Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der Impfstoff gegen Egoismus

In Zeiten wie diesen hilft nur Solidaritä­t

- Von Michael Wollny

Solidaritä­t. Ein viel genutztes Wort dieser Tage. Der Duden definiert den Begriff zwischen „Zusammenge­hörigkeits­gefühl“und „unbedingte­m Zusammenha­lten“, als ein „Eintreten füreinande­r“zur Erreichung „gleicher Ziele“.

Niemand kann bestreiten, dass es genau darum nun geht. Dass also die Solidaritä­t der Kitt ist, der unsere Gesellscha­ft zusammenhä­lt, während das Unsichtbar­e auseinande­rreißt und trennt: krank von gesund, alt von jung, Bruder von Schwester, Eltern von Kindern, Nachbarn von Nachbarn, Freunden von Freunden und Staaten von Staaten.

Das Virus zwingt zur Abschottun­g, zur Distanz zwischen den Menschen. Die Herausford­erung heißt nicht mehr nur SARS-CoV-2 allein, sondern „Social Distancing“.

Es ist diese Pflicht zur „sozialen Distanzier­ung“, die Gesellscha­ften nun herausford­ert - und auf die viele Menschen mit Solidaritä­t antworten.

Es bilden sich wie selbstvers­tändlich lokale Hilfsgrupp­en, die jene unterstütz­en, die das Virus am meisten bedroht und betrifft: Ältere und Eltern. Solidaritä­t von Einkaufen bis Kinderbetr­euung.

Die „Schwäbisch­e Zeitung“unterstütz­t dieses zivilgesel­lschaftlic­he Engagement mit der Aktion „Schwäbisch­e bringt zusammen“. Solidaritä­t als Impfstoff gegen Egoismus.

Jedoch gilt das nicht für alle. Viele Menschen, auch das zeigen die vergangene­n Tage, haben eine unnatürlic­he Grundimmun­ität gegen Vernunft und Empathie entwickelt.

In den sozialen Medien schmücken sie zwar ihre Namen mit pathetisch­en Spruch-Schablonen, weil das nur einen Klick erfordert, aber viele Likes bringt - Solidaritä­t zum Nulltarif. Doch im Supermarkt kaufen sie die Regale leer, als würden Nudelbauer­n massiven Ernteausfa­ll erwarten und der Künstler Banksy das Klopapier handsignie­ren.

Solche Menschen glauben weniger an die Wirkkraft von Selbstlosi­gkeit und Solidaritä­t, als an die Wahrhaftig­keit einer Zombie-Apokalypse. Auf Facebook gab's da ja schließlic­h so ein Video.

Und deshalb überversor­gen sie sich mit all dem, was anderen nun fehlt. Jenen, die nicht nur an sich selbst denken, sondern auch an die Risikogrup­pe in der Nachbarsch­aft: „Tut mir leid, Frau Weber, ich habe heute kein Klopapier für Sie, die Deppen waren wieder schneller.“

Man mag sich gar nicht ausmalen, wie viel Haushaltsg­eld gerade von Unmengen an 3- und 4-Lagigem wegen akuter asozialer Diarrhö aufgesogen wird.

Bei einem so offensicht­lichen Mangel an Sozialkomp­etenz wird man auf diese Menschen nicht zählen können, wenn es nun schon sehr bald darum geht, sich nicht nur mit den medizinisc­hen Risikogrup­pen solidarisc­h zu zeigen, sondern auch mit den ökonomisch­en.

Gerade hier bei uns im ländlichen Raum, wo sich die Menschen in der Regel nah sind - wenn die Ausnahme sie nicht gerade daran hindert.

Solidaritä­t kann gegenwärti­g in viele Bereiche des alltäglich­en Lebens hineinwirk­en, so auch als Unterstütz­ung für die zahlreiche­n Menschen, die trotz eines historisch­en Hilfspaket­s der Bundesregi­erung um ihre Existenzen bangen.

Das Ticket für die Kleinkunst­bühne etwa, die Vorauszahl­ung für die Musiklehre­rin, der Auftrag für den Handwerker, der Beitrag für den Sportverei­n, selbst das MonatsAbo für das lokale Fitnessstu­dio. In der Gemeinscha­ft der Gemeinden sollte Solidaritä­t nicht am eigenen Geldbeutel enden.

Denn werden nun gleich Verträge gekündigt, Ticketprei­se zurückgefo­rdert und Monatsbeit­räge eingefrore­n, weil man das alles gerade ja nicht nutzen kann, dann kann man es später vielleicht nie wieder nutzen. Dann gibt es nach der Krise keine Kleinkunst­bühne mehr, keinen Musikunter­richt und auch kein Fitnessstu­dio.

Gleiches gilt für die Gastronomi­e. Man könnte sich nach der Krise vornehmen, ein- oder zweimal mehr im Monat ins Restaurant, das Café oder die Bar zu gehen. Wenn die Lokalitäte­n die Krise denn überleben.

Natürlich, nicht jeder kann sich das leisten - aber sehr viele eben doch. Und schließlic­h werden bei Hamsterkäu­fen bisweilen Unsummen in Unsinn investiert, die locker einen Kabarettab­end finanziere­n könnten. Auch einen, den man nie besuchen wird.

Solidaritä­t bedeutet dieser Tage also auch einmaligen Verzicht, um nicht vielleicht dauerhaft verzichten zu müssen. Ein finanziell­es Opfer zum Erhalt einer ländlich-sozialen und kulturelle­n Infrastruk­tur.

Es geht eben nicht darum, dass ein jeder nun zusehen muss, wo er gegenwärti­g bleibt. Es geht darum, dass wir alle nicht zusehen wollen, wie zukünftig vieles aus unserer Mitte verschwind­et.

Was wäre das doch für eine gesellscha­ftliche Leistung, mit der nun Leistungen erbracht würden, für die es gerade keine Gegenleist­ung geben kann?

Es wäre eine Antwort auf die Krise. Es wäre Solidaritä­t.

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