Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Ausstellung „Anwalt ohne Recht“eröffnet
Im Amtsgericht wird die Verfolgung jüdischer Juristen dokumentiert.
SIGMARINGEN - Die Wanderausstellung „Anwalt ohne Recht – Schicksale jüdischer Anwälte in Deutschland nach 1933“ist am Mittwoch im Sigmaringer Amtsgericht eröffnet worden. Die von der Bundesrechtsanwaltskammer konzipierte Ausstellung wird seit Jahren nicht nur bundesweit sondern in aller Welt gezeigt, darunter in Israel, Amerika und europäischen Staaten. Sie greift die lange vernachlässigte Aufarbeitung der Nazi-Justiz besonders gegenüber jüdischen Juristen auf und lässt diesen eine bescheidene Gerechtigkeit widerfahren.
Die Ausstellung ist auf Initiative von Christoph Freudenreich, Direktor des Amtsgerichts Sigmaringen, der die Gäste begrüßte, und der Deutsch-Israelischen Juristenvereinigung, Regionalgruppe Südwest, zustande gekommen. „Gerade in Zeiten von wieder aufkeimendem Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus ist diese Ausstellung wichtig, denn sie zeigt, dass auch die Justiz damals versagt hat“, betonte Freudenreich.
Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tübingen, Präsident des Deutschen Anwaltsvereins a.D., erinnerte daran, dass diese Ausstellung auch in Jerusalem gezeigt wurde, und er sei beeindruckt gewesen, wie sie dort aufgenommen wurde. Man habe sich bislang viel zu wenig mit den Opfern der NS-Unrechtsjustiz befasst, wenn man bedenke, dass rund 90 Prozent der jüdischen Juristen-Kollegen in der Nazizeit zu Tode gekommen seien.
Anhand eines originalen Reichsgesetzblattes aus dem Jahr 1933 erläuterte Kilger die rasante Auflösung des Weimarer Rechtsstaates nach der Machtergreifung der Nazis. Schon am 1. Februar 1933 gibt es die erste Verordnung, die von Adolf Hitler, dem Reichspräsidenten Hindenburg und dem Justizminister unterschrieben ist. „Da geht es los“, betonte Kilger und verwies darauf, dass es sich um eine Verordnung und nicht um ein vom Reichstag verabschiedetes Gesetzt handelt. Am 28. Februar werden Presse- und Versammlungsfreiheit und weitere Rechte abgeschafft und nach dem Reichstagsbrand entmachtet sich der Reichstag mit den Stimmen der bürgerlichen Parteien, der Rechten und der Nazis selbst. „Das ist der Vorlauf dessen, worum es geht.“
Juristisch ist die Ausgrenzung präzise vorgearbeitet
Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums beginnt dann die Ausgrenzung nichtarischer Juristen, wobei der Begriff „arisch“bewusst schwammig gehalten ist und so einen möglichst breiten Eingriff ermöglicht. „Man erkennt, da wurde juristisch feine, saubere Vorarbeit geleistet“, sagte Kilger, die Auflösung des juristischen Systems war also schon lange beschlossen. „Es folgt eine Parforcetour durch die komplette Änderung der Rechtslage für Beamte und Anwälte.“
Viele jüdische Anwälte hätten eigentlich aufgrund ihrer soliden Ausbildung wissen müssen, was auf sie zukam und hätten dennoch nicht die Konsequenzen gezogen, weil sie nicht geglaubt hätten, dass die Folgen so radikal würden, sagte Kilger. Auffällig sei, dass beim von den Nazis organisierten Deutschen Juristentag 1933 in Leipzig auf einmal zwischen 12 000 und 25 000 Juristen – die höhere Zahl ist nicht bestätigt – anwesend waren, ohne dass eine Verpflichtung zur Teilnahme bestand. Normal wären zwischen 3000 und 4000 Teilnehmern gewesen.
Ein Grußwort sprach der Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Juristenvereinigung, Lothar Scholz. Er erinnerte an den israelischen Rechtsanwalt Joel Levi, der Gründungsmitglied und langjähriges Vorstandsmitglied der Deutsch-Israelischen Juristenvereinigung war und zu den ursprünglichen Initiatoren der Ausstellung gehörte.
Die Ausstellung zeigt auf mehreren Roll-Up-Textwänden verschiedene Themenbereiche der Ausgrenzung der jüdischen Juristen. Unter der Überschrift „Deportiert und ermordet“werden mehrere Schicksale vorgestellt, ein anderer Beitrag widmet sich dem Tübinger Juristen Simon Hayum, dessen Haus man in der Nähe des Bahnhofs heute noch sehen kann und der rechtzeitig in die USA auswandern konnte. Elisabeth Kohn erhält ihr Visum für Kuba, als es schon zu spät ist. Sie wird deportiert und in Kowno (Kaunas) in Litauen ermordet.
Solche Biografien stehen beispielhaft für Tausende andere. Die Ausstellung wurde ergänzt durch weitere biografische Darstellungen des Schicksals jüdischer Juristen, die für die Dauerausstellung "NS-Justiz in Stuttgart" vom Haus der Geschichte aufbereitet wurde.
Die Ausstellung ist bis zum 11. Oktober während der Dienstzeiten des Amtsgerichts geöffnet und auch für Schulklassen geeignet.