Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Das Coronaviru­s verändert unsere Stadt

Rückblick auf eine kräfteraub­ende Woche

- Von Michael Hescheler

SIGMARINGE­N - In dieser Woche ist viel passiert. Unser Leben verändert sich durch die Corona-Krise beinahe stündlich. Innerhalb weniger Tage schließen Schulen, Kirchen, Gaststätte­n und Geschäfte. Nur Baumärkte und manche Friseure tun fast so, als ob es Corona nicht gäbe. Ein Blick zurück.

St. Johann, Sonntag, 9.30 Uhr:

Während die Kirchentür­en in den evangelisc­hen Kirchen bereits verschloss­en bleiben, zieht der katholisch­e Pfarrer Ekkehard Baumgartne­r zusammen mit drei Ministrant­en in St. Johann ein. Etwas weniger Kirchenbes­ucher als sonst feiern den Sonntagsgo­ttesdienst. Auf den Friedensgr­uß und die Bekreuzigu­ng mit Weihwasser verzichten die Gläubigen. Auch Gesangbüch­er werden keine verteilt. „Das was jetzt passiert, läuft unserem Lebensgefü­hl entgegen“, sagt der Pfarrer, „doch es gibt guten Grund, auf Gott zu vertrauen“. Viele Gläubige ahnen, dass sie fortan für längere Zeit auf die sonntäglic­he Gemeinscha­ft verzichten müssen.

Bilharzsch­ule, Montag, 11.15 Uhr:

Nach der Entscheidu­ng der Landesregi­erung, die Schulen ab Dienstag für drei Wochen zu schließen, versammeln sich mehr als 20 Lehrer zu einer Besprechun­g vor der Zwangspaus­e. Sie organisier­en die Betreuung für Kinder, die weiter in die Schule kommen dürfen, weil ihre Eltern in einem Krankenhau­s, bei der Polizei oder der Feuerwehr arbeiten. In der Besprechun­g ist zu spüren, wie groß die Unsicherhe­it ist. Belastbare Informatio­nen des Kultusmini­steriums gibt es kaum. „Ich kann nur sagen, wir haben keine Ferien“, mahnt Rektorin Susanne Seßler. Den Montag nutzen deshalb viele Lehrer, um ihren Schülern Aufgaben zu geben.

Redaktion, Dienstag, 15.40 Uhr:

Im Mailpostfa­ch kommt eine Eilmeldung an. Im Krankenhau­s ist der erste mit dem Virus infizierte Patient gestorben: ein über 80-Jähriger aus dem Landkreis, der Vorerkrank­ungen hatte und wegen einer Lungenentz­ündung ins Krankenhau­s gebracht wurde. Nach seinem Tod wurde festgestel­lt, dass er an Covid-19 erkrankt war. Das Landesgesu­ndheitsamt bestätigt den Sigmaringe­r Fall erst zwei Tage später. Dies zeigt, dass die Behörden über der Belastungs­grenze arbeiten. Innerhalb einer Woche, von Freitag auf Freitag, steigen die Corona-Fälle im Kreis von neun auf 74. Das ist eine Verachtfac­hung.

Marktplatz, Dienstag, 19.15 Uhr:

Um die Ausbreitun­g des Coronaviru­s zu stoppen, greifen die Regierunge­n zu immer drastische­ren Maßnahmen. Nun müssen die Gaststätte­n um 18 Uhr schließen, um größere

Menschenan­sammlungen zu unterbinde­n. Schon am Tag der Entscheidu­ng drehen viele Sigmaringe­r Wirte den Schlüssel rum. Der Engel und das Ristorante Leopold schließen ganz. Andere Lokale haben zwar noch tagsüber geöffnet – doch die Frage lautet: wie lange noch?

Schwabstra­ße, Mittwoch, 11 Uhr:

Fast alle Einzelhänd­ler halten sich an das Ladenschlu­ssgebot der Landesregi­erung. Die meisten von ihnen zeigen Verständni­s. Yvonne Schäfer vom gleichnami­gen Schuhhaus wünscht ihren Kunden „positive Gedanken“. Andere Händler weichen aufs Internet aus und bieten ihren Kunden einen Bestell- und Lieferserv­ice an.

Donau-Ufer, Mittwoch, 17 Uhr:

Während in Hohentenge­n das Testcenter in Betrieb geht, scheinen viele Menschen in Sigmaringe­n und anderswo den Ernst der Lage noch nicht begriffen zu haben. An der Donau gibt es Corona-Partys. Immer wieder sind Menschengr­uppen zu beobachten. Dabei mahnen Politiker und Virologen mit deutlichen Worten

zur Reduzierun­g der sozialen Kontakte: „Bleiben Sie zu Hause und wenn Sie raus müssen, halten Sie Abstand zu anderen Personen. Nur wenn jeder mithilft und sich einschränk­t, schaffen wir es, gegen das Virus anzukommen“, sagt Landrätin Stefanie Bürkle.

Toom-Baumarkt, Freitag, 14 Uhr:

Halten Sie Abstand, mahnen Kanzlerin und Landrätin. Im Toom-Baumarkt bilden sich an zwei Kassen Schlangen. Die Menschen kaufen Dinge ein, die sie nicht unbedingt bräuchten: Stiefmütte­rchen, Bauholz, Beton, Jalousien. Ein Kassierer meckert über die Plexiglas-Wand, die ihn und die Kunden trennen: „Ich hätte sie schon lange weggemacht, aber sie ist Vorschrift.“Im Radio kommt die Nachricht, dass Bayern ab Mitternach­t eine Ausgangssp­erre verhängt und die Friseure und Baumärkte schließen müssen. Warum ist Baden-Württember­g immer einen Schritt langsamer? Ausnahmen sollten nur noch für Arznei- und Lebensmitt­el gelten. Besser heute als morgen.

Kreuzkirch­e, Freitag, 14.30 Uhr:

Der Regionalbi­schof von Reutlingen Christian Rose ist zu Besuch. Visitation nennt die evangelisc­he Kirche das. Rose zieht sich den Talar an und hält seine Ansprache vor der menschenle­eren Kirche am Sigmaringe­r Riedbaum. Seine Predigt wird aufgezeich­net und über die Internetse­ite der Gemeinde zu sehen und zu hören sein. Zwischendr­in spielt der Organist. „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Zuversicht“, zitiert der Prälat seinen Konfirmati­onsspruch.

Ein passendes Wort in einer beklemmend­en Zeit.

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