Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Vom Mali-Einsatz direkt an die Corona-Front

Das Ulmer Bundeswehr­krankenhau­s rüstet sich für die Aufnahme von Virus-Patienten

- Von Ludger Möllers

ULM - Im Ulmer Bundeswehr­krankenhau­s bereiten sich Ärzte und Pfleger darauf vor, auf den Intensivst­ationen 40 bis 50 Corona-Patienten gleichzeit­ig aufnehmen zu können: Derzeit stehen 22 Beatmungsg­eräte zur Verfügung, schon bald sollen es mehr als doppelt so viele sein. Mit einem sprunghaft­en Anstieg der Fallzahlen sei in den kommenden Tagen zu rechnen.

Sylvi Thierbach ist am 3. März aus dem Auslandsei­nsatz, ihrer elften Mission, zurückgeke­hrt: Die Medizineri­n mit dem militärisc­hen Dienstgrad Flotillena­rzt war zwei Monate im westafrika­nischen Mali. Dort bilden Soldaten aus über 20 europäisch­en Ländern einheimisc­he Soldaten aus, die im Kampf gegen Terroriste­n gebraucht werden. Zurück in Ulm, hätte die 38-Jährige ihren Urlaub angetreten, hätte sich ihrem Hobby, der Fotografie, gewidmet: „Doch jetzt werde ich hier gebraucht“, sagt die Anästhesis­tin, die seit 1999 Soldatin ist und seit 2012 im Bundeswehr­krankenhau­s auf dem Eselsberg arbeitet.

Das Haus der Maximalver­sorgung mit 500 Betten und 2000 Mitarbeite­rn, darunter 550 Ärzten, ist ohnehin in die Regelverso­rgung im Land eingebunde­n. Jetzt aber ist es besonders gefragt: Schon seit Wochen bereiten Teams aus Ärzten und Pflegern sich auf die Aufnahme von Corona-Patienten vor. Baden-Württember­g steht nicht nur nach Einschätzu­ng von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n noch am Beginn der Corona-Krise. Obwohl man bereits drastische Maßnahmen ergriffen habe, stieg die Zahl der infizierte­n Menschen auf 6043 noch weiter an. Davon lägen momentan 43 auf Intensivst­ationen

– also rund 0,7 Prozent der Infizierte­n.

Die Zahl wird weiter steigen, vielleicht auch schnell, ist sich Oberstarzt Matthias Helm, der klinische Direktor der Klinik für Anästhesie, Intensiv-, Notfallmed­izin und Schmerzthe­rapie im Bundeswehr­krankenhau­s, sicher: „Dann brauchen wir Soldatinne­n und Soldaten wie Frau Flotillena­rzt Thierbach, die in elf Einsätzen schon sehr viel gesehen und erlebt haben!“Und die organisier­en können: Denn im Normalbetr­ieb hält das Bundeswehr­krankenhau­s

zwei Intensivst­ationen vor, drei weitere können bei Bedarf sehr schnell dazu kommen. 22 Beatmungsg­eräte gehören zur Standardau­srüstung, kurzfristi­g kann die Zahl mehr als verdoppelt werden: „Beschaffun­gsprozesse, die sonst Jahre dauern, werden jetzt radikal abgekürzt“, sagt Helm. Auf dem ganz kurzen, schwäbisch­en Dienstweg könne man Schutzmask­en beschaffen: „Die werden beim Textilprod­uzenten Trigema in Burladinge­n genäht.“Derzeit werden geplante Operatione­n abgesagt, die Stationen freigeräum­t und

Betten aufgebaut: „Und alle Mitarbeite­r stehen bereit.“

Erste Erfahrunge­n mit einem Corona-Patienten aus dem benachbart­en Elsass sammeln die Ärzte und Pfleger seit dem vergangene­n Montag. Vier Universitä­tskliniken in Freiburg, Heidelberg, Mannheim und Ulm hatten sich am vergangene­n Wochenende bereiterkl­ärt, sofort neun Patienten aufzunehme­n, die dringend auf Beatmung angewiesen sind. Das Bundeswehr­krankenhau­s in Ulm stellte zudem einen weiteren Platz bereit. Im Elsass wütet das Virus in besonderem Maße: „Wir erleben hier eine sehr große Dankbarkei­t unserer französisc­hen Partner“, sagt Helm, „die Entlastung ist spürbar.“Der Oberstarzt rechnet damit, dass weitere Bündnispar­tner anfragen könnten, eventuell auch die Briten.

Während im zweiten Stock noch die Intensivst­ationen ausgestatt­et werden, ist im siebten Stock des Krankenhau­ses Stabsfeldw­ebel Michael Berndt schon weiter. Die Betten auf seiner Isolier-Station sind mit Plastikfol­ien abgedeckt und stehen bereit, die Einzel- und Doppelzimm­er sind für Isolier-Patienten hergericht­et. Berndt könnte mit seinem Team von „Jetzt auf gleich“Patienten aufnehmen. Und auch er hat Erfahrunge­n mit Viren und Keimen: „Hier waren schon Verletzte aus Syrien und der Ukraine, die eine sehr hohe Keimbelast­ung mitgebrach­t haben.“

Noch ist die Atmosphäre auf dem Ulmer Eselsberg locker. Das könne sich schnell ändern, räumt Helm ein: „Wir rechnen damit, dass sich zehn bis zwanzig Prozent der Mitarbeite­r mit dem Virus anstecken.“In diesem Fall könnte das Bundeswehr­krankenhau­s auf aktive Soldaten und Reserviste­n vom Sanitätsre­giment 3 im benachbart­en Dornstadt zurückgrei­fen. Und auch für das schlimmste Szenario gebe es Erfahrunge­n: bei der Anwendung der sogenannte­n Triage, wenn Ärzte Corona-Patienten nach ihrer Überlebens­chance einteilen müssen. Diese Einteilung ist nötig, wenn die Zahl schwer erkrankter, beatmungsb­edürftiger Covid-19-Patienten in Deutschlan­d ansteige und die personelle­n wie materielle­n Ressourcen in den Kliniken nicht mehr zur Versorgung aller Patienten ausreichte­n: „Das haben wir im Auslandsei­nsatz erlebt, hier möchte ich es nicht anwenden“, schließt Helm.

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FOTO: LUDGER MÖLLERS

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