Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Spät berufen
Vitus Graf von Waldburg-Zeil hat eine sehr bewegte Vita – Der ehemalige Unternehmensberater, Witwer und Vater von vier Kindern beginnt ein neues Leben als Priester
- Nein, richtig standesgemäß fährt er nicht vor. Der Kleinwagen osteuropäischer Provenienz will nicht recht zum illustren Namen seines Chauffeurs passen. Der entstammt einem der bekanntesten und ältesten süddeutschen Adelsgeschlechter. Andererseits passt seine fahrbare Kiste aber doch zu ihm. Denn Vitus Graf von Waldburg-Zeil ist das Gegenteil eines Jetset-Adligen. Er hat sein Leben lang gearbeitet, in unterschiedlichen Berufen, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Er hat den Arbeitgeber und den Wohnort oft gewechselt. Der 59-Jährige kann auf ein abwechslungsreiches, spannendes Berufsleben mit Höhen und Tiefen zurückblicken. „Mein Lebenslauf ist ein Riesenzickzack“, sagt er und lächelt dabei ein wenig – aber eher in sich hinein als hinaus. Glück und Unglück hat Vitus von Waldburg-Zeil auch im Privatleben erfahren. Seine Frau ist nach sehr langer Krankheit 2018 an Multipler Sklerose verstorben. Geblieben sind ihm vier erwachsene Kinder: Valerie, Benedikt, Antonius und Leopoldina. Sie leben in Berlin, München und Wien. Und für ihren Vater steht jetzt ein – aller Voraussicht nach – letzter Berufswechsel an: Am 11. Juli wird Vitus Graf von Waldburg-Zeil im Dom St. Eberhard in Stuttgart zum katholischen Priester geweiht werden.
Der Termin heute, das Gespräch mit einem Zeitungsmenschen, ist ihm eher unangenehm. Er möchte keinen Wirbel um seine Person machen, er möchte sich nicht in den Vordergrund drängen. Aber weil seine außergewöhnliche Geschichte früher oder später sowieso die Runde machen wird, hat er sich überzeugen lassen, dass es besser ist, quasi proaktiv die Öffentlichkeit zu informieren. Dazu hat ihm auch sein heutiger Begleiter geraten. Neben dem Kandidaten sitzt Erik Thouet. Er ist Diakon in Ravensburg-Weißenau, aber auch verantwortlich für die Ausbildung der Diakone in der Diözese RottenburgStuttgart. Die beiden Männer sind in etwa gleich alt, sie sind Freunde. Erik Thouet, das wird sich im Gespräch zeigen, hat durchaus eine Rolle gespielt beim Wunsch, beim Entschluss Waldburg-Zeils, Priester zu werden.
Der Graf strahlt eine freundliche Gelassenheit aus, obwohl ihm dieser Termin wahrlich nicht der allerliebste ist. An seinem grünen Janker ist links oben ein Kreuz angeheftet, darunter trägt der 59Jährige ein hellblaues Hemd, und die Beine stecken in einer hellbraunen Cordhose. Auf der Nase sitzt eine randlose Brille. Wenn er beim Kaffee aus seinem Lebenslauf erzählt, diesem „Riesenzickzack“, dann nimmt die Erzählung nach den ersten biografischen Stationen tatsächlich schnell Fahrt auf.
Am 17. März 1961 geboren in München, aufgewachsen mit vier jüngeren Geschwistern auf Schloss Syrgenstein im bayerischen Allgäu, Salvatorkolleg in Bad Wurzach, 1981 Abitur in Wangen im Allgäu – und schon wird es speziell. Es folgt nämlich die Militärzeit, aber nicht in Deutschland, sondern beim österreichischen Bundesheer. Vitus Graf von Waldburg-Zeil entstammt der Hohenemser Linie des Adelsgeschlechts, und Hohenems liegt heute in Vorarlberg. „Es gab eigentlich nie einen Grund, Deutscher zu werden“, sagt der Adelsmann, der – nebenbei bemerkt – auch eng mit der vergangenen Habsburger-Dynastie verwandt ist. 30 Jahre lang bleibt er Reserveoffizier, erst vor etwa vier Jahren ist er als Major „abgerüstet“worden, weil sich die Uniform nicht mehr mit seinem neuen Beruf als Diakon vertragen hat.
Zurück in die Jugendzeit: Er hat in Salzburg studiert, war, um ordentlich Französisch zu lernen, ein Jahr in Paris, dann verbrachte er noch ein Jahr am kalifornischen Stanford-University-Hospital, um Erfahrungen im Krankenhausmanagement zu sammeln, aber 1986 begann der Ernst des beruflichen Lebens in Deutschland. Direktionsassistent am Marienhospital in Stuttgart, Kliniksanierer, Unternehmensberater, Verwaltungsdirektor eines Krankenhauses in Freiburg. „Dort konnte ich dem Eunuchensyndrom entlaufen“, sagt er. Will heißen: Er musste jetzt beweisen, dass er auch die Praxis beherrschte. Seinen sarkastischfröhlich-selbstkritischen Humor hat sich dieser Graf bewahrt. Er ist dann noch Geschäftsführer eines Klinikums in Thüringen geworden, war wieder in einer Unternehmensberatung angestellt. 2004 hat er sich als Unternehmensberater selbstständig gemacht, und das blieb so bis 2012. Summa summarum: Es gab in seinem Leben berufliche Neuorientierungen in Fülle – im Guten, im Halbguten, im eher Schlechten. „Aber alles in allem ist es ja gut gelaufen“, sagt von Waldburg-Zeil.
Allerdings: Über dem Familienleben lag ein Schatten. 1990 hatte Vitus Graf von Waldburg-Zeil geheiratet, seine Frau Marie-Thérèse, eine Wienerin, stammte aus ungarischem Adel. Am 21. Dezember 1992, den Tag wird er nie vergessen, bekam seine Frau mit 27 Jahren die niederschmetternde Diagnose: Multiple Sklerose, eine unheilbare neurologische Erkrankung. Zwei Kinder waren zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Welt, 1995 und 1998 wurden die beiden jüngeren geboren. „Die ständige Sorge um die Familie“war nun Wegbegleiterin des umtriebigen Managers, vor allem, als seine Frau dann auf den Rollstuhl angewiesen war.
Im Jahr 2005, die Familie lebte seit drei Jahren in Bad Wurzach, fand Vitus Graf von Waldburg-Zeil eines Tages im Briefkasten einen Flyer mit der Aufforderung: „Werde Diakon!“. Eigenartigerweise hatte er einen ähnlichen Flyer Jahre zuvor in München schon einmal zugesteckt bekommen. Diesmal aber zündete der Funke. Im Sommer hatte die Familie die Mutter und Ehefrau ins Pflegeheim nach Starnberg bringen müssen. „Es war eine traurige Zeit“, sagt von Waldburg-Zeil im Rückblick. Möglicherweise hat sie den Entschluss, Seelsorger zu werden, beeinflusst.
Zusammen mit den Kindern besuchte Vitus Graf von WaldburgZeil an vier Wochenenden den Interessentenkurs fürs Diakonat in Heiligkreuztal. Dann war die Entscheidung gefallen. Im Fernstudium absolvierte er in rund 15 Monaten ein Grund- und Aufbaustudium der Theologie. „Vormittags habe ich gelernt, mich nachmittags um die Kinder gekümmert und am Wochenende meine Frau im Pflegeheim besucht.“Es sei nicht einfach gewesen, weil die Kinder halt auch in einem schwierigen Alter waren. „Aber dann hatte ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Abschluss mit einem Einser vor dem Komma“, sagt er, und ein wenig Stolz klingt schon mit. Insgesamt viereinhalb Jahre dauerte die Ausbildung. Im Jahr 2010 wurde Vitus Graf von Waldburg-Zeil in Zwiefalten zum Diakon geweiht. Die ganze Familie, auch seine Frau, feierten diesen Tag mit. Er war 49 Jahre alt und startete nun in sein nächstes Berufsleben.
„Man liefert sich mit der Weihe Christus und seiner Kirche aus“, sagt sein Freund Erik Thouet, um deutlich zu machen, wie einschneidend der Schritt ist. Vitus Graf von Waldburg-Zeil absolvierte noch eine Zusatzausbildung zum Krankenhausseelsorger, und im Juni 2012 wurde er hauptberuflicher Diakon, zunächst in Aulendorf, ab 2016 in Wangen im Allgäu. Zu 50 Prozent ist er Krankenhausseelsorger, die anderen 50 Prozent gehören der Seelsorgeeinheit Wangen. Ganz wichtig ist ihm die Armenfürsorge. Es kennzeichnet diesen Diakon, wie er Armenfürsorge und Menschenwürde unter einen Hut bringen möchte. Es gibt bei ihm keine Sachleistungen, sondern Bargeld – pro forma verbunden mit einem Darlehensvertrag. „Man wird natürlich betrogen, das ist klar, aber die müssen das dann mit dem Chef da oben ausmachen.“Der Daumen zeigt Richtung Himmel. Nettes Detail am Rande: „Der Einzige, der sein Geld zurückgezahlt hat, war ein syrischer Flüchtling“. Dann kommt noch so ein Satz, der das Verständnis von Eigenverantwortung und Menschenwürde dieses Seelsorgers schön beleuchtet: „Wenn einer von dem Geld Alkohol kauft, ist das seine Sache. Und wenn er dann am Abend seinen schönsten Rausch hat, ist das in Ordnung.“Andererseits habe er einmal zwei junge Männer ins Gefängnis gebracht, damit sie dort eine Ausbildung machen konnten, und die Aktion sei ein Erfolg geworden. „Wir müssen eine verbeulte Kirche sein, auch wenn Beulen wehtun.“
Am 3. April 2018 ist seine Frau verstorben. „Sie war geistig völlig klar, aber die letzten drei Jahre war kein Sprechen mehr möglich.“An Silvester 2018 hat der Wangener Pfarrer Claus Blessing den Witwer gefragt, ob er nicht Priester werden wolle. Auch andere haben ihm diese Frage gestellt. Also hat er, um Klarheit zu gewinnen, am Rande einer Feier Bischof Gebhard Fürst gefragt, ob die Priesterweihe eine Option für ihn sei: „Der Bischof hat nicht lang gezögert und Ja gesagt.“Und auch Erik Thouet hat den Freund bestärkt und ermuntert und sagt heute: „Mich hat das sehr berührt“.
Aber warum will ein 59-jähriger Diakon und Vater von vier Kindern noch katholischer Priester werden? Ist das eine Art Karriereschritt? „Nein“, sagt Vitus von WaldburgZeil, „eher eine Karriere nach unten.“Er strebt ganz einfach eine starke Verfügbarkeit für die Menschen an, und vor allem: „Es kommt mir wesentlich darauf an, dass wir die Sakramente in den Vordergrund bringen und feiern“. Die Eucharistie dürfe keine Pflichtveranstaltung sein, sondern „Kraftquelle unseres Seins“.
Selbstverständlich drängt sich auch die Zölibatsfrage auf. Ein Endfünfziger kann damit naturgemäß lockerer umgehen als ein junger Priesteramtskandidat, das sieht auch von Waldburg-Zeil so. Nebenbei: Als verwitweter Diakon dürfte er sowieso nicht wieder heiraten. Aber er ist überzeugt: „Es würde nichts verändern, wenn Priester auch heiraten dürften.“So wie das Eheversprechen sei auch der Zölibat eine Lebensentscheidung. Scheitern sei menschlich, aber wer scheitere, müsse halt jeweils die Verantwortung und die Konsequenzen tragen. Aus seinem künftigen zölibatären Leben als Priester resultiere „mehr Verfügbarkeit für die Menschen“, mehr Erreichbarkeit, mehr Ansprechbarkeit. Er sagt auch, dass es in Deutschland im Kern keinen Priester-, sondern einen „Gläubigenmangel“gebe. Eine „vita communis“, also ein Leben in Gemeinschaft mit anderen, strebe er an, ein offenes, freundliches Pfarrhaus. Erik Thouet ergänzt: „Es ist wichtig, dass Priester fröhlich sind, um Glaubensfreude weitergeben zu können.“
Wie haben seine Kinder reagiert? Als Vitus von Waldburg-Zeil bei einem Familientreffen im Libanon sagte: „Ich hab was Neues. Ich werde Priester“, habe es nach kurzer Verblüffung „ein großes Hurra“gegeben.
Am 11. Juli soll er voraussichtlich von Bischof Gebhard Fürst in Rottenburg die Priesterweihe empfangen, zusammen mit sieben Mitbrüdern. Die Primiz, seine erste heilige Messe, wird Vitus Graf von Waldburg-Zeil am 12. Juli in MariaThann bei Hergatz im Landkreis Lindau feiern. „Dort ist auch meine Frau beigesetzt.“