Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Das Coronavirus verändert unsere Stadt
Rückblick auf eine kräfteraubende Woche
SIGMARINGEN - In dieser Woche ist viel passiert. Unser Leben verändert sich durch die Corona-Krise beinahe stündlich. Innerhalb weniger Tage schließen Schulen, Kirchen, Gaststätten und Geschäfte. Nur Baumärkte und manche Friseure tun fast so, als ob es Corona nicht gäbe. Ein Blick zurück.
St. Johann, Sonntag, 9.30 Uhr:
Während die Kirchentüren in den evangelischen Kirchen bereits verschlossen bleiben, zieht der katholische Pfarrer Ekkehard Baumgartner zusammen mit drei Ministranten in St. Johann ein. Etwas weniger Kirchenbesucher als sonst feiern den Sonntagsgottesdienst. Auf den Friedensgruß und die Bekreuzigung mit Weihwasser verzichten die Gläubigen. Auch Gesangbücher werden keine verteilt. „Das was jetzt passiert, läuft unserem Lebensgefühl entgegen“, sagt der Pfarrer, „doch es gibt guten Grund, auf Gott zu vertrauen“. Viele Gläubige ahnen, dass sie fortan für längere Zeit auf die sonntägliche Gemeinschaft verzichten müssen.
Bilharzschule, Montag, 11.15 Uhr:
Nach der Entscheidung der Landesregierung, die Schulen ab Dienstag für drei Wochen zu schließen, versammeln sich mehr als 20 Lehrer zu einer Besprechung vor der Zwangspause. Sie organisieren die Betreuung für Kinder, die weiter in die Schule kommen dürfen, weil ihre Eltern in einem Krankenhaus, bei der Polizei oder der Feuerwehr arbeiten. In der Besprechung ist zu spüren, wie groß die Unsicherheit ist. Belastbare Informationen des Kultusministeriums gibt es kaum. „Ich kann nur sagen, wir haben keine Ferien“, mahnt Rektorin Susanne Seßler. Den Montag nutzen deshalb viele Lehrer, um ihren Schülern Aufgaben zu geben.
Redaktion, Dienstag, 15.40 Uhr:
Im Mailpostfach kommt eine Eilmeldung an. Im Krankenhaus ist der erste mit dem Virus infizierte Patient gestorben: ein über 80-Jähriger aus dem Landkreis, der Vorerkrankungen hatte und wegen einer Lungenentzündung ins Krankenhaus gebracht wurde. Nach seinem Tod wurde festgestellt, dass er an Covid-19 erkrankt war. Das Landesgesundheitsamt bestätigt den Sigmaringer Fall erst zwei Tage später. Dies zeigt, dass die Behörden über der Belastungsgrenze arbeiten. Innerhalb einer Woche, von Freitag auf Freitag, steigen die Corona-Fälle im Kreis von neun auf 74. Das ist eine Verachtfachung.
Marktplatz, Dienstag, 19.15 Uhr:
Um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen, greifen die Regierungen zu immer drastischeren Maßnahmen. Nun müssen die Gaststätten um 18 Uhr schließen, um größere
Menschenansammlungen zu unterbinden. Schon am Tag der Entscheidung drehen viele Sigmaringer Wirte den Schlüssel rum. Der Engel und das Ristorante Leopold schließen ganz. Andere Lokale haben zwar noch tagsüber geöffnet – doch die Frage lautet: wie lange noch?
Schwabstraße, Mittwoch, 11 Uhr:
Fast alle Einzelhändler halten sich an das Ladenschlussgebot der Landesregierung. Die meisten von ihnen zeigen Verständnis. Yvonne Schäfer vom gleichnamigen Schuhhaus wünscht ihren Kunden „positive Gedanken“. Andere Händler weichen aufs Internet aus und bieten ihren Kunden einen Bestell- und Lieferservice an.
Donau-Ufer, Mittwoch, 17 Uhr:
Während in Hohentengen das Testcenter in Betrieb geht, scheinen viele Menschen in Sigmaringen und anderswo den Ernst der Lage noch nicht begriffen zu haben. An der Donau gibt es Corona-Partys. Immer wieder sind Menschengruppen zu beobachten. Dabei mahnen Politiker und Virologen mit deutlichen Worten
zur Reduzierung der sozialen Kontakte: „Bleiben Sie zu Hause und wenn Sie raus müssen, halten Sie Abstand zu anderen Personen. Nur wenn jeder mithilft und sich einschränkt, schaffen wir es, gegen das Virus anzukommen“, sagt Landrätin Stefanie Bürkle.
Toom-Baumarkt, Freitag, 14 Uhr:
Halten Sie Abstand, mahnen Kanzlerin und Landrätin. Im Toom-Baumarkt bilden sich an zwei Kassen Schlangen. Die Menschen kaufen Dinge ein, die sie nicht unbedingt bräuchten: Stiefmütterchen, Bauholz, Beton, Jalousien. Ein Kassierer meckert über die Plexiglas-Wand, die ihn und die Kunden trennen: „Ich hätte sie schon lange weggemacht, aber sie ist Vorschrift.“Im Radio kommt die Nachricht, dass Bayern ab Mitternacht eine Ausgangssperre verhängt und die Friseure und Baumärkte schließen müssen. Warum ist Baden-Württemberg immer einen Schritt langsamer? Ausnahmen sollten nur noch für Arznei- und Lebensmittel gelten. Besser heute als morgen.
Kreuzkirche, Freitag, 14.30 Uhr:
Der Regionalbischof von Reutlingen Christian Rose ist zu Besuch. Visitation nennt die evangelische Kirche das. Rose zieht sich den Talar an und hält seine Ansprache vor der menschenleeren Kirche am Sigmaringer Riedbaum. Seine Predigt wird aufgezeichnet und über die Internetseite der Gemeinde zu sehen und zu hören sein. Zwischendrin spielt der Organist. „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Zuversicht“, zitiert der Prälat seinen Konfirmationsspruch.
Ein passendes Wort in einer beklemmenden Zeit.