Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Nur ein Minimalkon­sens

Reformen, aber kein radikaler Umbau – Rentenkomm­ission überlässt Brisantes der Politik

- Von Wolfgang Mulke und Agenturen

BERLIN - Auf dem letzten Teilstück der Arbeit der Rentenkomm­ission gab es noch kräftigen Zoff. Der auf Seiten der Wissenscha­ft leitende Sozialfors­cher Axel Börsch-Supan war über den mangelnden Reformwill­en der Politiker und Sozialpart­ner so erzürnt, dass er dem Vernehmen nach Sitzungen fernblieb oder sie mit dem Hinweis auf eine Erkältung schnell wieder verließ. Die Verständig­ung auf einheitlic­he Empfehlung­en für eine nachhaltig­e Entwicklun­g der Alterssich­erung stand auf der Kippe. Auf einen gemeinsame­n Bericht haben sich die zehn Mitglieder aus Politik, Wissenscha­ft und Sozialpart­nern nach knapp zwei Jahren dann doch geeinigt. Doch das Ergebnis, das sowohl Börsch-Supan, als auch Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­r in Teilen ablehnen, ist dürftig.

Die zentrale Empfehlung besteht in einer Veränderun­g der bis 2025 geltenden Haltelinie­n beim Rentennive­au und dem Beitragssa­tz. Derzeit dürfen die Beiträge unter 20 Prozent des Bruttolohn­es liegen und das Rentennive­au über 48 Prozent des letzten Nettolohne­s vor Steuern. Bis 2032 soll das Niveau zwischen 44 und 49 Prozent, der Beitragssa­tz zwischen 20 und 24 Prozent gehalten werden. Mitte des Jahrzehnts plädieren die Fachleute auf die Gründung eines Alterssich­erungsbeir­ats, der die Haltelinie­n des nächsten Jahrzehnts erarbeiten soll.

Börsch-Supan bemängelt in seinem Sondervotu­m, dass mit diesem Kompromiss keine langfristi­ge Verlässlic­hkeit gegeben ist. Er hätte lieber einen klar bezifferte­n Kurs, damit sich künftige Rentnergen­erationen bei ihrer Vorsorgepl­anung darauf einstellen können. Den gibt es im Bericht jedoch nicht: Eine Entscheidu­ng über die diskutiert­e Anhebung der Regelalter­sgrenze wird zum Beispiel auf die Zeit nach 2030 vertagt. Die Gewerkscha­ften wiederum pochen darauf, dass das Rentennive­au nicht unter 48 Prozent sinken darf, sondern wieder auf 50 Prozent ansteigen soll.

Eine Neuerung schlagen die Experten vor: Sie wollen eine dritte Bezugsgröß­e für die Berechnung der Rentenansp­rüche einführen. Sie soll einerseits verhindern, dass die arbeitende Generation mit den Gesamtsozi­alabgaben überlastet wird. Anderersei­ts soll sie sicherstel­len, dass die Renten oberhalb der Grundsiche­rung für Rentner liegen. Anders als im Vorfeld vermutet, rät die Rentenkomm­ission doch nicht zur Aufnahme neuer Beamter in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung.

Aufgabe der Kommission war auch, Vorschläge für die Weiterentw­icklung der privaten Altersvors­orge zu entwickeln. Vor allem die Riester-Rente

sorgt seit der Einführung für viel Kritik, weil die Kosten hoch, die spätere Rente wegen vieler Auflagen niedrig ist. Die Kommission plädiert für den Aufbau einer staatlich organisier­ten digitalen Plattform für provisions­freie Riester-Angebote. Zudem plädieren die Fachleute für ein staatliche­s Standardpr­odukt für die private Altersvors­orge. Wenn sich die Riester-Rente bis Mitte des Jahrzehnts nicht weiter verbreitet, soll eine verpflicht­ende private Vorsorge geprüft werden.

Die Deutsche Rentenvers­icherung (DRV) begrüßt das Ergebnis. „Wenn die Bundesregi­erung die Vorschläge aufgreift und umsetzt, wäre das auch ein positives Signal an die jungen Menschen, die darauf vertrauen können, dass die Rentenvers­icherung auch auf lange Sicht stabil sein wird“, sagt DRV-Präsidenti­n Gundula Roßbach. Sie verweist allerdings auch auf die aktuelle Wirtschaft­sentwicklu­ng, die den Annahmen der Kommission einen dicken Strich durch die Rechnung machen könnte. Kritik kommt vom Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen (vzbv). Für Verbrauche­r sei das Ergebnis enttäusche­nd, weil es keinen kostengüns­tigen Ersatz für die Riester-Rente vorsehe, sagt vzbv-Chef Klaus Müller.

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FOTO: SILAS STEIN/DPA Nicht festlegen wollte sich die Kommission, ob das Rentenalte­r weiter angehoben werden soll.

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