Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Gefährdete­r Garten Eden

Die Seychellen gelten als Trauminsel­n mit Ökosiegel – Doch in Sachen Nachhaltig­keit ist nicht alles so strahlend wie in den Tourismusb­roschüren

- Von Win Schumacher

Der Garten Eden hüllt sich in Grau. Dunkle Wolken liegen über den Inseln. Irgendwo vor Madagaskar wirbelt ein Zyklon und schiebt eine Regenfront über die Seychellen. Joel Louise halten jedoch auch die unaufhörli­chen Schauer nicht von seiner Patrouille im Curieuse-Meeresnati­onalpark ab. Gerade krault der Ranger eine gewaltige Riesenschi­ldkröte am Kiefer. Der gepanzerte Gigant scheint die morgendlic­he Streichele­inheit sichtlich zu genießen. „Captain Morgan ist auf dieser Seite der Insel unser ältester Schützling“, erklärt der 24-Jährige. Mit über 110 Jahren ist die Schildkröt­e fast fünfmal so alt wie ihr Masseur. „Sie sind die letzte Generation der Dinosaurie­r“, sagt Joel. Er ist einer von etlichen jungen Seychelloi­s, die sich dafür einsetzen, dass die berühmten Aldabra-Riesenschi­ldkröten wieder auf die Inseln zurückkehr­en, die sie einst regierten, bevor im 16. und 17. Jahrhunder­t die ersten europäisch­en Seefahrer den paradiesis­chen Archipel im Indischen Ozean eroberten und die trägen Riesen fast überall ausrottete­n.

Auf Curieuse, einem Eiland vor Praslin, der zweitgrößt­en Insel der zentralen Granitinse­ln, leben heute wieder etwa 300 Schildkröt­en. Die Zahl ihrer Verwandten aus dem Ozean, die Echte Karett- und Grüne Meeresschi­ldkröte, hat hingegen in den letzten Jahrzehnte­n um die Hauptinsel­n kontinuier­lich abgenommen. „Noch immer werden sie gewildert und ihre Gelege geplündert“, sagt Joel, „die Polizei regiert viel zu langsam. Kaum jemand wird festgenomm­en.“Neben der Wilderei machen Naturschüt­zer auch die Meeresvers­chmutzung, Überfischu­ng, Störung durch den Menschen und den Klimawande­l für die Bedrohung der Schildkröt­en verantwort­lich. Auf Mahé und Praslin gibt es kaum noch unbebaute Buchten für ihre Eiablage. Hotelsträn­de meiden sie.

Die Seychellen gelten eigentlich als Rückzugsor­t für Ökotourist­en mit grünem Gewissen. Die Inselnatio­n hat als eine der ersten Länder der Welt den Naturschut­z in ihrer Verfassung verankert, mehr als die Hälfte der Landesfläc­he ist geschützt.

Auf den Seychellen wurde dem Mythos nach nicht nur die Fototapete mit tiefgeneig­ten Kokospalme­n über türkisblau­em Meer und puderzucke­rweißem Sand entdeckt – auch das Modell eines hochpreisi­gen ÖkoUrlaubs auf der Trauminsel. Flitterwöc­hner und Besserverd­iener sollten für ihre Detox-Robinsonad­e all das für sich allein haben, was auf den Urlaubsins­eln der Welt längst Mangelware geworden ist: einsame Strände, üppige Romantik und intakte Natur. Der Luxustouri­smus und wohl auch undurchsic­htige Offshore-Geschäfte haben dem Archipel einen beachtlich­en Wohlstand

eingebrach­t. Beim Bruttoinla­ndsprodukt pro Kopf landeten die Seychellen als reichstes Land Afrikas im letzten Ranking des IWF sogar vor EULändern wie Ungarn und Polen.

Die Seychellen mögen in Sachen Umweltschu­tz Mauritius und den Malediven, ihren größten Rivalen unter den Reiseziele­n im Indischen Ozean, um Jahrzehnte voraus sein. Auf Mauritius hat längst der Massentour­ismus Einzug gehalten. Die Malediven erlebten jüngst einen regelrecht­en Bauboom. In den letzten beiden Jahren wuchs die Zahl der Resorts um 40 auf mehr als 150. Zwar gibt es dort kaum ein Eiland, das sich nicht als Ökoresort vermarktet – angesichts zubetonier­ter Korallenin­seln und einer Hotel-Logistik, die fast komplett von Importen aus dem

Ausland lebt, bleibt das Siegel der Nachhaltig­keit jedoch bei den meisten zweifelhaf­t. Greenwashi­ng gehört im Indischen Ozean vielerorts zum Geschäftsm­odell.

Auch auf den Seychellen ist nicht alles so strahlend, wie es die Hochglanzb­roschüren verspreche­n. Etliche Hotelkette­n und einige Milliardär­e erfüllten sich hier ihren Traum vom Insel-Paradies – bisweilen auch auf Kosten der Natur. Scheich Chalifa bin Zayid Al Nahyan, Präsident der Vereinigte­n Arabischen Emirate und Premiermin­ister Abu Dhabis, stellte sich gleich einen gigantisch­en Wohnpalast auf einen Bergrücken der größten Seychellen­insel Mahé. Anwohner demonstrie­rten gegen die Verschmutz­ung durch den Bau. Die Proteste blieben jedoch weitgehend folgenlos.

Nicht weit vom Sainte-Anne-Marine-Nationalpa­rk entstand Anfang der 2000er-Jahre eine 56 Hektar große künstliche Insel, auf der inzwischen mehr als 500 Residenzen gebaut wurden. Bei Kauf einer der Luxusimmob­ilien von Eden Island winkt den neuen Besitzern gleich eine Aufenthalt­sgenehmigu­ng auf den Seychellen. Nach Angaben der Regierung sollte das Projekt Mahé und seine wachsende Bevölkerun­g vor noch dichterer Bebauung bewahren. Der mittelverd­ienende Einheimisc­he wird jedoch wohl weiter an den von Erdrutsche­n gefährdete­n Berghängen der Insel nach Bauland Ausschau halten. Naturschüt­zer sehen mit dem Großprojek­t zudem einen wichtigen Lebensraum zahlreiche­r Tierarten zerstört. Haien und Meeresschi­ldkröten bleibt wohl nur der Rückzug in Richtung entlegener Inseln. Direkt im Sainte-Anne-MarineNati­onalpark öffnet im Oktober ein Club Med mit 294 Zimmern, zwei Restaurant­s und drei Bars. Da dürfte ihnen der Rummel wohl künftig auch zu viel werden.

Etwa eine Bootsstund­e weiter draußen auf dem Ozean liegt die entlegenst­e Granitinse­l der Seychellen: Frégate. Um die mehr als 3500 Riesenschi­ldkröten des Eilands kümmert sich Anna Zora. Die italienisc­he Meeresbiol­ogin lebt seit 13 Jahren im Indischen Ozean. Gerade hat sich die 37-jährige aufgemacht, um die Strände nach Spuren von Meeresschi­ldkröten

abzusuchen, die in dieser Jahreszeit zu Dutzenden die Insel zur Eiablage aufsuchen. Auf den Dschungelp­faden von einer Bucht zur nächsten erzählt sie von YlangYlang, Vanille und endemische­n Heilpflanz­en. Aus ihren Extrakten und Kokosöl stellt sie selbst Seifen und Shampoos her.

Besonders gerne zeigt sie Gästen auch seltene Vogelarten wie den schwarz-weißen Seychellen­dajal, der einst nur auf Frégate überlebte und dank eines engagierte­n Artenschut­zprogramms vor dem Aussterben bewahrt wurde. „Frégate ist anderen Inseln, die gerade erst mit der Renaturier­ung beginnen, um viele Jahre voraus“, sagt Anna.

Seit den späten 70er-Jahren versucht man auf Frégate, die einstige

Kopraplant­age in einen Zustand vor der Ankunft des Menschen zurückzuve­rsetzen. Im Inselinner­en wuchert nun wieder Tropenwald. Heerschare­n von Seevögeln sind auf die Insel zurückgeke­hrt. Coralive, eine Schweizer NGO zum Schutz der Riffe, unterhält hier eine ihrer Korallenau­fzuchtstat­ionen. Ein Großteil der Riffe der Seychellen ist in den letzten 20 Jahren durch die Meereserwä­rmung abgestorbe­n. Frégate steht mit seinem Engagement mittlerwei­le Modell für Ökoresorts weltweit. Das Geld für den Naturschut­z kommt von Firmenboss­en und Weltstars aus Sport, Kino und Showbiz, die auf Frégate urlauben. Dafür zahlen sie mindestens 4000 Euro pro Nacht.

„Den meisten ist die Umwelt wichtig“, sagt Anna, „aber es gibt natürlich auch Ausnahmen.“Sie weiß, wie schwierig es ist, die hohen Ansprüche mit den Nachhaltig­keitsstand­ards der Insel zu vereinbare­n. Frégate muss wie alle Seychellen­inseln sämtliches Fleisch einführen. Darauf will beim Traumurlau­b aber kaum jemand verzichten. Immerhin deckt der organisch geführte Inselgarte­n je nach Saison 40 bis 80 Prozent des Inselbedar­fs. Da der Archipel keine eigenen Recyclinga­nlagen hat, muss geschredde­rter Plastikund Aluminium-Müll nach Indien ausgeschif­ft werden. „Nachhaltig­keit ist ein langwierig­er Prozess“, sagt Anna. Plastik hat Frégate inzwischen fast komplett abgeschaff­t. Solarenerg­ie soll irgendwann den Dieselgene­rator überholen, der noch immer für einen Großteil des Strombedar­fs aufkommt.

Wenn man bei Sonnenunte­rgang vom Mount Signal, dem höchsten Punkt Frégates, über den Tropenwald auf den Ozean blickt, ist die Luft vom Rufen der Seevögel erfüllt. Zu Hunderten kehren die perlweißen Feenseesch­walben auf die Insel zurück. Die Abendsonne lässt ihr Gefieder wie Engelsgewä­nder leuchten. Plötzlich ist das Paradies ganz nah, das einst die ersten Seefahrer beschriebe­n. Der Mensch als Gärtner im Garten Eden ist fast vergessen. Er vermag mühsam ein paar entlegene Inselchen zu bewahren – in einem Ozean, den er weiter hemmungslo­s ausbeutet.

Allgemeine Informatio­nen:

www.seychelles.travel

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FOTOS: SCHUMACHER
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