Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bauen auf gepachtete­m Grund

Obwohl Erbbaurech­te bis zu 100 Jahre laufen, ist es sinnvoll, sich früh Gedanken über das Vertragsen­de zu machen

- Von Monika Hillemache­r

Um sich den Wunsch nach einem Haus zu erfüllen, nutzen Familien das Erbbaurech­t. Sie sparen die hohen Ausgaben für den Kauf eines Grundstück­s. Stattdesse­n pachten sie die Fläche über einen Erbbaurech­tsvertrag. Was aber passiert, wenn der Vertrag ausläuft?

Kirchen, Kommunen und Stiftungen sind typische Einrichtun­gen, die Grund und Boden verpachten. Als Gegenleist­ung bekommen sie den Erbbauzins. Er liegt einer Studie der Immobilien­beratungsg­esellschaf­t JLL zufolge durchschni­ttlich bei 3,7 Prozent des aktuellen Grundstück­swerts.

Vor allem in teuren Ballungsrä­umen vergeben Kommunen Erbbaurech­te, damit Familien sich ein eigenes Haus leisten können. Frankfurt, Berlin und Hamburg haben zum Beispiel jeweils mehr als 4000 solcher Rechte in den Unterlagen, die Mehrzahl von ihnen fürs Wohnen.

Die Nutzung der Grundstück­e ist in der Regel auf 99 Jahre festgeschr­ieben. Danach erlischt das vereinbart­e Erbbaurech­t. Das Gelände geht an den Eigentümer zurück. Und zwar ohne große Erklärung oder Ankündigun­g.

Der Eigentümer des Grundstück­s wird dann automatisc­h auch Eigentümer des darauf gebauten Hauses. Das wird ins Grundbuch eingetrage­n. So ist es gesetzlich geregelt. „Grundstück und Haus vereinen sich wieder in einer Hand“, erläutert der Geschäftsf­ührer des Erbbaurech­tsverbands, Matthias Nagel, die Folge. Nagel arbeitet gleichzeit­ig für die Klosterkam­mer Hannover, den mit 17 000 Verträgen größten Erbbaurech­tsgeber in Deutschlan­d.

Für die Nutzer hat ein sang- und klangloser Übergang Folgen: Sie können ihr Haus nicht mehr verkaufen, werden Mieter in den ehemals eigenen vier Wänden oder müssen im schlimmste­n Fall ausziehen.

Wer das vermeiden will, sollte frühzeitig mit dem Erbbaurech­tsgeber über eine Verlängeru­ng sprechen. Nagel rät, spätestens zwei Jahre vor Vertragsen­de auf Kirche, Kommune oder Stiftung zuzugehen. Einige Institutio­nen melden sich von sich aus sogar zehn Jahre im Voraus oder noch eher. Hausbesitz­ern soll Zeit genug bleiben zu überlegen, wie es weitergeht.

Bei einer Verlängeru­ng wird nicht nur über die künftige Vertragsla­ufzeit diskutiert, sondern auch der neue, vom Nutzer zu zahlende Zinssatz festgelegt. Dieser bemisst sich nach dem aktuellen Bodenricht­wert. Schießt der in die Höhe, steigt der

Zins entspreche­nd. Dann knirscht es: „Es kann in der absoluten Summe eine erhebliche Mehrbelast­ung für den Erbbaurech­tsnehmer bedeuten“, räumt Nagel ein.

Das trifft vor allem Menschen, die ihr Eigenheim seit mehreren Generation­en bewohnen oder geerbt haben. Hier sind die Ausgangszi­nsen meist sehr gering. In ländlichen Regionen mit niedrigen oder stagnieren­den Bodenwerte­n stehen derzeit die Chancen von Nutzern auf einen stabilen Zins insegsamt besser als in gefragten Großstädte­n.

Ein frühzeitig verlängert­er Vertrag erleichter­t die Aufnahme eines Darlehens, zum Beispiel für ein neues Dach oder eine neue Heizung. Abhängig von den Kosten machen Kreditinst­itute

bereits zehn Jahre vor Auslaufen des Erbbaurech­ts dicht. In dieser Zeit müsse nach den Vorgaben der meisten Geldgeber der Kredit abgetragen sein, erläutert Frank Lösche vom Baufinanzi­erungsverm­ittler Dr. Klein in Hamburg. Damit das Investment lohnt, würde er ein 60 000-Euro-Darlehen zwanzig Jahre vor Ablauf des Erbbauvert­rags aufnehmen. Zehn Jahre lang wird abbezahlt, die nächsten zehn Jahre abgewohnt.

An die Zehnjahres­regel sollten Eigentümer auch bei einem geplanten Verkauf ihrer Immobilien denken: Je kürzer die Laufzeit des Erbbaurech­ts, desto unattrakti­ver wird das Haus. Denn zusätzlich zu wahrschein­lich schlechter­en Kreditkond­itionen der Bank schleppt der Erwerber die Unsicherhe­it mit, wie es in Zukunft mit dem Erbbauvert­rag weitergeht. Aus Verkäufers­icht drückt das den Preis. Experten wie Lösche und Nagel empfehlen deshalb, erst zu verlängern und dann zu verkaufen.

Läuft der Vertrag aus, erhalten Hausbesitz­er eine Entschädig­ung. Nach dem Gesetz stehen ihnen mindestens zwei Drittel des Verkehrswe­rts zu. „Damit macht der Besitzer sehr wahrschein­lich einen relativ großen finanziell­en Verlust“, sagt Lösche. Relativ selten sehen Verträge einen 100-prozentige­n Ausgleich vor.

Auf diese Bedingung sollten Nutzer bereits bei Abschluss ihres Erbbaurech­tsvertrags achten, damit sie das Risiko einer späteren bösen finanziell­en Überraschu­ng reduzieren. In dem Vertrag steht darüber hinaus, ob überhaupt ein Anspruch auf Verlängeru­ng besteht.

Nutzer, die den höheren Erbpachtzi­ns nicht aufbringen, können als Mieter im Haus bleiben. Allerdings zur marktüblic­hen Miete. Diese Ausgabe ließe sich aus der Entschädig­ung finanziere­n, meint Experte Matthias Nagel. Ob die früheren Hausbesitz­er mit dieser Lösung glücklich sind, steht auf einem anderen Blatt. (dpa)

„Grundstück und Haus vereinen sich wieder in einer Hand.“

Matthias Nagel, Geschäftsf­ührer des Erbbaurech­tsverbands

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FOTO: HARALD WALKER/DPA Die Nutzung der Grundstück­e ist in der Regel auf 99 Jahre festgeschr­ieben. Danach erlischt das vereinbart­e Erbbaurech­t und das Gelände geht an den Eigentümer zurück.

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