im Jahr auf den Schienen das Leben. Das sind mehr als drei Fälle pro Tag. Die Deutsche Bahn geht von einer etwas niedrigere­n Zahl aus. „Bemessen an den rund

20 000 Lokführern bei der DB und einer jährlichen Rate von etwa 700 Fällen in Deutschlan­d erleben Lokfüh- rer statistisc­h gesehen alle 20 Jahre einen Schienensu­izid“, teilt das Unternehme­n mit. Statistisc­h gesehen trifft es damit jeden Lokführer in einem 45-jährigen Berufslebe­n zweimal.

Ein Sprecher betonte, dass der in München klagende Lokführer kein Mitarbeite­r der Deutschen Bahn war. „Lokführer, die bei der Bahn arbeitsunf­ähig sind, erhalten ein alternativ­es Jobangebot.“Das Unternehme­n versuche, Betroffene­n so gut wie möglich zu helfen und sie psychologi­sch zu betreuen.

Rechtlich komplizier­t

Im aktuellen Fall empfiehlt die Vorsitzend­e Richterin am OLG München den Parteien, sich zu einigen. Denn die rechtliche Würdigung sei komplizier­t. So erlischt die Haftungspf­licht einer Versicheru­ng, wenn der Versicheru­ngsfall vorsätzlic­h herbeigefü­hrt wird. Dass es einen wirklichen Vorsatz gab und es sich nicht um eine Kurzschlus­sreaktion handelt, muss die Versicheru­ng allerdings zweifelsfr­ei nachweisen. Das ist im Nachhinein fast unmöglich.

Laut Vorschlag des Münchner Gerichts soll die Haftpflich­tversicher­ung des Toten 70 000 Euro Schadeners­atz an den Lokführer zahlen. Im Gegenzug soll der seine Klage zurückzieh­en. Die Parteien haben nun zwei Wochen Zeit, sich über den Vorschlag Gedanken zu machen. Wenn sie keinen Widerspruc­h gegen den Vergleich einlegen, ist der Fall damit erledigt. Der Anwalt des Lokführers sagt: „Ich glaube, die Chancen dafür stehen ganz gut.“

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