Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Der Krieg war urplötzlich im Dorf angekommen“
Menschen gedenken in einer Feier zum 75. Jahrestag der Opfer des Fliegerangriffs in Jungnau
JUNGNAU - Zum 75. Jahrestag des Fliegerangriffs auf den Bahnhof in Jungnau sind viele Teilnehmer zu einer Gedenkfeier an den Ort des Geschehens gekommen. Am 27. Februar 1945 waren 30 Menschen getötet worden. Die meisten Opfer stammten aus Gemeinden nördlich von Jungnau.
Der Musikverein und der Männergesangsverein umrahmten das feierliche Gedenken. Ortsvorsteher Anton Fetscher dankte den Gekommenen, weil sie damit zeigten, dass auch ihnen das Erinnern wichtig ist. Ortschaftsrat Tobias Baur, Nachfahre von Friedrich Kreuzer, dem einzigen Opfer aus Jungnau, verlas die authentischen Aufzeichnungen des Chronisten und Pfarrers Josef Riescher, der die ganze Brutalität eines solchen Kriegsgeschehens an Zivilisten
deutlich macht. Mit einem gut besuchten Wortgottesdienst, gestaltet von Cornelia Kramer und Thomas Kaiser, wurde zunächst der Opfer in der Sankt-AnnaKirche gedacht.
Danach gingen alle zum Bahnübergang. Hier erinnert ein Gedenkstein, der zum 50. Gedenktag aufgestellt wurde, an das Ereignis. Für Ortsvorsteher Anton Fetscher war es damals wichtig, diesen Stein mit einem Bombensplitter, aufzustellen. Er ist auch heute noch davon überzeugt, dass die Erinnerung hilft, Ereignisse zu begreifen, selbst wenn der Sinn eines solchen Bombardements
konkret nicht gefunden werden könne. „Es war einer der schrecklichsten Tage unseres Ortes“, so Fetscher: „Es war die Umwandlung von einem Ort der Normalität und des relativen Friedens in einen Ort des Schreckens, Grauens und des Todes.“
Der Zug war von Sigmaringen nach Gammertingen unterwegs. Die Jungnauer waren bereits zu Hause, die anderen Fahrgäste hatten den Zug nach einem ersten Angriff zunächst auch verlassen und wollten wieder einsteigen, als einzelne Flieger einer Einheit von zwölf amerikanischen Thunderbolt-P-47 Kampfflugzeugen erneut angriffen. Gestartet waren die Piloten im rund
sagt Anton Fetscher bei der Gedenkfeier zum 75. Jahrestag.
300 Kilometer westlich liegenden Dole in Frankreich. Ziele der Jagdbomber, ausgestattet mit Maschinengewehren und Bomben, waren unter anderem fahrende Lokomotiven.
„Der Krieg war plötzlich und brachial im Dorf angekommen“, sagte Fetscher. Es traf über die direkten Opfer hinaus auch die Verwandten und Freunde dieser Menschen, es traf aber auch das ganze Dorf: Da waren die, die sich trauten, erste Hilfe zu leisten und in deren Armen die Schwerstverletzten starben. Da blieb die Angst in den Köpfen, man wagte es nicht mehr, zu Beerdigungen zu gehen, sondern blieb in der Kirche. Spekulationen nach dem Sinn dieser Bombardierung habe es einige gegeben: „Stand dort drüben tatsächlich ein Waggon, der ein militärisches Ziel gewesen wäre oder wollte man die Infrastruktur zerstören? Jungnau war sicherlich militärisch ein völlig unbedeutender Ort, warum dann diese perfide heimtückische Art des Angriffs auf normale Bürger?“
Für ihn, so Fetscher, sei dies alles ohne Sinn, da doch der Krieg Ende Februar schon entschieden gewesen wäre: „Das Erinnern soll uns heute einschärfen, dass wir alles tun, damit solche Ereignisse nicht wieder geschehen.“
Vor der Niederlegung eines Kranzes am Gedenkstein verlas Tobias Baur den Bericht von Pfarrer Riescher, der die Grausamkeit des Geschehens nahe brachte: „Die Toten wurden ins Spritzenhaus gebracht, am anderen Tag kamen die Angehörigen und es spielten sich erschütternde Szenen ab.“24 Opfer starben am Ort, 13 wurden schwer verwundet. Pfarrer Riescher schloss seinen Bericht: „Es waren aufregende, ungemütliche Tage.“
„Das Erinnern soll uns heute einschärfen, dass wir alles tun, damit solche Ereignisse nicht wieder geschehen“,