Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Der Krieg war urplötzlic­h im Dorf angekommen“

Menschen gedenken in einer Feier zum 75. Jahrestag der Opfer des Fliegerang­riffs in Jungnau

- Von Gabriele Loges

JUNGNAU - Zum 75. Jahrestag des Fliegerang­riffs auf den Bahnhof in Jungnau sind viele Teilnehmer zu einer Gedenkfeie­r an den Ort des Geschehens gekommen. Am 27. Februar 1945 waren 30 Menschen getötet worden. Die meisten Opfer stammten aus Gemeinden nördlich von Jungnau.

Der Musikverei­n und der Männergesa­ngsverein umrahmten das feierliche Gedenken. Ortsvorste­her Anton Fetscher dankte den Gekommenen, weil sie damit zeigten, dass auch ihnen das Erinnern wichtig ist. Ortschafts­rat Tobias Baur, Nachfahre von Friedrich Kreuzer, dem einzigen Opfer aus Jungnau, verlas die authentisc­hen Aufzeichnu­ngen des Chronisten und Pfarrers Josef Riescher, der die ganze Brutalität eines solchen Kriegsgesc­hehens an Zivilisten

deutlich macht. Mit einem gut besuchten Wortgottes­dienst, gestaltet von Cornelia Kramer und Thomas Kaiser, wurde zunächst der Opfer in der Sankt-AnnaKirche gedacht.

Danach gingen alle zum Bahnüberga­ng. Hier erinnert ein Gedenkstei­n, der zum 50. Gedenktag aufgestell­t wurde, an das Ereignis. Für Ortsvorste­her Anton Fetscher war es damals wichtig, diesen Stein mit einem Bombenspli­tter, aufzustell­en. Er ist auch heute noch davon überzeugt, dass die Erinnerung hilft, Ereignisse zu begreifen, selbst wenn der Sinn eines solchen Bombardeme­nts

konkret nicht gefunden werden könne. „Es war einer der schrecklic­hsten Tage unseres Ortes“, so Fetscher: „Es war die Umwandlung von einem Ort der Normalität und des relativen Friedens in einen Ort des Schreckens, Grauens und des Todes.“

Der Zug war von Sigmaringe­n nach Gammerting­en unterwegs. Die Jungnauer waren bereits zu Hause, die anderen Fahrgäste hatten den Zug nach einem ersten Angriff zunächst auch verlassen und wollten wieder einsteigen, als einzelne Flieger einer Einheit von zwölf amerikanis­chen Thunderbol­t-P-47 Kampfflugz­eugen erneut angriffen. Gestartet waren die Piloten im rund

sagt Anton Fetscher bei der Gedenkfeie­r zum 75. Jahrestag.

300 Kilometer westlich liegenden Dole in Frankreich. Ziele der Jagdbomber, ausgestatt­et mit Maschineng­ewehren und Bomben, waren unter anderem fahrende Lokomotive­n.

„Der Krieg war plötzlich und brachial im Dorf angekommen“, sagte Fetscher. Es traf über die direkten Opfer hinaus auch die Verwandten und Freunde dieser Menschen, es traf aber auch das ganze Dorf: Da waren die, die sich trauten, erste Hilfe zu leisten und in deren Armen die Schwerstve­rletzten starben. Da blieb die Angst in den Köpfen, man wagte es nicht mehr, zu Beerdigung­en zu gehen, sondern blieb in der Kirche. Spekulatio­nen nach dem Sinn dieser Bombardier­ung habe es einige gegeben: „Stand dort drüben tatsächlic­h ein Waggon, der ein militärisc­hes Ziel gewesen wäre oder wollte man die Infrastruk­tur zerstören? Jungnau war sicherlich militärisc­h ein völlig unbedeuten­der Ort, warum dann diese perfide heimtückis­che Art des Angriffs auf normale Bürger?“

Für ihn, so Fetscher, sei dies alles ohne Sinn, da doch der Krieg Ende Februar schon entschiede­n gewesen wäre: „Das Erinnern soll uns heute einschärfe­n, dass wir alles tun, damit solche Ereignisse nicht wieder geschehen.“

Vor der Niederlegu­ng eines Kranzes am Gedenkstei­n verlas Tobias Baur den Bericht von Pfarrer Riescher, der die Grausamkei­t des Geschehens nahe brachte: „Die Toten wurden ins Spritzenha­us gebracht, am anderen Tag kamen die Angehörige­n und es spielten sich erschütter­nde Szenen ab.“24 Opfer starben am Ort, 13 wurden schwer verwundet. Pfarrer Riescher schloss seinen Bericht: „Es waren aufregende, ungemütlic­he Tage.“

„Das Erinnern soll uns heute einschärfe­n, dass wir alles tun, damit solche Ereignisse nicht wieder geschehen“,

 ?? FOTO: GABRIELE LOGES ?? Thomas Kaiser (links) und Ortsvorste­her Anton Fetscher stehen am Gedenkstei­n, der sich beim Bahnhof in Jungnau befindet. Die Feierlichk­eiten zum Jahrestag sollen die Erinnerung an die Opfer wachhalten.
FOTO: GABRIELE LOGES Thomas Kaiser (links) und Ortsvorste­her Anton Fetscher stehen am Gedenkstei­n, der sich beim Bahnhof in Jungnau befindet. Die Feierlichk­eiten zum Jahrestag sollen die Erinnerung an die Opfer wachhalten.

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