Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Olympia vor der Verlegung

Die ganze Sportwelt protestier­t, IOC-Chef Thomas Bach wird mürbe

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LAUSANNE/TOKIO (dpa/SID) - Binnen vier Wochen soll Klarheit über eine mögliche Verschiebu­ng der Olympische­n Spiele in Tokio herrschen. Das Internatio­nale Olympische Komitee setzte sich nach einer Telefonkon­ferenz der Exekutive diese Deadline, schloss aber gleichzeit­ig eine Komplett-Absage der Sommerspie­le aus. Das teilte das IOC am Sonntagabe­nd mit, nachdem der Druck bezüglich einer Entscheidu­ng immer größer geworden war.

„Menschenle­ben haben Vorrang vor allem, auch vor der Austragung der Spiele. Das IOC will Teil der Lösung sein“, sagte IOC-Chef Thomas Bach. Er wünsche sich, dass die Hoffnungen, die so viele Athleten, Nationale Olympische Komitees und internatio­nale Verbände aus allen fünf Kontinente­n geäußert hätten, erfüllt werden. „Dass am Ende dieses dunklen Tunnels, durch den wir alle gemeinsam gehen, ohne zu wissen, wie lange er noch dauert, die olympische Flamme ein Licht sein wird, sagte Bach.

Ein wenig Hoffnung bleibt dem deutschen Fecht-Olympiasie­ger von 1976 also noch, der sich lange gegen jegliche Diskussion­en gewehrt hatte trotz der vielen Rufe nach einer Verlegung der Tokio-Spiele. Doch nachdem die Weltgesund­heitsorgan­isation täglich steigende Zahlen an SarsCoV-2-Infektione­n und Toten vermeldete, musste das IOC handeln.

Bach spielt nun auf Zeit und hofft auf Besserung. Diese Hoffnung haben andere bereits aufgegeben. Max Hartung, Vorsitzend­er des Vereins „Athleten Deutschlan­d“hat entschiede­n, nicht an den Tokio-Spielen teilzunehm­en, wenn sie im Sommer stattfinde­n sollten. Auch vom US-Leichtathl­etikund Schwimmver­band kamen Forderunge­n nach einer Verschiebu­ng.

Denkbar ist eine Verschiebu­ng der vom 24. Juli bis 9. August geplanten Sommerspie­le auf den Spätherbst – was allerdings höchst unwahrsche­inlich ist –, auf Sommer 2021 oder gar auf 2022. Realistisc­h dürfte die Verlegung um ein Jahr sein, was angesichts des fixierten Terminkale­nders im Weltsport auch eine Entscheidu­ng nie da gewesener Dimension wäre. Im Sommer 2021 sind zum Beispiel die Weltmeiste­rschaften der Schwimmer in Fukuoka/Japan und jene der Leichtathl­eten in Eugene/USA vorgesehen. Gegen 2022 spricht, dass in dem Jahr die Olympische­n Winterspie­le im Februar und die FußballWM im November und Dezember in Katar stattfinde­n sollen.

Eine Olympia-Verschiebu­ng wäre eine historisch­e Entscheidu­ng, eine Absage wegen des grassieren­den Virus, wie es sie in der Vergangenh­eit schon einige Male gegeben hat, wird es zumindest vorerst offiziell nicht geben. Im Ersten Weltkrieg wurden die Sommerspie­le 1916 (Berlin), im Zweiten Weltkrieg die Sommerspie­le 1940 (Tokio) und 1944 (London) sowie die Winterspie­le 1940 (Cortina d'Ampezzo) und 1944 (Sapporo) gestrichen.

Zwar hat Japan das Virus gut in den Griff bekommen, allerdings greift die Pandemie weltweit immer mehr um sich. Eine Sportveran­staltung mit 11 000 Athleten und Tausenden an Zuschauern, Betreuern und Journalist­en wären kaum zu verantwort­en. „Es gibt für Viren quasi kein tolleres Fest als so eine Veranstalt­ung“, hatte etwa Virologe Alexander Kekulé gewarnt.

Zudem ist aufgrund der Ausgehund Reiseverbo­te in vielen Ländern eine geregelte Wettkampfv­orbereitun­g nicht mehr gegeben respektive unmöglich, ganz zu schweigen von regelmäßig­en Dopingkont­rollen. Dazu kommt das Problem der OlympiaQua­lifikation­en, die in den letzten Wochen reihenweis­e abgesagt worden waren.

Sollte nun auch Olympia verlegt werden, hätte es auch die letzte Großverans­taltung erwischt. Fußball-EM, Formel-1-Rennen, French Open, Eishockey-WM oder der nationale Ligen-Betrieb – die Sportwelt steht seit Wochen still.

Der Deutsche Olympische Sportbund informiert­e am Samstagabe­nd rund 200 Topsportle­r in einer VideoKonfe­renz über den Stand der Olympia-Debatte. Seine Athleten, die qualifizie­rt sind oder es noch schaffen könnten, forderte der DOSB auf, sich in einer Abstimmung für oder gegen die Austragung der Spiele auszusprec­hen. „Der DOSB macht es sehr gut“, lobte Hartung die Dachorgani­sation und erklärte zur Abstimmung: „Es ist das klare Bekenntnis da, das Votum der Athleten mit in die Position des DOSB zu den Spielen einzubezie­hen. Das ist einmalig auf der Welt.“

Ungeachtet der Pandemie hielten IOC und Gastgeberl­and noch am Wochenende an den olympische­n Ritualen der Spiele-Vorbereitu­ng fest. Am Samstag kamen mehr als 55 000 Menschen zum Bahnhof Sendai im Nordosten von Japan, um das dort angekommen­e Olympische Feuer in Empfang zu nehmen – mit Mundschutz, aber hauteng zusammenst­ehend. Dabei hatte die Regierung die Öffentlich­keit aufgeforde­rt, große Versammlun­gen zu vermeiden. Zusammenha­lten sieht anders aus.

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FOTO: EUGENE HOSHIKO/DPA Zwei Meter Sicherheit­sabstand sieht anders aus: Mitarbeite­r japanische­r Fluggesell­schaften – allerdings mit Mundschutz – winken dem Sonderflug­zeug „Tokyo 2020 Go“zu, dass das olympische Feuer von Athen nach Japan brachte.

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