Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Exponentielles Wachstum
Wer diesen Begriff aus dem Mathematikunterricht vielleicht schon längst vergessen hatte, dem wird es nun fast täglich eindrücklich vor Augen gestellt. Eine Kurve mit zuerst langsamem Anstieg, die dann in die Höhe schnellt. Exponentielles Wachstum. So verbreitet sich das Virus in der Bevölkerung. Die Kurve „abzuflachen“ist das Ziel, indem wir Abstand halten. Ich bete und hoffe, dass diese Maßnahme hilft – und das weltweit!
Aber ich beobachte etwas, bei dem das exponentielle Wachstum ebenfalls eine Rolle spielt – und zwar eine sehr gute! Dieses Wachstum zeigt sich online oder auch im ganz realen Leben. „Am Sonntag ist Kinderkirche im livestream“lese ich, eine Musiklehrerin bietet auf YouTube Musikstunden für Kleinkinder an, täglich gibt es neue Andachten und Gottesdienste im Netz und an jedem Abend versammeln sich Menschen auf dem Balkon oder am Fenster:
Manche klatschen Beifall für die wunderbaren Leistungen der Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger, um 19 Uhr zünden wir eine Kerze an und beten gemeinsam gegen das Virus an und wie vielerorts singen wir in unserer Familie „Der Mond ist aufgegangen“. Dabei lauschen wir ganz anders und ganz neu auf so manche Zeile, wie „und unsern kranken Nachbarn auch“. Beim Spazierengehen kann man Regenbogen in den Fenstern entdecken – fröhliche Zeichen dafür, dass hier Kinder zuhause bleiben, um ihre Großeltern und so viele andere Menschen zu schützen. All diese Ideen werden weitergegeben und verbreitet, wachsen exponentiell zu etwas Gutem heran: dem Gefühl zusammenzugehören, füreinander da zu sein – in Angst vor der Krankheit und wirtschaftlicher Unsicherheit – auch wenn wir uns nicht umarmen können.
„Denn mich verlangt danach, euch zu sehen, damit ich euch etwas mitteile an geistlicher Gabe, um euch zu stärken, das ist, dass ich zusammen mit euch getröstet werde durch euren und meinen Glauben, den wir miteinander haben.“Das schreibt Paulus im Römerbrief an die Gemeinde, die in Rom auf ihn wartet (Röm 1,11f.). Dieses Gefühl teilen wir Pfarrerinnen und Pfarrer, Diakone, Gemeinde- und Pastoralreferentinnen und -referenten mit ihm. Auch uns fehlt der Kontakt zu den Gemeinden und deren Glaube, der uns ebenso trägt, wie wir die Gemeinden stärken. Denn nichts geht über die Begegnung im realen Leben. Und doch sind wir füreinander da im Gebet, teilen Ideen und gute Worte, die uns gegenseitig ermutigen. Möge dieses Bedürfnis, füreinander da zu sein, weiterhin wachsen – gerne exponentiell.
Um unsere Leser während der Corona-Krise zu stärken, erscheint an dieser Stelle ein
Evangelische und katholische Kirche schreiben abwechselnd ihre Gedanken auf.
wöchentlich Wort der Kirchen.