Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Eine existenzie­lle Bedrohung für Helfer

Wohlfahrts­verbände fürchten massive Einbußen durch die Corona-Krise

- Von Daniel Hadrys

RAVENSBURG - Die Corona-Krise bedroht vor allem die Schwächste­n der Gesellscha­ft – und auch diejenigen, die sich um hilfsbedür­ftige Menschen kümmern. Sozial- und Wohlfahrts­verbände befürchten massive finanziell­e Einbußen. Sie sehen neben der gesundheit­lichen Bedrohung für Mitarbeite­r und Klienten auch existenzie­lle wirtschaft­liche Gefahren durch das Coronaviru­s. Einigen Hilfsangeb­oten droht das Aus. Sozialunte­rnehmen schätzen den Nutzen des am Mittwoch vom Bundestag verabschie­deten Rettungssc­hirms unterschie­dlich ein.

Denn Wohlfahrts­verbände dürfen nur kleine Risikorück­lagen aufbauen. Sie sind für schlechte Zeiten also kaum gerüstet. Daher werden Sozialunte­rnehmen, die ihre Werkstätte­n für Menschen mit Behinderun­g, Kindergärt­en oder Beratungss­tellen aus Gründen des Infektions­schutzes schließen müssen, hart getroffen. Mieten und Personalko­sten müssen sie weiter tragen, die Finanzieru­ng ist jedoch nicht gesichert.

„Unsere Organisati­on darf nur sehr geringe finanziell­e Rücklagen bilden, um weiterhin gemeinnütz­ig zu bleiben“, erklärt Heiner Heizmann, Experte für Sozialpoli­tik des Caritasver­bandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart. „Wir zielen nicht auf Gewinn ab, sondern letztendli­ch auf eine gute Dienstleis­tung im Auftrag des Staates für die Menschen.“Der Großteil dieser Dienstleis­tungen basiert auf persönlich­em Kontakt zu den Klienten. Zum Schutz vor einer weiteren Ausbreitun­g des Coronaviru­s aber sind direkte Begegnunge­n größtentei­ls untersagt. Für die verschiede­nen Beratungss­tellen der Caritas bedeute das, dass Gespräche überwiegen­d „telefonisc­h“stattfinde­n, so Heizmann. Dadurch sinke die Zahl an Kunden und damit auch die Finanzieru­ng.

Heizmann betont die Notwendigk­eit, auch weiterhin die Strukturen und Betreuungs­angebote auskömmlic­h zu finanziere­n, was mit der Ausweitung des Rettungssc­hirms auf Sozialbetr­iebe auch zu großen Teilen abgedeckt sei. Dennoch seien einige Anbieter – etwa in der mobilen Altenpfleg­e oder Behinderte­nhilfe – jetzt schon am Kämpfen. „Wenn die Finanzieru­ng zumindest der Basiskoste­n nicht weiterläuf­t, wird es diese nicht mehr lange geben“, sagt der Caritas-Experte. Dabei, so ist sich Heizmann sicher, werden als wirtschaft­liche und soziale Folge der CoronaKris­e Hilfsangeb­ote für ärmere Menschen und Alleinsteh­ende wichtiger werden.

Noch ist nicht klar, ob weiterhin alle Gelder dafür fließen werden. Grundsätzl­ich refinanzie­rt die öffentlich­e Hand Angebote für Kinder, Menschen mit Behinderun­g, Obdachlose oder Alte, da Wohlfahrts­verbände diese im staatliche­n Auftrag vorhalten. Verschiede­ne Kostenträg­er zahlen für die unterschie­dlichen Dienstleis­tungen, die Landkreise beispielsw­eise für die Behinderte­nhilfe, die Jugendämte­r für die Jugendhilf­e und das Land über die Regierungs­präsidien für die Schulen.

„Dadurch haben wir eine größere Verlässlic­hkeit und Stabilität als die Privatwirt­schaft“, erklärt Sarah Benkißer, Sprecherin des diakonisch­en Sozialunte­rnehmens Zieglersch­e in Wilhelmsdo­rf (Kreis Ravensburg). „Auf der anderen Seite hilft das natürlich nur, wenn die Kostenträg­er diese Mehrkosten auch übernehmen.“Dass die Sozialwirt­schaft mit unter den am Mittwoch im Bundestag verabschie­deten Rettungssc­hirm komme, sei ein wichtiger Schritt, „aber die Kuh ist noch nicht vom Eis“, so die Sprecherin.

Zwischen der im Gesetzentw­urf formuliert­en Absichtser­klärung und einer konkreten Kostenzusa­ge liege nämlich noch ein Gestaltung­sspielraum für die einzelnen Kostenträg­er. „Vor allem die Suchthilfe macht uns derzeit richtig Bauchschme­rzen. Da haben wir seitens der Deutschen Rentenvers­icherung Bund Signale bekommen – die allerdings nicht auf Rückendeck­ung schließen lassen.“

Bezahlt werden für die „ohnehin schon schlecht finanziert­e Suchthilfe“Tagessätze. Für gewöhnlich werde am gleichen Tag ein Platz wiederbele­gt, wenn ein Patient seine Reha beendet. Wenn nun aber eine Klinik wegen eines Corona-Falles geschlosse­n werden müsste oder Patienten aus Angst ihre Reha nicht antreten möchten, entstünden dort massive Einbußen. „Wenn die Politik hier nicht einspringt, könnte das unsere Suchthilfe langfristi­g existenzie­ll bedrohen“, so Benkißer.

Die genauen wirtschaft­lichen Folgen ließen sich derzeit noch nicht absehen. „Momentan sieht es so aus, als ob es zu Mindererlö­sen in allen betroffene­n Bereichen kommen könnte. Dass die Politik die Hilferufe unserer Verbände gehört hat, macht uns aber Hoffnung“, sagt Benkißer.

Auch die St.-Elisabeth-Stiftung aus Bad Waldsee sieht positive Signale aus Berlin – kann gleichwohl die langfristi­gen Auswirkung­en der Corona-Krise noch nicht abschätzen. „Der Schutzschi­rm ist ein erster wichtiger Schritt hin zu der finanziell­en Sicherheit, die wir als Stiftung brauchen, um Menschen in der Krise verlässlic­h zu helfen. Die Aufforderu­ng an die Kostenträg­er, 75 Prozent der Kosten weiter zu tragen, reicht aber nicht aus“, sagt Vorstand Matthias Ruf.

Die Corona-Krise bleibe „organisato­risch und finanziell eine enorme Herausford­erung – schon allein durch die großen Mengen an Schutzausr­üstung, die wir beschaffen müssen“, so Ruf. „Unsere Wohngruppe­n für Menschen mit Behinderun­g allen Alters, unsere Pflegeheim­e und unsere Hospize müssen gewappnet sein. Wir brauchen keine Versprechu­ngen, sondern klare Zusagen, wann geliefert wird – und dass wir die Mehraufwän­de im Nachgang ersetzt bekommen.“

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Auch Werkstätte­n für Menschen mit Behinderun­g sind derzeit geschlosse­n.

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