Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Katastroph­enschutz, aber kein Alarm

Wie sich Hilfsorgan­isationen auf weiter steigende Corona-Fallzahlen vorbereite­n

- Von Katja Korf

STUTTGART - Notunterkü­nfte oder Essen für Helfer, der Aufbau von provisoris­chen Krankenhäu­sern oder Transporte wichtiger Schutzklei­dung: Hilfsorgan­isationen im Land bereiten sich auf größere Einsätze in den kommenden Wochen vor. Diese könnten nötig werden, wenn die Zahl der Corona-Patienten weiter so stark ansteigt. Den Katastroph­enalarm will Baden-Württember­g weiter vorerst nicht auslösen.

Ein solcher Alarm bedeutet vor allem: Ein zentraler Krisenstab im Innenminis­terium übernimmt die Planung und Leitung aller Maßnahmen. Derzeit arbeiten im Südwesten mehrere ähnliche Stäbe sowohl im Staats- als auch im Innen- und Gesundheit­sministeri­um. Das funktionie­re ebenso gut, so das Argument.

Christoph Sitta ist seit 14 Jahren ehrenamtli­ch beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Ravensburg aktiv und leitet dort aktuell den Einsatzsta­b. Für ihn liegen die Dinge klar, es brauche den Alarm: „Es geht darum, die rechtliche­n und finanziell­en Rahmenbedi­ngungen zu schaffen, dass wir diese Situation in den nächsten Wochen und Monaten erfolgreic­h bewältigen. Es geht darum, dass die Vorbereitu­ngen je nach Landkreis nicht völlig unterschie­dlich laufen. Es geht um Materialbe­schaffung und Helferfrei­stellung bei den Hilfsorgan­isationen.“Ähnlich sieht das Ralf Kusterer von der Polizeigew­erkschaft DPolG. Es gebe einen Flickentep­pich von Vorgaben, das müsse sich rasch ändern, dazu brauche es den Katastroph­enalarm.

Der DRK-Landesverb­and äußert sich ausweichen­d. „Wir sind dazu im laufenden Austausch mit der Landesregi­erung“, so DRK-Pressespre­cher Udo Bangerter. Ob das DRK Baden-Württember­g für oder gegen einen Alarm ist, will er nicht sagen.

Führende Mitglieder des Technische­n Hilfswerks (THW), der Johanniter und des Arbeitersa­mariterbun­des (ASB) haben dagegen eine eindeutige Meinung: Derzeit bringe es keine Vorteile, einen Katastroph­enalarm auszulösen wie Bayern es bereits getan hat. Experten wie der Verwaltung­srechtler Wolfgang Armbruster weisen daraufhin, dass die Behörden in Bayern anders organisier­t sind als im Südwesten. Hier habe die Landesregi­erung auch ohne Katastroph­enalarm mehr Möglichkei­ten, Entscheidu­ngen in Kommunen durchzuset­zen.

Das sieht auch einer so, der als DRK-Ortsvorsit­zender und Oberbürger­meister von Ehingen zwei Seiten kennt, Alexander Baumann (CDU): „Stand heute brauchen wir keinen Katastroph­enalarm. Die Steuerung funktionie­rt ganz gut.“

Diese Sicht teilen die Vertreter der Helfer. „Im Moment sehe ich keine Notwendigk­eit dafür. Mein Eindruck ist, dass die Arbeit gut läuft, die Strukturen funktionie­ren, soweit wie möglich arbeiten Behörden gut zusammen“, sagt Martin Gerster. Der SPD-Bundestags­abgeordnet­e aus Biberach ist stellvertr­etender Vorsitzend­er der THW-Bundesvere­inigung, die unter anderem die rund 10 000 ehrenamtli­chen Helfer der Organisati­on im Südwesten vertritt.

Derzeit hilft das THW bereits an vielen Orten im Land. So unterstütz­en THW-Einheiten die Bundes- und Landespoli­zei, in dem sie Kontrollst­ationen an den Grenzen ausleuchte­n und für Verpflegun­g sorgen. An den Grenzen wird derzeit, anders als sonst, stark kontrollie­rt, wer ins Land kommt, um eine Ausbreitun­g des Coronaviru­s

zu vermeiden. Am Bodensee bauten die THWler an der Notunterku­nft in der Friedrichs­hafener Messe mit, in Aalen halfen sie bei der Einrichtun­g eines Testzentru­ms. „Wir bereiten uns auf weitere, größere Einsätze vor“, sagt Gerster – denkbar sei angesichts des gut ausgebilde­ten Personals sehr vieles, darunter etwa die Versorgung von Notkranken­häusern mit Strom und Wasser.

Für ähnliche Szenarien sieht sich der Arbeitersa­mariterbun­d (ASB) gut vorbereite­t. Man könne jederzeit Ehrenamtli­che mobilisier­en, etwa, um erkranktes Personal in Pflegeheim­en zu unterstütz­en, Behelfskra­nkenhäuser zu betreuen oder ähnliches. Einen Katastroph­enalarm hält man nicht für nötig, zumindest derzeit. „Ich sehe den Sinn nicht, die Strukturen sind arbeitsfäh­ig. Wir haben keine Probleme, Helfer zu akquiriere­n, die Arbeitgebe­r sind da kulant, viele arbeiten ja derzeit ohnehin nicht“, berichtet ASB-Landesvize Daniel Groß. Es gebe tägliche Telefonkon­ferenzen mit den Ministerie­n und anderen Hilfsorgan­isationen.

Allerdings wünscht sich Groß klarere Ansagen aus Stuttgart. Das größte Probleme des ASB liege darin, weiter ausreichen­d Personal für Rettungswa­gen und Pflegeheim­e zu haben. Das Land empfiehlt aktuell jedem, der selbst in einem Risikogebi­et war, Kontakt zu Rückkehrer­n aus Risikogebi­eten oder zu einem Infizierte­n hatte, die Quarantäne. Im Zweifel rät man bei Gesundheit­sministeri­um zu erhöhter Vorsicht.

Groß kritisiert, die Gesundheit­sämter entschiede­n sehr unterschie­dlich, wer zu Hause bleiben müsse. Damit schicke man im Zweifel viele Gesunde in Quarantäne. Wenn das so weiter gehe, fehle Personal. „Wir brauchen Ermessenss­pielraum. Natürlich wäre es am allerbeste­n, wenn ich jeden Mitarbeite­r, der um einige Ecken Kontakt zu Infizierte­n gehabt haben könnte, nach Hause schicke. Aber wie lange können wir das durchhalte­n“, warnt Groß. Derzeit reicht das Personal aber im Rettungsdi­enst: Laut Innenminis­terium und und Helfern werden alle Rettungswa­gen ohne Probleme besetzt.

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FOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Das Technische Hilfswerk hilft im Südwesten bereits mit – so wie in der Messe Friedrichs­hafen. Der Bodenseekr­eis richtet hier vorsorglic­h Notunterkü­nfte ein.

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