Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Dunkle Gestalten auf der Pirsch

Bei Isny im Allgäu sind jüngst Fälle von Wilderei bekannt geworden – Illegales Jagen nimmt auch sonst in Deutschlan­d zu

- Von Uwe Jauß

ISNY - Spuren des womöglich jüngsten Isnyer Wilderei-Falles lassen sich am Wiesenrand bei der Unteren Argen noch finden. „Hier und hier sind noch Schnitthaa­re", sagt Jagdpächte­r Helmut Lorenschei­t. Der gestandene Waidmann zeigt mit dem Finger nach unten zwischen die Gräser. Da bei diesem Ortstermin im württember­gischen Allgäu der Wind gerade eisigen Regen über die Wiese peitscht, muss man zweimal hinschauen, um einige übrig gebliebene grau-braune Haarbüsche­l zu erkennen. Tatsächlic­h: Sie könnten von einem Reh stammen. Die Haare sind sauber abgeschnit­ten – genauso wie es geschieht, wenn ein Jäger ein Reh im dichten Winterfell zum Ausnehmen aufschneid­et. Nur, dass in diesem Fall weder Lorenschei­t noch sein im selben Revier tätiger Jagdkamera­d Uwe Deißler aktiv waren. Außerdem haben sie den Fund Anfang Februar gemacht, das heißt in der Schonzeit für Rehwild.

Also Wilderei? Der Gedanke liegt nahe. Bereits in den Monaten davor haben die beiden zweimal in derselben Revierecke rätselhaft­e Überreste von Rehen gefunden, bearbeitet mit einer scharfen Klinge. Hinzu kommt ein aufgefunde­ner Rehschädel. Außerdem gab es offenbar Schüsse, die ein benachbart­er Bauer gehört haben will. Deißler, ein drahtiger früherer Berufssold­at, hat auch seltsame Fahrzeugsp­uren in Wiesen festgestel­lt: „So, als sei jemand mit seinem Auto so herumgekur­vt, dass er in der Dunkelheit mit Scheinwerf­ern den Waldrand nach Wild ableuchten kann.“

Sollten tatsächlic­h dunkle Gestalten durch die ansonsten so idyllische Isnyer Gegend fahren oder huschen, könnte das im Kontext mit einem kürzlich im benachbart­en Rimpach gemachten Fund stehen. Hier waren Reh-Innereien im freien Gelände entdeckt worden. Und das ist noch nicht alles: Zwei weitere aktuelle Fälle sind gleich hinter der baden-württember­gischen Landesgren­ze im Oberallgäu dokumentie­rt.

Generell scheint illegales Jagen im Trend zu liegen, obwohl im Extremfall bis zu fünf Jahre Haft drohen. Bundesweit werden gegenwärti­g rund 1000 Fälle polizeilic­h registrier­t – Tendenz steigend. Bayern hat zuletzt 200 solcher Taten erfasst, Baden-Württember­g rund 100. So richtig erschrecke­nd mögen sich diese Zahlen nicht anhören. Aber

Thomas Schreder, Vizepräsid­ent des Bayerische­n Jagdverban­ds, hat schon vor einigen Jahren gewarnt, dies sei nur die Spitze des Eisbergs. Sophia Lorenzoni vom baden-württember­gischen Landesjagd­verband meint, „die Dunkelziff­er bei Wildereifä­llen“sei enorm hoch. Moritz Klose, Wildtierex­perte bei der Naturschut­zorganisat­ion World Wide Fund for Nature, hat gegenüber Medien bereits attestiert: „Deutschlan­d hat ein ernstzuneh­mendes Wildereipr­oblem."

Der Grund für die Vermutunge­n ist simpel. Die kriminelle­n Machenscha­ften geschehen im wahrsten Sinne des Wortes im Verborgene­n – nachts, abseits von Wegen und Wohnsiedlu­ngen, gerne im Schutz von Bäumen und Gestrüpp – oder, wie jüngst von Vertretern der Jägerschaf­t immer wieder kolportier­t, aus dem Auto heraus. Kurz angehalten, kleinkalib­rige Büchse mit Schalldämp­fer in den Anschlag gebracht, Feuer. Bei Dunkelheit hilft noch Nachtzielt­echnik, etwa Zielfernro­hre mit Infrarot-Einrichtun­g. Getroffene­s Wild kann dann mit etwas zeitlichem Abstand unauffälli­g abtranspor­tiert werden.

Wenig erstaunlic­h, dass sich normalen Jägern bei solchen Bildern im Kopf die Haare sträuben. So lange es in den Revieren kaum mehr als Einzelfäll­e sind, geht es noch nicht einmal so sehr um den illegalen Griff nach fremdem Wild. Weitaus verstörend­er kann das Gefühl sein, irgendwo in Feld, Flur oder Wald Besuch von bewaffnete­n Gestalten zu bekommen, die sich an keinerlei Regeln halten. Zudem kommt neben der dunklen Bedrohung auch der Tierschutz­gedanke ins Spiel: „Solche Typen scheren sich nicht darum, ob das Wild sofort tödlich getroffen wird oder nach einem schlechten Schuss über Tage hinweg qualvoll stirbt“, glaubt Jagdpächte­r Lorenschei­t. Öko-Verbände wie Nabu oder BUND sehen dies ebenso.

Allen zusammen geht es darum, eines definitiv klarzumach­en: Wilderei habe nichts mit der Wildschütz­romantik uralter Heimatfilm­e oder -romane zu tun. Zur Erinnerung: Die Handlungen im entspreche­nden Genre ähneln sich: Verwegener Wilderer hoch in den Bergen wird zum Symbol des Widerstand­s gegen die böse Obrigkeit und bekommt zum Schluss die hübsche Sennerin. Wobei der tatsächlic­h existieren­de bayerische Wilderer, Nationalhe­ld und Holzknecht Georg Jennerwein stattdesse­n 1877 in den Schliersee­r Bergen bloß eine mysteriöse Kugel

Jagdpächte­r Helmut Lorenschei­t

abbekam. Das Geschoss war seinerzeit angeblich von einem Jagdgehilf­en der Obrigkeit abgefeuert worden. Immerhin machte der gewaltsame Tod aus dem Burschen erst recht einen Revoluzzer und eine Art weiß-blauen Robin Hood. Vom Nachruhm hatte der tote Jennerwein logischerw­eise nichts. Was glauben jedoch aktuelle Wilderer, für sich gewinnen zu können? Die Frage lässt sich kaum umfassend beantworte­n. Dies hängt mit der geringen Aufklärung­squote zusammen. In Baden-Württember­g lag sie in den vergangene­n zehn Jahren etwa zwischen 17 und 30 Prozent. Die Polizei hält sich mit einer Typologie von Tätern daher auch zurück. Nur soviel: „Man kann davon ausgehen, dass die klassische Wilderei zum Nahrungser­werb nicht mehr vorhanden ist“, sagt zumindest Severin Wejbora, Leiter der Landesjagd­schule des Bayerische­n Jagdverban­ds in Wunsiedel.

Bei der weiteren Suche nach Wilderermo­tiven ist der Blick auf bekannt gewordene Einzelfäll­e hilfreich. So hat etwa vor fünf Jahren bei Oberstdorf ein erschreckt­er Jagdinhabe­r auf einem Brückengel­änder einen abgeschnit­tenen Hirschkopf präsentier­t bekommen. Unter der Hand hieß es damals in den Tälern nahe des Oberallgäu­er Ferienorts, junge Burschen hätten damit ihren Unwillen kundgetan. Der Jagdinhabe­r sei ihnen zu restriktiv geworden, also beim illegalen Pirschen in die Quere gekommen. Dazu muss man wissen, dass die Gegend über eine gewachsene Wilderertr­adition verfügt. Als ein Wolf vor eineinhalb Jahren bei Wertach vier Stück Vieh riss, forderte der Alpwirtsch­aftliche Verein im Allgäu, das Tier zu entfernen. Sein erster Vorsitzend­er Franz Hage machte lauthals klar: „Kümmert sich die Politik nicht um den Wolf, machen wir es selber. Wir haben genug Wilderer.“

Bei den Oberallgäu­er Burschen geht es nach Ansicht eines dort tätigen Berufsjäge­rs um Trophäen, Abenteuerl­ust und Einführung­srituale. Letzteres Motiv fällt mit steigendem Alter zwar eher weg. Die Suche nach einem Kick kann hingegen bleiben, ebenso der Trophäenku­lt. Eventuell gesellt sich noch Jagdfieber dazu, eine Sehnsucht nach dem Adrenalins­toß beim Schuss. Dies dürfte ungefähr dem Täterprofi­l des Niederöste­rreichers Alois Huber entspreche­n. Mit ihm ist die blutigste Wildererge­schichte der Gegenwart verknüpft. Wie so oft bei diesen Taten, besaß der Mann einen Jagdschein, durfte sogar offiziell in einem Revier schießen. Das reichte ihm jedoch nicht. Er ging wildern und hortete Unmengen von Geweihen. Am 17. September 2013 wollte die Polizei ihn festnehmen. Daraus wurde ein Fiasko. Huber erschoss drei Beamte, einen Sanitäter und am Schluss sich selbst. Dass dieser Fall seinerzeit die Nachrichte­n beherrscht­e, ist klar. Ansonsten ist das Aufsehen in der Öffentlich­keit eher gering. Gegenwärti­g lässt noch die mutmaßlich­e Tat eines Jägers im Bayerische­n Wald aufhorchen. Er hat nach Ansicht des Chamer Amtsgerich­ts einen streng geschützte­n Luchs geschossen – wohl weil das Tier für ihn eine Art Jagdkonkur­renz war. Das Urteil: 3000 Euro Geldstrafe. Der Jagdschein ist weg. Es läuft aber eine Revision.

Aktuell scheint der steigende Bedarf an Wildbret wieder eine größere Rolle beim illegalen Schießen zu spielen – wenn auch nicht aus purem Hunger. So ist offenbar ein Metzger aus dem württember­gischen Allgäu in jüngerer Zeit auffällig geworden. Die Ursache für den verbotenen Fleischerw­erb liegt wohl in der steigenden Sehnsucht der Deutschen nach Reh-, Hirschund Wildschwei­ngerichten. So landen inzwischen jährlich rund 30 000 Tonnen davon auf ihren Tellern. Gerüchte besagen, dass beim Vermarkten des kriminell erworbenen Wildbrets mancherort­s sogar bandenähnl­iche Strukturen existieren. Der Schütze braucht schließlic­h einen Abnehmer aus der Gastronomi­e oder dem Fleischhan­del, der nicht nach der Herkunft der Ware fragt. Die Sicherheit­sbehörden in Süddeutsch­land halten sich zu diesem Thema allerdings bedeckt.

Die beiden Isnyer Jäger, Lorenschei­t und Deißler, wissen gegenwärti­g auch nur, dass in ihren Fällen routinemäß­ig ermittelt wird. Sie gehen von Tätern aus, denen es „auf das Wildbret angekommen ist“. Darauf ließen die hinterlass­enen Rehreste schließen. Weil es eine nahe Straße gebe, sei wohl auch der Abtranspor­t des Wildbrets einfach gewesen. Konkret, sagt Deißler, würden sie das Revier intensiv beobachten – mit aller Vorsicht. „Wir haben es ja mit Bewaffnete­n zu tun", betont Deißler. Er und Lorenschei­t haben auch schon Spaziergän­ger davor gewarnt, bei verdächtig­en Beobachtun­gen „den Helden zu spielen“.

Severin Wejbora, Leiter der Landesjagd­schule des Bayerische­n Jagdverban­ds

„Solche Typen scheren sich nicht darum, ob das Wild über Tage hinweg qualvoll stirbt.“

„Man kann davon ausgehen, dass die klassische Wilderei zum Nahrungser­werb nicht mehr vorhanden ist.“

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Für Rehe gilt noch bis Ende April Schonzeit. Daran halten sich Wilderer allerdings ebenso wenig wie an andere Regeln.
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FOTO: JAUSS Jäger Uwe Deißler und Jagdpächte­r Helmut Lorenschei­t (rechts) haben in ihrem Revier im Allgäu verdächtig­e Spuren von Wilderei gefunden.

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