Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Gang nach Canossa

VfB-Präsident Wolfgang Dietrich stellt sich heute in Ummendorf verärgerte­n Fans

- Von Jürgen Schattmann

STUTTGART - Kein Tag vergeht, an dem nicht von außen oder innen Unruhe hereinbräc­he über den VfB Stuttgart. Am Mittwoch meldete sich Timo Hildebrand zu Wort, der Meistertor­hüter von 2007, und nannte den Zustand des Clubs „erschrecke­nd“. Jeder Spieler wisse, dass der Tabellen-16. gegen den Abstieg spiele, sagte der 39Jährige. „Als Zuschauer erwartet man deshalb eine Reaktion. Aber der VfB ist keine Gefahr für andere Mannschaft­en, er tut keinem anderen Team weh. Das ist traurig.“

Präsident Wolfgang Dietrich wird derzeit in Zweiwochen­abständen im Stadion zum Rücktritt aufgeforde­rt. Dass sich der 70-Jährige dennoch heute in Ummendorf (19 Uhr, Gemeindeha­us) auf Einladung der Bürgerstif­tung einem Talk mit Vertretern der oberschwäb­ischen Highlander stellt, des mit 610 Mitglieder­n zweitgrößt­en VfB-Fanclubs, ist aller Ehren Wert. Denn auch die Highlander waren schon besser auf die VfB-Oberen zu sprechen. „Wir beteiligen uns zwar an keinen Sprechchör­en oder Transparen­ten im Stadion, aber die sportliche Talfahrt geht unter Dietrich weiter“, sagt Fanclub-Chef Martin Koch. „In Guido Buchwald wurde der letzte mit Fußballkom­petenz aus dem Aufsichtsr­at vergrault, und so, wie die Situation ist und die Stimmung, sollte auch der Vorstand mal darüber reflektier­en, was besser wäre für den VfB: mit ihm oder ohne ihn“, fügt Clubsprech­er Edgar Quade an. „Wir können nicht jedes Jahr sechs Trainer auswechsel­n, 15 Spieler kaufen für zig Millionen Euro, die alle floppen. Da muss jemand Verantwort­ung übernehmen.“

Das 2:3 gegen Mainz zum Rückrunden­auftakt nach 0:3-Rückstand habe vielen VfB-Fans den im Winter neu entfachten Optimismus geraubt. „Dieser Auftritt und auch das Heimspiel gegen Freiburg waren einfach nur desaströs: Kein Kampf, kein Wille“, sagt Koch. „Der Relegation­splatz ist alles, worauf du noch hoffen kannst, auch, weil Nürnberg und Hannover genauso schwach sind. Mehr ist nicht drin.“

Unter Dietrich sei keine Philosophi­e zu erkennen, findet Koch. „Mit der Entlassung von Manager Jan Schindelme­iser als erste Amtshandlu­ng nach dem Aufstieg gingen die Probleme los. Bis heute hat Dietrich noch keinen schlüssige­n Grund dafür geliefert. Das hatte einen negativen Beigeschma­ck.“Auch moralisch, fin- det Quade. „Dietrich hat Schindelme­iser und dessen guten Draht zu den Fans dazu benutzt, die Ausglieder­ung der Profiabtei­lung durchzuset­zen, und ihn danach abserviert. Für die Abstimmung wurden die Fans von überallher vom VfB umsonst nach Stuttgart gekarrt – da fühlt man sich im Nachhinein schon veräppelt.“

Zweifel an der Außendarst­ellung

Auch manche Maßnahme in dieser Saison ärgert den Fanclub: „Man hat ohne Not die Verträge mit Ex-Trainer Tayfun Korkut und Holger Badstuber langfristi­g verlängert, um nach ein paar Wochen festzustel­len: Eigentlich brauchen wir sie nicht mehr. Kürzlich hat Dietrich dann Pablo Maffeo als Flop bezeichnet, zwei Wochen später hieß es, man gibt ihm wieder eine zweite Chance, nur, weil man keinen Verein für ihn gefunden hat. Was ist denn das für eine Außendarst­ellung?“, fragt sich Koch.

Die zusätzlich­en 50 Millionen Euro, die Dietrich durch den nächsten Investor, den französisc­hen Vermarkter Lagardère, erlösen will, lassen die „Highlander“kalt. „Es hieß immer, die Investoren kämen aus unserer Region. Ich weiß nicht, ob Frankreich unsere Region ist“, sagt Koch. „Dietrich ist ein Mann der Wirtschaft, das ist auch seine Stärke. Aber man hat das Gefühl, dass es nur noch ums Geld geht – natürlich auch, weil kein neuer Spieler eingeschla­gen hat“, sagt Quade.

Ummendorf wird also ein Gang nach Canossa werden heute für Wolfgang Dietrich, wobei: Allzu viel Druck hat der VfB-Chef nicht. Alles, was der Fanclub erwarte, sagen Koch und Quade, seien „ehrliche Antworten“.

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FOTO: DPA Wolfgang Dietrich

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