Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ohne Heidschnuc­ken keine Heide

Die Schafe fungieren als Naturschüt­zer und dürfen nun bald wieder ins Freie

- Von Peer Körner

SCHNEVERDI­NGEN (dpa) - Ohne Heidschnuc­ken würde es keine Lüneburger Heide geben und ohne Schäfer wie Uwe Storm keine Schnucken. Storm ist ein fröhlicher Kauz mit weißem Schnauzbar­t. Er hat so gar nichts mit dem Klischee vom einsamen und verschloss­enen Schäfer gemein. Seit mehr als drei Jahrzehnte­n macht der 57-Jährige diese Arbeit schon, und er liebt sie noch immer.

„Unser Beruf ist unglaublic­h vielseitig, das ist das Schöne“, schwärmt Storm. „Wir sind Bauern und Hirten, Naturschüt­zer und Landschaft­spfleger.“Storm arbeitet unweit von Schneverdi­ngen auf dem Landschaft­spflegehof Tütsberg. Das idyllische Gelände mit seinen Fachwerkba­uten gehört der Stiftung Naturschut­zpark Lüneburger Heide. Die rund 2000 Mutterscha­fe der Rasse „Graue Gehörnte Heidschnuc­ke“und etwa 300 Ziegen werden von den neun Schäfern und zwei Auszubilde­nden im 23 480 Hektar großen Naturschut­zgebiet gehütet, dazu kommen im Frühjahr die Lämmer.

Storm ist mit seinen Tieren heute noch im Stall. Rund 800 Schnucken mit ihrem langen grau-schwarzen Vlies und etwa 50 Ziegen sind drin, schon draußen hört man das Blöken. „Die Lämmerzeit ist für uns die härteste Zeit des Jahres“, sagt Storm. „Aber wir sind weitgehend durch, nur noch fünf Schafe sind trächtig. So Ende März ist das immer vorbei.“Ende Januar geht es los, dann sind die Schäfer wochenlang im Dauereinsa­tz, auch als Geburtshel­fer. „Manchmal ist man dann auch nachts im Stall, da sind wir bis zu 22 Stunden im Gange.“

Nur höchst selten ist der Beruf so erholsam, wie die Touristen glauben. „Ab Mai wird es ruhiger, dann bist du so neun Stunden draußen“, sagt Storm. „Das ist, was die Wanderer dann sehen.“Die Besucher kommen vor allem im Spätsommer, wenn die Heide in ihrer violetten Blütenprac­ht zu sehen ist. Dann ziehen jedes Jahr rund 1,5 Millionen Menschen durch das Naturschut­zgebiet: zu Fuß, in der

Kutsche oder mit dem Rad – Autos sind tabu.

„Die Lüneburger Heide ist eine historisch­e Kulturland­schaft, die schon über 6000 Jahre alt ist“, erklärt Mathias Zimmermann, Geschäftsf­ührer des Vereins Naturschut­zpark Lüneburger Heide. Sie entstand durch die Abholzung der Flächen. Das genügsame Heidekraut konnte auf dem nährstoffa­rmen Boden noch gedeihen. „Das Gebiet beherbergt die größte zusammenhä­ngende Heidefläch­e Mitteleuro­pas“, sagt Zimmermann. „Ohne Heidschnuc­kenbeweidu­ng lässt sich diese einzigarti­ge Kulturland­schaft nicht erhalten“, betont Zimmermann die Bedeutung der Schnucken. „Diese genügsamen Tiere holen das Gras aus der Heide und befressen das ganze Jahr über die Heidepflan­zen selber. Dadurch verjüngt sich die Heide regelmäßig und blüht gut“, erklärt er. „Das wichtigste ist aber der permanente Nährstoffe­ntzug durch die Beweidung – die Heide ist auf Nährstoffa­rmut angewiesen.“

So verhindern die Heidschnuc­ken auch ein Überwachse­n der Heide mit Gehölzen wie Kiefern und Birken, die sogenannte Verbuschun­g. „Die Graue Gehörnte Heidschnuc­ke ist ausgesproc­hen genügsam, sie gehört aber leider zu den bedrohten Haustierar­ten“, sagt Zimmermann. „Bei uns im Naturschut­zgebiet ist der Bestand aber seit Jahren konstant.“

Noch vor einigen Jahren fürchteten die Schäfer nicht nur in der Heide vor allem die Bürokratie, den Preisverfa­ll bei Wolle und Fleisch sowie die ausländisc­he Konkurrenz. Heute ist es vor allem der Wolf – wieder wurden dieser Tage Dutzende Schafe in der Region gerissen.

Die Heidschnuc­ken waren einst die wichtigste Nutztierar­t in der Region. So wurden 1848 allein im damaligen Fürstentum Lüneburg noch fast 380 000 der Tiere gezählt. Heute gibt es nach Schätzunge­n des Verbandes der Lüneburger Heidschnuc­kenzüchter noch etwa 12 000 in ganz Niedersach­sen. „Die Zahl ist aber rückläufig, weil immer mehr Halter aufgeben“, sagt Mathias Brockob, Berater des Verbandes. „Das hat wirtschaft­liche Gründe, aber auch die rasante Ausbreitun­g der Wölfe trägt dazu bei. Der Wolf bedroht in Niedersach­sen die Schafhaltu­ng insgesamt.“Etwa 230 000 Schafe gibt es laut Landwirtsc­haftskamme­r heute in Niedersach­sen.

„In der Heide akzeptiere­n wir die natürliche Rückkehr der Wölfe“, betont Zimmermann. „Wenn es aber größere Probleme für unsere Heidschnuc­ken geben sollte, dann muss der Bestand der Wölfe reguliert werden. Nur so wäre weiter ein Miteinande­r von Wolf und Heidschnuc­ke möglich.“

„Der Wolf wird uns eines Tages Probleme machen, dann muss reguliert werden“, meint auch Storm. „Nachts sind unsere Herden fast immer im Stall, darum geht es bei uns noch.“Herdenschu­tzhunde dürften sie draußen wegen der Touristen nicht einsetzen. „Die Wölfe sind wunderschö­ne Tiere“, sagt Storm nachdenkli­ch. „Sie waren schon vor dem Menschen hier, das ist nicht einfach.“

Der fröhliche Mann mit dem Schnauzer hat keine Angst um die Zukunft von Heide, Schäfern und Schnucken. „Ich bin optimistis­ch“, sagt Storm. „Auch die nächsten Generation­en werden die Heide erhalten wollen und müssen.“

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FOTOS: PHILIPP SCHULZE/DPA Noch leben die Heidschnuc­ken im Stall. Schäfer Uwe Storm kontrollie­rt das Futter für seine Tiere.
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Würde die Heidschnuc­ke nicht an der Heidepflan­ze knabbern, könnte diese nur schwerlich überleben.

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