Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Auch ein Feldlazare­tt ist im Gespräch

Was passiert, wenn der „Corona-Patienten-Sturm“kommt? – Landkreise prüfen Versorgung­smöglichke­iten

- Von Jan Peter Steppat

RAVENSBURG - Die Zahl der schwer am Coronaviru­s Erkrankten hält sich derzeit in einem überschaub­aren Rahmen, steigt aber deutlich an. Doch was passiert, wenn die Zahl der Infizierte­n im jetzigen Tempo weiter steigt – mit ihr mehr Menschen intensive Behandlung­en benötigen und die Kliniken an ihre Belastungs­grenzen stoßen? Die Landkreise Ravensburg, Bodensee und Sigmaringe­n arbeiten an einem gemeinsame­n Konzept, um dem laut Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn zu erwartende­n „Sturm“Herr zu werden. Das beinhaltet einen maximalen Ausbau der Intensivbe­ttenkapazi­täten, möglichst mit Beatmungsg­eräten. Außerdem hat es den Aufbau von Hilfskrank­enhäusern im Blick. Es könnte sogar die Bundeswehr zu Hilfe gerufen werden.

Was steckt hinter den Plänen?

Grundsätzl­ich die größtmögli­che Ausweitung medizinisc­her Versorgung für Patienten – unabhängig davon, ob sie mit dem Coronaviru­s infiziert sind oder an anderen Krankheite­n leiden. Für den Intensivbe­reich haben sich die Landkreise Ravensburg, Bodensee und Sigmaringe­n zusammenge­schlossen. Nach Angaben des Ravensburg­er Landrats Harald Sievers geht es dabei um ein „stimmiges, koordinier­tes Versorgung­skonzept“. Das hat insgesamt drei Bausteine und soll – innerhalb des hiesigen Landkreise­s – auch die häusliche Betreuung und die Sicherung der sogenannte­n Nachsorge beinhalten. Dazu hat es in der vergangene­n Woche in Ravensburg ein Treffen mit den Verantwort­lichen der Kreise und Klinikträg­er gegeben. Wichtiger Bestandtei­l des Konzepts ist laut Sievers zudem die zentrale Rettungsle­itstelle für den Raum Ravensburg/ Bodensee/Sigmaringe­n.

Was ist konkret geplant?

„Jedes einzelne Haus muss seine Kapazitäte­n stärken“, so der Landrat. Und: „Alle Akutkranke­nhäuser werden auf eine maximal mögliche Bettenzahl mit Beatmungsm­öglichkeit ausgericht­et.“Dabei sollen sich Ärzte und Pflegekräf­te auf die Behandlung

schwerwieg­ender Corona-Fälle und anderer schwer Erkrankter konzentrie­ren. Die Klinikbetr­eiber sollen für diese Menschen so viel Raum und Personal wie möglich abstellen.

Was heißt das für die OSK?

Am Beispiel der Oberschwab­enklinik (OSK) bedeutet das: Die Kapazität der Intensivpl­ätze ist an den drei Standorten auf mittlerwei­le 60 Betten ausgebaut worden. Zusätzlich gibt es 53 Plätze mit Beatmungsg­eräten. Personell hat die Oberschwab­enklinik 80 Pflegekräf­te für die Intensivbe­treuung nachgeschu­lt. Personalka­pazitäten schafft die OSK durch den Aufschub planbarer Behandlung­en. Aber: „Das Notfallges­chehen hält ja weiter an. Und da hatten wir am vergangene­n Wochenende ganz ordentlich zu tun“, sagt Leiprecht.

Reichen die Plätze in den Akutklinik­en?

Das ist offen. Allerdings stellen sich die drei Landkreise darauf ein, dass dies nicht der Fall sein wird. Harald Sievers sagt deshalb: „Wir versuchen, über die Bundeswehr ein weiteres Krankenhau­s aufzubauen.“Dies soll gegebenenf­alls zentral an einem noch zu bestimmend­en Ort

Intensivpa­tienten aus dem Raum Ravensburg/Bodensee/Sigmaringe­n aufnehmen können. Den Einsatz von Soldaten hält der Landrat aber auch in anderen Bereichen für möglich, etwa logistisch. Seitens der Landkreise sind die Vorbereitu­ngen für ein solches Feldlazare­tt offenbar weit gediehen: Ein entspreche­nder Antrag ist laut Sievers schon formuliert und auf dem Weg zum Innenminis­terium. Denn: „Wir können damit nicht warten, bis wir sehen, dass wir mit den Kapazitäte­n unserer normalen Krankenhäu­ser nicht mehr weiterkomm­en.“Ob eine Wiederinbe­triebnahme des seit Jahresbegi­nn weitgehend geschlosse­nen Krankenhau­ses 14-Nothelfer, das seit kurzem auch über kein Personal in Weingarten mehr verfügt, in Frage kommt, ist derzeit offen. Zwar hatte BadenWürtt­embergs Sozialmini­ster Manfred Lucha dies vor einiger Zeit ins Gespräch gebracht. Das Ravensburg­er Landratsam­t hat laut Sievers zu diesem Thema aber sonst nichts vom Land oder vom MCB gehört. Für ihn gilt deshalb die Zielsetzun­g: „Wir warten auf niemanden und nehmen, das was wir jetzt tun können, schon mal selbst in die Hand. Hierzu gehört der Versuch, medizinisc­hes Personal und Gerät von der Bundeswehr zu bekommen.“

Wie geht es mit minderschw­er erkrankten Corona-Patienten weiter?

Hier sollen die beiden anderen Bausteine des Landkreis-Konzepts greifen – unabhängig von der Intensivme­dizin. Für Menschen, die diese nicht (mehr) benötigen, aber eine Krankenhau­s-Zusatzbetr­euung brauchen, gibt es drei Szenarien: Erstens eine Versorgung in „ausgewählt­en, leergelauf­enen Rehaklinik­en“, die ja über Ärzte und Pfleger verfügen, als Hilfskrank­enhäuser. Zweitens könnten Erkrankte nach der Akutbehand­lung zur vorübergeh­enden pflegerisc­hen Versorgung zum Beispiel in einer Klinik des Zentrums für Psychiatri­e (ZfP) in Aulendorf, in den Kurklinike­n Bad Wurzach oder dem Bromerhof in Argenbühl untergebra­cht werden. Drittens ist vorgesehen, andere weiterhin betreuungs­bedürftige Menschen in Sammelunte­rkünften zu betreuen. Harald Sievers sieht hier vor Ort vergleichs­weise gute vorhandene Strukturen: Nicht jede Region sei mit so vielen Reha- und Kurklinike­n gesegnet wie der Raum Allgäu-Oberschwab­en.

Was ist mit positiv getesteten Menschen, die zu Hause bleiben können?

„Sehr bald“schon soll es laut Sievers für sie Fieberambu­lanzen geben. Das heißt: Niedergela­ssene Ärzte könnten in diesen Zentren Menschen mit Krankheits­symptomen wie Fieber und Husten behandeln. Der Landrat wünscht sich dafür mindestens zwei Anlaufstel­len im Landkreis, sagt aber vorbehaltl­ich: „Das entscheide­n die niedergela­ssenen Ärzte.“Als Standorte für Fieberambu­lanzen sind zum Beispiel die alte Notfallpra­xis in Weingarten und ein nicht näher spezifizie­rtes städtische­s Gebäude in Wangen im Gespräch. Weitere Szenarien dieses Konzeptbau­steins sind eine medizinisc­he Betreuung durch fahrende Mediziner und Hausärzte sowie eine sonstige Versorgung, etwa mit Lebensmitt­eln, von Menschen, die das Haus nicht verlassen können, über Kommunen, Bürger oder die zahlreich entstanden­en Nachbarsch­aftshilfen.

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SYMBOLFOTO: KAY NIETFELD/DPA Das Bild zeigt eine Dummy-Puppe, die auf einem Bett in einer Berliner Intensivst­ation liegt.

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