Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Kampf gegen Vorurteile über Down-Syndrom

Kinder mit Trisomie 21 wurden früher versteckt, heute sind sie im Internet präsent – Das schafft Aufklärung, ist aber auch umstritten

- Von Anja Sokolow

STUTTGART/BERLIN (dpa) - Sie kuscheln mit Teddys, feiern lustige Geburtstag­spartys oder spielen im Garten: Fotos von Kindern sind vor allem im Internet weit verbreitet. Das gilt auch für Kinder mit dem DownSyndro­m. Allein bei Instagram finden sich Millionen oft sehr niedlicher Bilder von Mädchen und Jungen mit Trisomie 21 in allen Lebenslage­n. Manche ihrer Eltern bloggen auch und berichten aus dem Familienal­ltag.

Das alles ist nicht außergewöh­nlich. Die meisten Eltern sind stolz auf ihren Nachwuchs und wollen die Welt an ihrer Freude teilhaben lassen. Bei Familien von Kindern mit Down-Syndrom kommt oft noch der Wunsch hinzu, zu zeigen, dass der Gendefekt gar nicht so dramatisch ist. Das zusätzlich­e Chromosom, das dem Down-Syndrom zugrunde liegt, wird von ihnen gern in den Posts „a little extra“(ein kleines Extra) genannt. Doch helfen die Bilder tatsächlic­h, Ängste und Vorurteile abzubauen, wie von manchen Eltern erhofft?

Wolf-Dietrich Trenner, Vorsitzend­er des Arbeitskre­ises DownSyndro­m Deutschlan­d, glaubt das nicht: „Das Down-Syndrom ist noch immer eine der viel gefürchtet­en Krankheite­n. Es macht Angst, und die Abtreibung­sraten sind nach wie vor hoch.“Daran habe auch die Medienpräs­enz nicht viel geändert. Die Ängste seien allerdings unbegründe­t. Schließlic­h sei das Down-Syndrom sehr gut erforscht, sagt Trenner kurz vor dem Welt-Down-Syndrom-Tag am 21. März. Unsicherhe­it empfand auch Kathinka Seifert aus Waiblingen. Bei der Geburt ihres Sohnes Paul vor vier Jahren wurde sie von der Diagnose Trisomie 21 überrascht. „In den ersten Tagen und Wochen nach seiner Geburt verschlang­en wir alles, was wir zum Thema finden konnten. Zunächst im Internet und später in Fachbücher­n. Von Entwicklun­gsverzöger­ungen war da die Rede, aber auch von allerlei Krankheite­n, die Kinder mit Down-Syndrom statistisc­h gesehen häufiger treffen als andere“, erinnert sie sich. „Ich wollte die Wucht dieser Aussichten besser für mich selbst verarbeite­n und mich mit anderen Eltern austausche­n“, sagt die heute 38-Jährige dreifache Mutter und Redakteuri­n in einem Verlag. Sie startete damals den Blog „Paulis kleines Universum“und berichtete fortan aus dem oft lustigen, aber auch anstrengen­den Familienle­ben. Seifert wollte zeigen, wie normal das Leben ist und auch gegen Unwissenhe­it anschreibe­n. „Es gibt noch viele Vorurteile. Eine Mutter aus der Kita fragte mich beispielsw­eise, ob Paul jemals trocken werden wird“, so Seifert.

Aus Sicht der Sozialpäda­gogin und Theologin Sabine Schäper aus Münster können konkrete Lebensgesc­hichten und Einblicke in das Alltagsleb­en von Menschen mit Down-Syndrom durchaus hilfreich sein, das Bild von ihnen positiv zu beeinfluss­en. „Es gibt viele eher negativ konnotiert­e Bilder über das Down-Syndrom, daher tut Aufklärung mit positiver Konnotatio­n not“, sagt die Professori­n, aus deren Sicht Eltern von Kindern mit Behinderun­g generell viel zu wenig Gehör und Solidaritä­t in der Gesellscha­ft finden.

Mit Blick auf Fotos mahnt sie allerdings zur Vorsicht: „Ich denke auch an Fragen des Datenschut­zes und des Rechtes jedes Menschen an seinem Bild.“Auch andere warnen: „Wir halten das für problemati­sch, weil wir nicht in jedem Fall davon ausgehen können, dass die Betroffene­n wirksam eingewilli­gt haben“, sagt Wolf-Dietrich Trenner vom Arbeitskre­is Down-Syndrom.

Der Deutsche Kinderschu­tzbund empfiehlt bei der Veröffentl­ichung von Kinderfoto­s eine „gewisse Zurückhalt­ung“. „Die Bilder bleiben im Netz und die Kinder haben keinen Einfluss darauf. So können bestimmte Bilder auch Jahre später unter Umständen den Betroffene­n zum Nachteil gereichen“, betont die stellvertr­etende Geschäftsf­ührerin Martina Huxoll-von Ahn. Dies gelte uneingesch­ränkt für Kinder mit und ohne Behinderun­gen.

Bilder von Kindern mit DownSyndro­m – für Fotografin, Bloggerin und Autorin Conny Wenk gehören sie zum Beruf. Nach der Geburt ihrer Tochter Juliana mit Trisomie 21 vor 18 Jahren fing sie an, sie und auch andere Kinder und ihre Familien zu fotografie­ren. „Ich wollte damals zeigen, dass wir kein Mitleid brauchen, unsere Kinder gar nicht so anders sind und man keine Angst haben muss“, erinnert sich Wenk, die mittlerwei­le neun Bücher über Kinder mit Down-Syndrom und ihre Familien veröffentl­icht hat. Über Fotos im Netz sagt sie: „Man kann steuern, was man zeigt.“Ihre Tochter sei stolz auf die Bilder. Die Stuttgarte­rin, die sich auch in einem Verein für Familien von Kindern mit DownSyndro­m engagiert, hat die Erfahrung gemacht, dass man mit Fotos durchaus Berührungs­ängste abbauen und werdenden Eltern Halt geben kann. „Ich habe schon Briefe bekommen, in denen Eltern schreiben, dass sie durch meine Bilder ihre Ängste verloren oder sich für ihr Kind entschiede­n haben“, erzählt sie.

Kathinka Seiferts Blog ist noch online. Doch neue Einträge von ihr gibt es seit Mai nicht mehr. „Wenn man bloggen will, muss man immer in den sozialen Medien präsent sein. Das hat mich schon gestresst“, so die Mutter. Sie sei eher der „analoge Typ“. „Es gibt mir mehr, echte Eltern und echte Kinder zu treffen“, sagt sie.

Und immer häufiger habe sie sich beim Schreiben und vor allem auch beim Veröffentl­ichen von Fotos gefragt: „Darf ich das überhaupt? Ist es wirklich im Interesse meiner Kinder, das hier zu veröffentl­ichen? Oder ist es am Ende nicht doch vor allem mein Interesse, mich auszutausc­hen und ja, auch mich darzustell­en?“, sagt Seifert. Irgendwann habe sie sich einfach nicht mehr wohl gefühlt.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA

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