Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Pflegedienste in Not
Tote in Würzburger Heim – Engpässe erschweren Arbeit
DORTMUND/RV (KNA/sz) - Die Deutsche Stiftung Patientenschutz fordert Bund und Länder in der Corona-Krise auf, Patienten und Personal in Pflegeheimen besser zu schützen. „Der Tod von neun Pflegeheimbewohnern in Würzburg muss ein Weckruf sein“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch: „Es gilt, die Pflegebedürftigen und ihre Helfer wirksam zu schützen. Sonst kommt es zu einem Flächenbrand, der zu viele Opfer kosten wird.“
Auch ambulante Pflegedienste geraten in der Corona-Krise zunehmend in Not. Rund 175 000 Menschen werden allein in Baden-Württemberg und Bayern täglich von Pflegediensten versorgt. Denen gehen derzeit vor allem die Atemschutzmasken aus. Aber auch fehlende oder unklare Vorgaben zum Umgang mit erkrankten Pflegebedürftigen macht den Diensten die Arbeit schwer, erfuhr die „Schwäbische Zeitung“.
RAVENSBURG - In der Corona-Krise einfach zu Hause bleiben, ist für Manuel Geßler und seine Kollegen bei der Katholischen Sozialstation Friedrichshafen keine Option. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Pflegedienstleiters versorgen jeden Tag etwa 160 Menschen in deren Wohnungen. Sie waschen sie, geben Insulin, wechseln Verbände, helfen beim Toilettengang und beim Anziehen. Sie treffen dabei genau die Menschen, die in der Corona-Krise am stärksten in Gefahr sind. „Unsere Arbeit ist der Hochrisikopatient. Schwaches Immunsystem, hohes Alter“, sagt Geßler. „Unsere Aufgabe ist es jetzt zu versuchen, den Kunden Ängste zu nehmen.“Die größte Angst ist, dass die Pfleger, die jeden Tag draußen unterwegs und mit vielen Menschen in Kontakt sind, das Virus in die geschützte Wohnung einschleppen könnten.
Mehr als 75 000 Menschen in Baden-Württemberg sind auf die Leistungen eines ambulanten Pflegedienstes angewiesen, in Bayern sind es fast 100 000. Eine besondere Herausforderung, gerade in diesen Tagen, ist die Hygiene. „Einmalhandschuhe haben wir noch genug, Desinfektionsmittel auch, aber uns gehen die Atemschutzmasken aus“, sagt Geßler. Auch sein Kollege Frank Höfle, Leiter des Altenhilfezentrums Isny, beklagt: „Ich habe jetzt noch 120 Atemschutzmasken“. Seine Einrichtung versorgt im württembergischen Allgäu 250 Patienten in der häuslichen Pflege, da gehen die Vorräte schnell zur Neige.
Das größte Problem ist für Höfle, dass Mitarbeiter und Patienten nicht ausreichend und nicht schnell genug auf eine Infektion getestet werden.
Die Tochter eines querschnittsgelähmten Patienten habe sich mit dem Coronavirus infiziert, berichtet er. Ob der Senior, dessen Testergebnis noch nicht vorliegt, ebenfalls das Virus hat, sei unklar. Vorher waren aber zwei Pflegerinnen und ein Pfleger mit dem Mann in Kontakt. „Die kann ich jetzt nicht mehr für andere Patienten einsetzen.“Die drei Mitarbeiter seien zwar getestet worden, die Ergebnisse liegen zum Zeitpunkt des Gesprächs aber noch nicht vor – ebenso wenig wie das Testergebnis des Seniors. „Und was, wenn er positiv getestet wird?“, fragt Höfle. „Kommt er dann ins Krankenhaus, oder soll er häuslich versorgt werden? Das ist völlig unklar.“
Auch die Vertreter anderer Pflegeeinrichtungen berichten von unklaren oder fehlenden Vorgaben. „Wir bekommen täglich neue Mails aus Stuttgart, aber ein wirklicher Plan dahinter erschließt sich noch nicht“, sagt der Friedrichshafener
Pflegedienstleiter Geßler. „Wenn wir einen Corona-Patienten hätten, dann müssten wir den weiter versorgen, und zwar mit Mundschutz. Aber die haben wir nicht mehr ausreichend.“
Bernd Tews, beim Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (BPA) als Geschäftsführer für die ambulanten Pflegedienste zuständig, vermisst klare Ansagen des Robert-Koch-Instituts (RKI), wie mit Situationen umzugehen ist, in denen die eigentlich vorgegebenen Hygienevorschriften angesichts fehlender Schutzkleidung oder Desinfektionsmittel nicht mehr eingehalten werden können. „Wo ist die rote Linie?“, fragt Tews. „Wir müssen unseren Mitarbeitern eine klare Botschaft liefern, das RKI muss sagen, was vertretbar ist.“
Als „völlig unbrauchbar“bezeichnet der Isnyer Altenhilfezentrumsleiter Höfle die RKI-Empfehlungen zur Quarantäne bei Verdachtsfällen.
Er könne seine Mitarbeiter nicht 14 Tage in die Isolation schicken. „Dann habe ich hier keine Pflegekräfte mehr.“
Marco Nieß, Geschäftsführer der Ambulanten Kranken- und Intensivpflege Biberach (AKIP), weist auf ein anderes Problem hin. „Bei uns arbeiten sehr viele Mütter, das hat uns vor die größten Probleme gestellt“, sagt er. Allein in seinem Betrieb, der 140 Senioren zu Hause pflegt, hätten 20 Mitarbeiterinnen eine Aufsicht für ihre Kinder organisieren müssen. Seine Firma richtete eine betriebsinterne Notbetreuung ein. Inzwischen sind alle Kinder durch das städtische Notangebot versorgt; Pflegerinnen gelten als systemrelevant. „Die Stadt Biberach hat hervorragend reagiert“, lobt Nieß. „Ich dachte nicht, dass das so schnell in die Gänge kommt.“
Für die ambulanten Pflegedienste ist die Corona-Krise aber auch ein wirtschaftliches Problem. Nur Leistungen, die tatsächlich erbracht wurden, können abgerechnet werden. Wenn Patienten aus Angst vor dem Virus absagen oder auch, weil jetzt Familienangehörige die Pflege übernehmen, brechen Einnahmen weg, während die Fixkosten bleiben. Wie zuvor schon Bayern, hat seit Donnerstag, 19. März, auch das Land Baden-Württemberg zudem eine Schließung von Einrichtungen der Tagespflege angeordnet. Auch dadurch fehlen manchen Trägern Einnahmen. „An anderen Stellen haben wir aber auch enorme Nachfragesteigerungen“, sagt BPA-Geschäftsführer Tews. Denn ausländische Pflegekräfte, etwa aus Polen, die bei Pflegebedürftigen zu Hause wohnen und sich rund um die Uhr um sie kümmern, kommen nun oft erst einmal gar nicht mehr nach Deutschland.