Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Wann kommt der Impfstoff gegen SARS-CoV-2?
RAVENSBURG - Wie lange dauert es, bis ein Impfstoff gegen das Coronavirus gefunden ist? Daniel Hadrys hat darüber mit Thomas Mertens gesprochen, Virologe und Vorsitzender der Ständigen Impfkommission des Robert-KochInstituts.
Derzeit forschen viele Mediziner an einem Impfstoff gegen das SARS-CoV-2-Virus. Wie lange dauert es für gewöhnlich, bis nach dem ersten Auftreten eines neuartigen Krankheitserregers ein Impfstoff gefunden ist?
Den Begriff „gewöhnlich“muss man streichen. Gerade in den letzten Jahren haben sich die Möglichkeiten – auch seit dem Auftreten von Ebola – erheblich verbessert. Man hat sogenannte Plattformen für die Forschung konstruiert. Mit ihnen ist es schneller möglich geworden, Impfstoffe zu entwickeln und herzustellen. Normalerweise würde es Jahre dauern, bis man einen Impfstoff in die Produktion geben kann. Jetzt hofft man, dass man durch eine Verkürzung der notwendigen Schritte vielleicht ein Jahr braucht, um den Impfstoff anwenden zu können.
Der Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, fordert, die Regularien für die Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus zu lockern. Stimmen Sie ihm zu?
Ich kann diese Forderung sehr gut verstehen. Zu sehr abkürzen darf man die Entwicklung und Prüfung aber nicht. Alle Impfstoffe müssen effektiv und zugleich sehr sicher sein. Man muss einen Mittelweg gehen, was auch im Sinne der Bevölkerung wichtig ist. Denn die aktuelle Situation geht irgendwann vorbei. Wenn sich aber herausstellt, dass man etwas verabreicht hat, das Nebenwirkungen hat oder nicht effektiv war, würde man sehr viel berechtigte Kritik auf sich laden. Man muss sich sehr genau überlegen, welche vorgeschriebenen Schritte vereinfacht und verkürzt werden können. Wir wollen unbedingt sehr sichere Impfstoffe haben. Das muss durch ausreichende Prüfung gewährleistet sein.
Welche Ansätze gibt es?
Es gibt – soweit ich weiß – derzeit 46 Programme zur Impfstoffentwicklung. Sie verfolgen unterschiedliche Strategien. Das Virus wird entweder in Zellkulturen hergestellt und dann inaktiviert, um daraus einen Impfstoff herzustellen. Dieses Verfahren wird beispielsweise für den gebräuchlichen Impfstoff gegen Kinderlähmung oder Hepatitis-A genutzt. Es gibt auch die Möglichkeit, sogenannte Vektoren zu verwenden. Dabei wird zum
Beispiel ein Affen-Adenovirus mit entsprechenden Antigenen für das Coronavirus aufgerüstet. Gentechnisch kann man außerdem kleine Proteine des Virus (sog. Antigene) herstellen, um diese als Impfstoff zu nutzen. In den USA wurde zudem einer ersten Probandin ein RNAImpfstoff injiziert. Dabei spritzt man dem Impfling kein Protein mehr, sondern nur noch die genetische Informationen für ein Virusprotein. Der Körper muss das Protein und die Antikörper dagegen dann selbst herstellen. Diese Strategie verfolgt auch die Tübinger Biopharma-Firma. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt auf der Hand: Man kann in kurzer Zeit große Mengen an Impfstoff herstellen, weil man z.B. keine Zellkultur braucht. Das Problem dabei ist: Es gibt noch keinen zugelassenen Impfstoff auf dieser Basis für den Menschen. Da müsste man genau wissen, ob er effektiv ist oder unerwünschte Nebenwirkungen hat.