Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Bilgram produziert jetzt Desinfektionsmittel
Ostracher Chemie-Betrieb beliefert öffentliche Institutionen und Hilfsorganisationen in der Region
OSTRACH - Seit Mittwoch läuft bei Bilgram Chemie ein neues Produkt vom Band: Desinfektionsmittel. Ermöglicht wurde dies aufgrund der aktuellen Situation rund um die Ausbreitung des Coronavirus und mit einer Allgemeinverfügung der Bundesstelle für Chemikalien. Beliefert werden aber ausschließlich öffentliche Institutionen und Hilfsorganisationen.
Die Produktion von Desinfektionsmitteln war Chemieherstellern wie Bilgram bislang untersagt – obwohl Infrastruktur und Rohstoffe vorhanden wären. „Dazu hätten wir eine separate Zulassung gebraucht, die für ein mittelständisches Unternehmen wie uns finanziell nicht zu stemmen wäre“, erklärt Bereichsleiterin Carina Paschen. Aufgrund des auch durch Hamsterkäufe entstandenen Engpasses etwa bei alkoholischen Desinfektionsmitteln gibt es seit Freitagabend die Allgemeinverfügung. „Mit Hochdruck haben wir Abfülllinien und Produktion umgestellt, um schnellstmöglich die Ware zur Verfügung zu stellen“, sagt Paschen. Seit Mittwoch gibt es die ersten Flaschen und Kanister mit Desinfektionsmitteln. Diese Produktion habe es zuvor noch nie bei Bilgram gegeben. Die Allgemeinverfügung gilt bis September.
Zu den Vorgaben der Allgemeinverfügung gehören, die Mittel nach bestimmter Rezeptur herzustellen, und sie nur an gewerbliche Abnehmer zu liefern. „Und diese müssen systemrelevant sein“, betont Paschen. Um auch bei diesen Hamsterkäufe zu vermeiden, gibt es jeweils bestimmte Mengen. Über die neue Produktion hat das Unternehmen Bilgram Chemie
bislang die Landratsämter Sigmaringen und Ravensburg informiert, welche die Nachricht entsprechend an relevante Stellen weitergeben. „Die Region hat für uns ganz klaren Vorrang. So lange Alkohol verfügbar ist, wird er bei uns für keine anderen Mittel verwendet“, sagt Paschen. Daher wurde die Produktion von bestimmten Reinigungsmitteln gestoppt, um der Medizinbranche Vorrang zu geben. Wucherpreise, die es teilweise derzeit auf dem Markt gebe, hätten Kunden nicht zu erwarten. „Rohstoffe und Mitarbeiter müssen bezahlt sein, aber hohe Gewinnspannen oder Konkurrenzdenken haben in solch einer Lage keine Priorität“, sagt Paschen. Daher stehe das Unternehmen auch in Kontakt mit Mitbewerbern, um sich gegenseitig zu unterstützen. Sie hoffe, dass lange genug die Rohstoffe lieferbar seien. „Die Suche nach Alkohol hat international begonnen. Mit der Schließung der Grenzen spüren wir auch innerhalb der EU eine Zeitverzögerung bei allen Rohstoffen.“Auch zusätzliche 18 000 Kanister seien bestellt worden, um die Abfüllung gewährleisten zu können.
Größte Herausforderung in der Produktion des Desinfektionsmittels auf Ethanol-Basis sei der Flammpunkt des schnell entzündlichen Materials. So muss die Abfüllanlage zum Beispiel speziell geerdet sein, damit sich durch statische Aufladung nichts entzünden kann. Wichtig sei zudem das richtige Verhältnis von Alkohol und Wasser. Denn bei reinem Alkohol würde der Virusstamm
konserviert, er müsse aber in Verbindung mit Wasser aufgebrochen werden, um vernichtet werden zu können.
Als reine Vorsichtsmaßnahme vor Diebstahl werden die fertigen Desinfektionsmittel weggeschlossen, nur einzelne Mitarbeiter haben Zugang. „Ich denke, das hatten wir noch nie bei einem Produkt“, sagt Paschen. An Kurzarbeit sei im Betrieb zumindest derzeit nicht zu denken. Fast alle Mitarbeiter sind fleißig im Einsatz.