Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Zum Glück wieder daheim
Wie sich eine SZ-Korrespondentin gerade noch rechtzeitig von Argentinien nach Deutschland durchschlug
BUENOS AIRES/LUDWIGSHAFEN Die Ansage ist mehr als deutlich: „Ausländer werden hier drinnen nicht mehr bedient“, betont die Besitzerin der Konditorei Vattel im argentinischen Salta. Ich könne an einem Tisch vor dem Café Platz nehmen. Ich blicke aus dem Fenster, sehe den Regen auf Tische und Stühle prasseln. Es ist das erste Mal während meiner inzwischen fast dreimonatigen Reise durch Lateinamerika, in der ich mich nicht mehr willkommen fühle. Das Coronavirus ist sehr lange nicht, nun aber mit voller Wucht auch hier angekommen. Angst und Verunsicherung greifen um sich. Und ich beschließe, hier und jetzt, nach einem Weg zurück nach Hause zu suchen.
Anfang des Jahres hat mein halbes Sabbatjahr begonnen. Die sechs Monate Auszeit vom Leben als landespolitische Korrespondentin der „Schwäbischen Zeitung“in Stuttgart wollte ich dazu nutzen, mir einen neuen Kontinent zu erschließen: Südamerika. Sieben Länder standen auf meiner Reiseroute. Nun, Mitte März, muss meine Reise enden. Vier Länder, Uruguay, Bolivien, Peru und Ecuador, werde ich nicht mehr erkunden können – die Länder schließen ihre Grenzen. Die Regierungen schränken das öffentliche Leben zunehmend ein. In atemberaubender Geschwindigkeit werden die Maßnahmen immer drastischer. Am vergangenen Sonntag, 15. März, stehe ich in einer Bar in Salta und verfolge die Ansprache des argentinischen Präsidenten Alberto Fernández. Wie in Deutschland schließen nun auch hier die Schulen. Alle öffentlichen Veranstaltungen sind abgesagt, alle touristischen Ziele wie Nationalparks und Kulturstätten werden geschlossen. Nicht wenige sehen die Wurzel des Übels in den Ausländern – sie sollen das Virus eingeschleppt haben. Tags drauf, im Café Vattel, bekomme ich dies zu spüren. Und ich habe das Gefühl, als blonde augenscheinliche Ausländerin auf den Straßen der Stadt skeptische Blicke zu ernten.
Meine Rückreise nach Deutschland ist beschlossen, die Umsetzung indes schwierig. Ich informiere mich online über meine Möglichkeiten. Längst hat Argentinien Flüge in die vom Virus besonders betroffenen Gebiete eingestellt. Kein Flieger startet von hier aus mehr Richtung USA, China oder Europa. Täglich, fast stündlich ziehen andere lateinamerikanische Länder nach. Allein Brasilien dient als Drehkreuz für internationale Flüge – zumindest noch. Alle angezeigten Flugrouten von Buenos Aires nach Frankfurt beinhalten aber mindestens drei Zwischenstopps und 40 Stunden Reisezeit. Das ist mir zu unsicher. Ich möchte nicht Argentinien verlassen, nur um etwa in Brasilien festzusitzen.
Die Deutsche Botschaft in Buenos Aires informiert rudimentär. Man arbeite daran, deutsche Touristen nach Hause zu bringen, heißt es auf der Homepage sehr unkonkret. Wer es schafft, eigenständig aus dem Land zu kommen, solle die Möglichkeit unbedingt nutzen. Man solle dabei stets Ruhe bewahren und den Ansagen der argentinischen Regierung Folge leisten, die auf deren Internetseiten veröffentlicht sind. Wer kein Spanisch spicht, hat ein Problem. Alle Infos gibt es hier ausschließlich in der Landessprache.
Den Dienstag verbringe ich zum großen Teil mit dem Versuch, mich beim Auswärtigen Amt zu registrieren. Auf der Seite „Elefand“sammelt die Behörde die Daten aller Deutschen, die im Ausland gestrandet sind. Weil das sehr viele sind, ist die Internetseite heillos überlastet.
Nach einem Dreivierteltag bin ich endlich registriert und suche etwas Ablenkung beim Abendessen im Restaurant. Sie hält nicht lange an. Zurück im Hotel warten die Angestellten auf mich. Salta hat den ersten bestätigten Corona-Fall. Ab Mitternacht müssen alle Restaurants und Hotels schließen. Natürlich könne ich die Nacht noch bleiben, aber morgen müsse ich mir etwas anderes suchen.
Irgendwie muss ich nach Buenos Aires gelangen, lautet meine Strategie. Wenn die Botschaft Rückreisen organisiert, starten die Maschinen sicher an den Flughäfen der Hauptstadt. Ich buche einen Flug von Salta nach Buenos Aires für den nächsten Tag. Kurz darauf Nachricht von meinem Partner in Deutschland: Er hat einen Flug für Freitag von Buenos Aires über São Paulo in Brasilien nach Frankfurt gefunden. Nur 18 Stunden Reisezeit und knapp drei Stunden Zwischenstopp. Buchen, rufe ich ins Telefon. Der Preis ist mir in diesem Moment egal.
Als ich aufwache dann der Rückschlag: Der Flug ab Salta nach Buenos Aires ist gestrichen. Die Hotline der Fluglinie ist überlastet, beim angebotenen Chat über WhatsApp reagiert niemand. Ich laufe zum Büro der Honorarkonsulin in Salta, die an diesem Mittwochmorgen von 9 bis 11 Uhr Sprechstunde hat. Vor dem Gebäude stehen bereits drei andere ratlose Deutsche. Drinnen klingelt das Telefon durch, alles ist dunkel. Kein Aushang, der über geänderte Öffnungszeiten informieren würde. Drei weitere deutsche Urlauber kommen hinzu. Wir sieben warten eine Stunde, es tut sich nichts. Auf eine Anfrage für diesen Artikel, warum wir ohne jeglichen Hinweis vor verschlossener Tür standen, reagieren weder die Honorarkonsulin, noch die Botschaft in Buenos Aires.
Nach drei Stunden antwortet meine Fluglinie, die mich nach Buenos Aires bringen sollte, per WhatsApp: Ich solle zum Flughafen fahren und mich auf die Warteliste für andere Flüge an diesem Tag setzen lassen. Sofort eile ich per Taxi zum Flughafen. Vielleicht sei noch ein Platz in der Maschine frei, die in einer Stunde abhebt, sagt dort die nette Frau am Schalter. Mit rund 30 anderen Bangenden lungere ich an den Check-inSchaltern herum. 20 Minuten vor Abflug beginnen die Airline-Mitarbeiter, Namen auszurufen. Endlich höre ich das erlösende „Bajarin“, das ich als meinen Namen deute. Dass mein Koffer Übergewicht hat, spielt in der Eile keine Rolle. Glücklich und mit einem Ticket in der Hand laufe ich zum Flieger und bin zwei Stunden später in Buenos Aires.
In der Hauptstadt treffe ich mich zum Abendessen mit zwei US-Amerikanern, die ich auf meinen Reisen kennengelernt hatte, und einer befreundeten Argentinierin. Im hippen Ausgehviertel Palermo herrscht eine bedrückende Leere. 80 Prozent der Kneipen und Restaurants sind geschlossen, bestätigt Romina Gamaldi. Die 36-jährige Psychologin arbeitet unter anderem in einem der städtischen Krankenhäuser, die derzeit zu Corona-Kompetenzzentren umgebaut werden. „Das habe ich noch nie erlebt“, sagt sie.
Das Vive Café am Donnerstagmorgen ist praktisch leer. Angela Bornemann nutzt hier noch diesen letzten Tag der Bewegungsfreiheit, um einen Kaffee zu trinken und dabei am Laptop zu arbeiten. Die gebürtige Hamburgerin ist DeutschFachleiterin an der Deutschen Schule in Buenos Aires. Die Botschaft habe ihr die Ausreise nach Deutschland angeboten, sagt sie. „Ich bleibe aber auf jeden Fall hier.“Es sei nicht leicht, virtuellen Unterricht zu organisieren, sagt sie. Das müsse sich alles erstmal einspielen. „Aber es stärkt das individuelle Lernen. Und ich hoffe, dass wir Teile dieser neuen Arten des Unterrichts auch nach der Krise beibehalten können.“
Voll sind hingegen die Supermärkte. Auf den Gehwegen davor bilden sich lange Schlangen mit viel Abstand zwischen den Menschen. Ab morgen gilt im ganzen Land, was manche Städte und Provinzen bereits beschlossen haben: totale Ausgangssperre für alle, die nicht zum Arzt, zur Apotheke oder zum Supermarkt müssen. Die Straßenhändler, die Desinfektionsmittel verkaufen, haben Hochkonjunktur.
Schließlich ist mein Tag der geplanten Ausreise da. Es ist Freitag. Mindestens stündlich überprüfe ich online, ob mein Flug wie die Mehrzahl der Flüge gestrichen wurde. Alles sieht gut aus, als ich am Flughafen Ezeiza ankomme. Ich gebe mein Gepäck auf und laufe durch das fast verwaiste Gebäude, vorbei an geschlossenen Geschäften und Restaurants. Und tatsächlich: Der Flieger hebt ab Richtung São Paulo.
Dort herrscht buntes Leben, als ob Brasilien noch vom Virus verschont wäre. Als ich in São Paulo Freitagnacht in den Flieger Richtung Frankfurt steige, fällt meine Anspannung endlich ab. Ich werde zurück nach Hause kommen. Elf Stunden später, am Samstagnachmittag, lande ich in Frankfurt – zum Glück. Die Botschaft hat zwar zwei Flüge für gestrandete Deutsche ab Buenos Aires organisiert – einen für Sonntag und einen für den heutigen Montag. Da ich aber keine Benachrichtigung bekommen habe, wäre für mich kein Platz darin vorgesehen gewesen. Wie viele Deutsche noch in Argentinien ausharren müssen, ist unklar. Auf eine entsprechende Anfrage verweist das Auswärtige Amt an die Botschaft in Buenos Aires. Seit Donnerstag hat diese nicht darauf reagiert.