Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Wahl ohne Kampf
Anwärter auf den Münchner OB-Posten werben wegen der Corona-Krise unter widrigen Umständen um Stimmen
MÜNCHEN - Die Vorbereitungen für die Stichwahl in Bayern am Sonntag laufen. Auch in München wird gewählt – Amtsinhaber Dieter Reiter (SPD) und Herausforderin Kristina Frank (CSU) ringen um den Chefsessel im Rathaus. Aber: Die CoronaKrise hat Wahlkampf und Wahlkämpfer lahmgelegt, was die Abstimmung am Sonntag zu einer Wahl (fast) ohne Kampf macht.
Ein Anruf bei Roland Fischer, Vizechef der Münchner SPD und deren Wahlkampfleiter. Wie der Wahlkampf laufe? „Welcher Wahlkampf“, fragt Fischer zurück. Quasi mit dem Wahlsonntag am 15. März begann die Corona-Krise zu eskalieren. „Und jetzt können wir all das nicht mehr machen, was man üblicherweise unter Wahlkampf versteht“, sagt Fischer. Es gibt weder Infostände noch Flyer in den Briefkästen. Und auch die Plakate werden nicht überklebt. „Wir haben vergangene Woche neu plakatiert und wollten das jetzt eigentlich noch mal machen“, sagt Fischer. Doch infolge der Ausgangsbeschränkungen verzichte man darauf – „weil beim Plakatieren ja auch immer mehrere Personen gemeinsam unterwegs sind“.
Doch kann die Münchner SPD nicht nur zurzeit kaum Wahlkampf machen, sondern es fehlt ihr auch der Kandidat. „Dieter Reiter ist rund um die Uhr mit Corona beschäftigt“, sagt Fischer. „Ich bin selbst froh, wenn ich ihn kurz ans Handy bekomme oder wir uns Nachrichten schreiben können.“In Reiters Kalender stehe kein Wahlkampftermin.
Es ist fraglos eine unbefriedigende Situation. Dieter Reiter ist als OB aber derzeit omnipräsent in den Medien; überdies bietet ihm sein Amt aktuell reichlich Gelegenheit zur Profilierung. Und nicht zuletzt dürften sich in unsicheren Zeiten wie diesen auch viele nach Stabilität sehnen. Auf den Wahltag gemünzt: Wer sich Sicherheit wünscht, der macht sein Kreuzchen lieber beim Amtsinhaber.
„Ich denke, dass sich die Vor- und Nachteile in etwa die Waage halten“, sagt Roland Fischer. Seine größte Sorge ist, dass bei der Abstimmung am Sonntag, die als reine Briefwahl stattfindet, etliche SPD-Anhänger ihre Stimme nicht abgeben, „weil sie denken, dass es für Dieter Reiter ohnehin reicht“. Schließlich kam der Amtsinhaber im ersten Wahlgang auf 47,9 Prozent und holte mehr Stimmen als Kristina Frank (21,3 Prozent) und die Grünen-Kandidatin Katrin Habenschaden (20,7 Prozent) zusammen.
Entsprechend geht Reiter als Favorit in die Stichwahl – jedoch hat seine Gegnerin durchaus Erfahrung mit Überraschungen. Denn dass es die CSU-Frau überhaupt in die zweite Runde schaffen würde, hatten im Vorfeld nur wenige erwartet. Vielmehr gingen die meisten Prognosen von einem Reiter-Triumph im ersten Anlauf oder einem Duell mit Habenschaden aus, deren Grüne bei der Kommunalwahl stärkste Kraft im Stadtrat wurden. Doch im Kampf ums OB-Amt schob sich die 38-Jährige Frank an ihrer Rivalin vorbei.
Frank ist als Kommunalreferentin im Rathaus zurzeit ebenfalls mit der Corona-Pandemie beschäftigt. Zugleich führt sie aber eifrig Wahlkampf – im Internet. Hier biete sich „ein breites Betätigungsfeld“, sagt Frank Gübner, Geschäftsführer der Münchner CSU, der auf Videos, Online-Werbung, Fragerunden und andere Formate verweist. Mehrmals am Tag postet sie über ihre Social-Media-Kanäle, darunter ein Videotagebuch namens #KristiNAH bis hin zu einer OnlinePressekonferenz, bei der sie ihr 100Tage-Programm vorstellt.
Am Dienstag besuchte Ministerpräsident Markus Söder seine Parteifreundin und beantwortete mit ihr Bürgerfragen – im Facebook-Livestream und nicht analog wie bei Angela Merkel vor sechs Jahren. Damals freilich konnte auch die Unterstützung der Kanzlerin nicht verhindern, dass die CSU in der Stichwahl den Kürzeren zog: 56,7 Prozent der Münchner stimmten 2014 für Reiter.