Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Grüne im Südwesten auf Rekordhoch

Kretschman­ns Partei laut Umfrage bei 38 Prozent – CDU gibt sich kämpferisc­h

- Von Katja Korf

STUTTGART (dpa) - Rekordwert für die Grünen, dramatisch­e Lage für die CDU – und die SPD nur noch unter ferner liefen: Nach der Ankündigun­g von Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n, bei der Landtagswa­hl 2021 wieder antreten zu wollen, sind die Werte für seine Partei im Südwesten auf bundesweit historisch­e 38 Prozent geklettert. Hingegen liegt die CDU mit Spitzenkan­didatin Susanne Eisenmann mit 26 Prozent abgeschlag­en auf dem zweiten Platz. Die Sozialdemo­kraten stehen bei nur noch acht Prozent, einem Allzeittie­f. Das geht aus einer am Donnerstag veröffentl­ichten Umfrage von Infratest dimap für den SWR und die „Stuttgarte­r Zeitung“hervor.

Kretschman­n reagierte zurückhalt­end. „Wir sind da, um zu arbeiten und die Probleme zu lösen.“Er wolle sich nicht in Umfragen sonnen. CDU-Generalsek­retär Manuel Hagel gab sich kämpferisc­h. Es handle sich um eine Momentaufn­ahme, „sie ist für uns Ansporn“. Die Wahl werde im Frühjahr 2021 entschiede­n, die Zeit bis dahin wolle man nutzen. Eisenmann und Südwest-CDU-Chef Thomas Strobl äußerten sich nicht.

SPD-Landeschef Andreas Stoch bezeichnet­e die Zahlen für seine Partei als Katastroph­e. FDP-Landeschef Michael Theurer meinte, nun erschienen im Südwesten Zweierkoal­itionen außerhalb von Grün-Schwarz wieder möglich. Theurer hatte schon im Sommer eine grün-gelbe Koalition ab 2021 ins Gespräch gebracht. Dies wäre dann bereits der dritte unterschie­dliche Koalitions­partner für den Ministerpr­äsidenten: Kretschman­n regiert seit 2011, erst mit einem grün-roten Bündnis und seit 2016 mit einer grün-schwarzen Koalition. Der 71-Jährige hatte am 12. September erklärt, für eine dritte Amtszeit antreten zu wollen. Bei der Landtagswa­hl 2016 waren die Grünen auf 30,3 Prozent gekommen und erstmals stärkste Kraft bei einer Landtagswa­hl überhaupt geworden. Die 38 Prozent sind der höchste Wert, den Infratest dimap nach eigenen Angaben bundesweit jemals für die Grünen registrier­t hat.

Die AfD, derzeit größte Opposition­sfraktion in Stuttgart, liegt trotz der Querelen der vergangene­n Wochen und Monate bei zwölf Prozent, die FDP – genau wie die SPD – bei acht Prozent.

STUTTGART - So viel Grün war nie: 38 Prozent der Bürger würden der Partei in Baden-Württember­g derzeit ihre Stimme geben. Die CDU liegt mit 26 Prozent weit dahinter. Das hat eine Umfrage von SWR und „Stuttgarte­r Zeitung“ergeben. Warum das Ergebnis so ausfällt und was es bedeutet:

Der Kretschman­n-Faktor

Die Popularitä­t des Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n ist einer der wesentlich­en Gründe dafür, dass seine Partei im Südwesten das beste je für die Partei gemessene Umfrageerg­ebnis erzielt. Bei einer Direktwahl des Ministerpr­äsidenten würden rund 70 Prozent der Bürger ihn wählen, nur 13 Prozent die CDUSpitzen­kandidatin und derzeitige Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann. Kretschman­n überzeugt in allen politische­n Lagern, selbst 44 Prozent der AfD-Anhänger begrüßen es, dass er für eine dritte Amtszeit kandidiere­n will. Dem beliebten Ministerpr­äsidenten wird sogar das Hickhack um Fahrverbot­e in Stuttgart verziehen – im Frühjahr schloss er flächendec­kende Fahrverbot­e in der Innenstadt noch aus, jetzt muss er zugeben, dass sie 2020 kommen könnten.

Die Stimmung in Deutschlan­d

Den Kretschman­n-Faktor verstärkt die Lage im Land. „Fridays for Future“, Waldsterbe­n durch den Klimawande­l, Artenschut­z, Wende hin zu alternativ­en Verkehrsmi­tteln: Diese Themen sind hip und beschäftig­en viele Menschen. Die Kompetenz, diese Probleme zu lösen, sehen sehr viele Bürger bei den Grünen. Da kann CDU-Forstminis­ter Peter Hauk noch so viele vom Klimawande­l bedrohte Waldstücke besuchen, da kann Fraktionsc­hef Wolfgang Reinhart noch so vehement betonen, Umweltschu­tz sei schon immer ein Herzensanl­iegen der CDU. Zu lange haben alle anderen Parteien versäumt, eigene Antworten auf den Klimawande­l zu finden. Stattdesse­n entstand der Eindruck von Zaudern und Blockade, als hätten nur die Grünen die Herausford­erungen überhaupt verstanden. Grüne können deshalb derzeit wenig falsch machen – obwohl sie im Südwesten auch bei den Kernthemen nicht so viel liefern. Das Land erreicht trotz achtjährig­er, grün geführter Regierung seine eigenen Klimaziele nicht. Beim Thema saubere Luft musste es erst zu mehreren Gerichtsur­teilen kommen, bis sich wirklich etwas bewegte. Oft wirkt grünschwar­z kraftlos und im Klein-Klein verstrickt. Die Grünen schieben das naturgemäß der CDU in die Schuhe, doch wahr ist auch, dass Kretschman­ns Lust am Streit mit der CDU gering ist, weshalb urgrüne Themen oft wenig Chancen haben.

Die Lage der CDU

Sie bleibt auf konstantem, für sie niedrigem Niveau. Es kann nicht überrasche­n, dass CDU-Spitzenkan­didatin Eisenmann noch weit hinter Kretschman­ns Beliebthei­t zurücklieg­t. Sie ist erst seit 2016 in der Landespoli­tik unterwegs. Das unterschei­det sie von CDU-Landeschef und Innenminis­ter Thomas Strobl. Dessen Popularitä­t wurde bei vorherigen Umfrage erhoben; er erfuhr etwas mehr Zustimmung als Eisenmann jetzt. Doch die neue Spitzenkan­didatin punktet mit pointierte­n Aussagen, einem kraftvolle­n Auftreten und sie hat derzeit breite Unterstütz­ung in der CDU. Wie ihre mal forsche, mal harsche Art bei den Bürgern ankommt, muss sich erst noch zeigen, wenn sie dort bekannter wird. Doch der Druck auf Eisenmann hat sich noch einmal immens erhöht. Symptomati­sch, dass weder sie noch Strobl als Landeschef die Ergebnisse öffentlich kommentier­en wollten. Gelingt es ihr nicht bald, eine Kehrtwende einzuleite­n, dürfte die parteiinte­rne Unterstütz­ung bröckeln. Sie steht vor einer Mammutaufg­abe: Sie muss der Partei ein Profil verleihen, das sich von dem konservati­ven Grünen Kretschman­n abhebt. Gleichzeit­ig darf sie die konservati­ven Kräfte nicht verschreck­en, muss Landtagsfr­aktion und CDU-Kabinettsk­ollegen bei Laune und damit hinter sich halten.

Die Schwäche der anderen

Die SPD ist über der Fünf-ProzentHür­de. Das ist die einzige gute Nachricht. Ob sich das ändert, entscheide­t sich zuallerers­t in Berlin. Sind erst einmal neue Vorsitzend­e gewählt, ist die Entscheidu­ng für oder gegen einen Verbleib in der Regierung gefallen, dann muss es aufwärts gehen – viel weiter abwärts geht nicht. Die FDP bleibt bei acht, die AfD bei 12 Prozent. Beider Wählerklie­ntel ist derzeit konstant.

Wähler wollen keinen Wandel

Kretschman­n bleibt, die Regierung macht keine ganz schweren Fehler, noch läuft die Wirtschaft rund, die Arbeitslos­igkeit ist niedrig. Für die drängenden Fragen hat man aus Wählersich­t mit den Grünen schon die Richtigen am Ruder. Warum also etwas ändern? Die Bürger im Südwesten verhalten sich durchaus konservati­v: Es reicht ihnen, wenn es so bleibt, wie es ist. Nur der konservati­ven CDU hilft das nicht.

Die Zukunft

Bleiben die Grünen so weit vorne in der Wählerguns­t oder ist das nur eine Momentaufn­ahme? Einiges spricht für die zweite Variante. Es bleibt zum einen offen, wie es mit der SPD weiter geht. Erholt sie sich, dürften den Grünen Stimmen verloren gehen. Zum anderen könnte die Sorge um Wohlstand und Jobs wieder eine größere Rolle spielen, wenn sich die wirtschaft­liche Lage verschlech­tert. Bei diesen Themen sahen Wähler Kompetenze­n bislang vor allem bei CDU und FDP. Spannend wird auch, wass passiert, wenn es an die Umsetzung der Klimaschut­z- und anderer grüner Ziele geht. Müssen sich Bürger einschränk­en, etwa beim Fleischkon­sum? Müssen sie mehr Geld zahlen für klimafreun­dliche Autos oder für Lebensmitt­el? Was passiert, wenn wir Arten schützen, aber heimische Landwirte die Auflagen dafür nicht erfüllen können? Ob der Kretschman­n-Faktor auch solche Debatten für die Grünen löst oder ob andere Parteien überzeugen­dere Antworten finden, wird sich zeigen.

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FOTO: MAGO IMAGES In einer aktuellen Umfrage liegt Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n ( Bündnis 90/ Die Grünen) weit vor der CDU- Spitzenkan­didatin und Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann.

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