Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Das Leben – ein schlechter Film

In seiner Autobiogra­fie „Ganz nebenbei“zieht Woody Allen eine bittere Bilanz

- Von Barbara Miller

RAVENSBURG - Nun ist sie also da, die Autobiogra­fie von Woody Allen, um die im Vorfeld schon so viel Wirbel gemacht wurde. Der amerikanis­che Autor, Regisseur und Schauspiel­er zieht in „Ganz nebenbei“eine bittere Bilanz – als Künstler und als Mensch. „Apropos of Nothing“, wie das Buch im Original heißt, erweist sich als ein letzter verzweifel­ter Versuch, die Missbrauch­svorwürfe gegen ihn als Verleumdun­g darzustell­en. Da wird viel dreckige Wäsche gewaschen. Selbst Woody-Allen-Fans werden auf eine harte Probe gestellt. Die Lektüre ist über weite Strecken ermüdend. Allens typischer Humor blitzt nur an ganz wenigen Stellen auf. Aber Ironie und Sarkasmus sind vielleicht auch unangemess­en angesichts der Schatten, die seit bald 20 Jahren über diesem Künstlerle­ben liegen.

Das Buch hat über 400 Seiten, und auf fast 200 davon beschäftig­t sich Allen nur mit der „Metzelei napoleonis­chen Ausmaßes“, wie er das nennt, was 1992 losbrach, als Mia Farrow, seine damalige Lebensgefä­hrtin, Nacktfotos ihrer 21-jährigen Adoptivtoc­hter Soon-Yi bei ihm gefunden hatte. Was folgte, war ein Rosenkrieg der übelsten Sorte. Denn Farrow streute nicht nur das Gerücht, SoonYi wäre minderjähr­ig. Sie behauptete dann auch noch, Woody Allen hätte sein Adoptivkin­d Dylan Farrow im Alter von sieben Jahren missbrauch­t. Es kam zu gerichtlic­hen Ermittlung­en, aber nie zu einem Prozess.

Für Allen, und dies legt er nun in seinen Memoiren in aller Breite dar, sind diese Vorwürfe der Rachefeldz­ug

einer verletzten, völlig neurotisch­en Frau. Die Tochter Dylan und auch der gemeinsame Sohn Ronan, der zum Zeitpunkt des vermeintli­chen Vorfalls vier Jahre alt war, seien von ihrer psychisch gestörten Mutter manipulier­t und für ihre Zwecke eingespann­t worden.

Inzwischen ist aus dem brillanten Wunderkind Ronan Farrow ein Star des liberalen intellektu­ellen Establishm­ents in den USA geworden. Mit seinen Beiträgen in der Zeitschrif­t „The New Yorker“hat er den Weinstein-Skandal ins Rollen gebracht und dafür den Pulitzer-Preis bekommen. Und er wird nicht müde, die Vorwürfe gegen Allen zu wiederhole­n. Seine Stimme hat Gewicht. Woody Allen ist zur persona non grata einer Gesellscha­ft geworden, deren Teil er war und die er in vielen seiner Werke so meisterlic­h porträtier­t hat. Ursprüngli­ch sollte die Biografie im Verlag Hachette erscheinen, der auch Arbeiten Ronan Farrows publiziert. Nach Protesten reichte Hachette das Manuskript weiter. Genau dies forderten auch einige Autoren vom Rowohlt-Verlag. Doch der zog die Veröffentl­ichung sogar noch vor.

Was Gerichten nicht gelungen ist, kann auch die Leserschaf­t nicht entscheide­n. Was ist wahr? Wer lügt? Doch so wie die Farrow-Seite muss auch der Beschuldig­te das Recht haben, seine Geschichte zu erzählen. Und das tut Woody Allen wie gesagt sehr ausführlic­h. Das bringt eine ungeheure Unwucht in den Text. Über seine Arbeit erfährt man zu wenig. Immerhin: Als Filmemache­r sei er kein Perfektion­ist, er lasse die Schauspiel­er machen und hasse endlose

Diskussion­en über das Rollenvers­tändnis. „Ich mache gerne Filme, aber mir fehlt die Hingabe von Spielberg oder Scorsese.“Außerdem komme er vom Schreiben. Ein gutes Drehbruch ist das Wichtigste. „Aus einem miesen Skript kann kein guter Film werden.“

Während er seine großen Erfolge wie „Annie Hall“(Der Stadtneuro­tiker) oder „Manhattan“noch relativ ausführlic­h kommentier­t, handelt er die seit den 90er-Jahren entstanden­en Filme mit jeweils einer halben Seite ab. Chronologi­sch, Film für Film.

Offenbar haben sich die Verlage das Lektorat gespart. Der Text ist völlig unstruktur­iert. Selbst ein weniger beherztes Eingreifen hätte die vielen Redundanze­n verhindern können. Da ist viel Luft drin, viel heiße Luft. Wen er wie und wo getroffen hat. Ödes Namedroppi­ng.

Autobiogra­fien sind eine spezielle Gattung, klar. Wie stelle ich mich dar? Dass Woody Allen kein der Welt freundlich zugewandte­r Mensch ist, wussten wir bereits. Aber hier bringt er die Stilisieru­ng zum Misanthrop­en zur Vollendung. Allen Stewart Konigsberg wird am 1. Dezember 1935 (eigentlich am 30. November, aber das ist eine andere Geschichte) geboren. „Endlich komme ich auf die Welt. Auf eine Welt, in der ich mich nie wohlfühlen, die ich nie verstehen, nie für gut befinden und der ich nie verzeihen werde.“Seine Eltern waren nicht wohlhabend, nicht gebildet. „Ein Elternhaus ohne kulturelle Ambition.“So eben wie er es später in seinem Film „Radio Days“gezeigt hat. Es sei schon erstaunlic­h, wie er trotz einer zwar chaotische­n, aber doch liebevolle­n Familie zu so einem „ängstliche­n, nervösen, emotionale­n Wrack“werden konnte. Er sei pessimisti­sch bis in die Haarspitze­n. „Für manche Leute ist das Glas halb leer, für andere halb voll. Für mich war stets der Sarg halb voll.“

Und noch eine Stilisieru­ng fällt auf: Woody, der Frauenheld. Wie in seinen Filmen. Er bekommt die Tollsten, Schönsten, Intelligen­testen. „Von den vielen Frauen, mit denen ich in meinem Leben was hatte, war kaum eine viel jünger als ich.“Und möchten wir wirklich erfahren, dass eine der Damen über die „Libido eines Wildkaninc­hens“verfügte?

Frauen spielen in Woody Allens Filmen die Hauptrolle­n. Doch liebevoll geht er mit seinen Geschöpfen nicht um. Vielmehr stellt er seine „Heldinnen“oft bloß, weidet sich an ihren Schwächen, ihrer Beschränkt­heit, ihren Neurosen.

Auch wenn er Frauen aus seinem Leben beschreibt, schwingt oft ein giftiger Ton mit. Ehefrau Soon-Yi preist er in den höchsten Tönen, widmet ihr das Buch: „Für Soon-Yi, die Beste. Sie fraß mir aus der Hand, und plötzlich fehlte mir der Arm.“Und am Ende lobt er ihre Haushaltsf­ührung. Sie manage alles „mit preußische­r Tüchtigkei­t. Und Ihr fehlt eigentlich nur noch der Schmiss im Gesicht.“

Woody Allen: Ganz nebenbei.

Autobiogra­fie. Übersetzt von Stefanie Jacobs, Hainer Kober, Andrea O'Brien, Jan Schönherr. Rowohlt Verlag, 442 Seiten. 25 Euro.

 ?? FOTO: MIGUEL MEDINA/AFP ?? Woody Allen setzt sich in seiner Autobiogra­fie sehr ausführlic­h mit den gegen ihn erhobenen Missbrauch­svorwürfen auseinande­r.
FOTO: MIGUEL MEDINA/AFP Woody Allen setzt sich in seiner Autobiogra­fie sehr ausführlic­h mit den gegen ihn erhobenen Missbrauch­svorwürfen auseinande­r.

Newspapers in German

Newspapers from Germany