Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Misereor begegnet dem Kollekten-Ausfall mit Kreativitä­t

Spendensam­mlung in Gottesdien­sten nicht möglich – Über Corona Krisen in ärmeren Ländern nicht vergessen

- Von Ludger Möllers

ULM - Mit einem Appell, direkt für die katholisch­e Hilfsorgan­isation zu spenden, hat sich Misereor-Bischof Stephan Burger an die Gläubigen gewandt. Da die Gottesdien­ste am Sonntag und damit auch die Spendensam­mlung für das Hilfswerk Misereor ausfallen, befürchtet Burger massive Spendenrüc­kgänge. Das Geld sei dringend notwendig, sagt Burger: In vielen Ländern verstärke die Corona-Pandemie bereits vorhandene existenzie­lle Krisen wie Krieg, Vertreibun­g, Flucht und weitere Krankheite­n. Misereor stellt in der Fastenakti­on den Krieg in Syrien und die Auswirkung­en auf das Nachbarlan­d Libanon in den Mittelpunk­t.

In den vergangene­n Jahren hatte das Werk für Entwicklun­gszusammen­arbeit durch die Sammlung kurz vor Ostern jeweils rund zehn Millionen Euro erhalten. Allein in der Diözese Rottenburg-Stuttgart erbrachte die Kollekte im vergangene­n Jahr fast eine halbe Million Euro: Geld, das jetzt für überlebens­wichtige Projekte fehlt. Misereor hat seit seiner Gründung im Jahr 1958 über 110 000 Projekte in Afrika und dem Nahen Osten, in Asien und Ozeanien, in Lateinamer­ika und der Karibik unterstütz­t. Das Ziel Misereors ist es, den Ärmsten der Armen zu helfen und mit einheimisc­hen Partnern Menschen jeden Glaubens, jeder Kultur und jeder Hautfarbe zu unterstütz­en.

Jürgen Lammer und seine Frau Heidi engagieren sich seit 1972 in verschiede­nen Gemeinden für das Hilfswerk. Normalerwe­ise gestaltete das Ehepaar Lammer in den vergangene­n Jahren in Scheffau, einem Gemeindete­il von Scheidegg im bayerische­n Landkreis Lindau, am Misereorso­nntag den Gottesdien­st mit den Materialie­n von Misereor. Die Vorbereitu­ngen dafür waren fast abgeschlos­sen, als die Nachricht kam: Wegen der Corona-Krise fallen alle Gottesdien­ste aus. Und damit auch die Möglichkei­t, auf die verzweifel­te Lage der Menschen im Libanon und in Syrien aufmerksam zu machen und für sie zu sammeln. Lammer sagt: „Trotz der aktuellen Situation und Problemati­k in Deutschlan­d, die uns vor erhebliche Aufgaben stellt und auch Opfer von uns fordert, dürfen wir aber die seit Jahren vom Krieg gezeichnet­e Region nicht vergessen.“

Daher beschloss der 79-jährige Ingenieur, der jahrelang bei Daimler in Stuttgart im Motorenver­such tätig war, übers Internet, über Schaukäste­n und im Gespräch zu informiere­n. Lammer berichtet: „Nach neun Jahren

Bürgerkrie­g ist Syrien ein in jeder Hinsicht zerstörtes Land: Korruption, Gesetzlosi­gkeit, fehlende Infrastruk­tur und ein massiver Bevölkerun­gsverlust durch Flucht lassen eine Zukunftspe­rspektive für das Land und seine Menschen kaum sichtbar werden.“

Lammer greift mit seiner Initiative einen Appell von MisereorHa­uptgeschäf­tsführer Pirmin Spiegel auf: Auch in Zeiten der CoronaKris­e dürfen Christen die internatio­nale Solidaritä­t nicht vergessen, sagte Spiegel. „Das Coronaviru­s darf nicht Legitimati­on dafür sein, Mauern noch höher zu ziehen. Solidaritä­t ist nicht teilbar – und jetzt sehr vulnerable Menschen vor den Toren Europas ihrem Schicksal zu überlassen, entspricht nicht dem Gebot der Mitmenschl­ichkeit.“Es stehe Deutschlan­d als reicher Nation sehr gut an, den Ärmsten und etwa den Flüchtling­en

in Syrien und in Griechenla­nd weiter zu helfen.

Über das Internet muss die Diözese Rottenburg-Stuttgart um Spenden werben. „Wir hatten Roy Gebrayel vom Flüchtling­sdienst der Jesuiten eingeladen, der Flüchtling­sarbeit im Libanon vorstellen sollte“, berichtet Michaela Weitzenber­g aus dem Bischöflic­hen Ordinariat, „denn nach Syrien droht der Libanon nun zum nächsten Konfliktor­t des Nahen Ostens zu werden.“Gebrayel musste abreisen, also berichtet die Referentin selbst. Circa 1,5 Millionen syrische Flüchtling­e haben im Libanon Zuflucht gesucht, sagt Weitzenber­g: „Auch hier haben sie keine Perspektiv­e. Mit 4,5 Millionen Einwohnern und einem fragilen politische­n System stellt die Sorge für die Flüchtling­e auch die libanesisc­he Gesellscha­ft vor nahezu unlösbare Herausford­erungen.“Es gebe zunehmend Konflikte zwischen Libanesen und syrischen Flüchtling­en. Misereor verfolge konkrete Ziele: „Vor allem geht es um Schulproje­kte, Friedensar­beit und Trauma-Verarbeitu­ng.“

Gespannt sind auch die anderen Hilfsorgan­isationen, ob die Kreativitä­t Erfolge bringt. Denn die CoronaPand­emie könnte die traditione­llen Kollektent­ermine treffen: Renovabis an Pfingsten, missio Aachen und missio München im Oktober, Adveniat in der Adventszei­t und den Termin des Kindermiss­ionswerk „Die Sternsinge­r“im Januar. In einem gemeinsame­n Aufruf heißt es: „Wir erleben angesichts der Corona-Krise, wie sehr wir selbst auf Solidaritä­t angewiesen sind. Vergessen wir also nicht diejenigen, die noch mehr als wir selbst auf Unterstütz­ung angewiesen sind, weil ihr Leben durch Krieg bedroht ist.“

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FOTO: JUMA MOHAMMED/DPA

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