Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Dank Corona läuft es auf der Baustelle

- Von Rüdiger Sinn

Die Corona-Krise hinterläss­t leere Straßen, Ruhe und bei mir eine gewisse Gelassenhe­it, denn nun hab ich endlich weniger Termine. Die Baustelle ruhte in letzter Zeit ebenfalls sehr oft, denn es gab andere, gefühlt wichtigere „Baustellen“. Jetzt aber kann ich ran und es gibt keine Ausreden mehr: Versammlun­gen sind verboten, Vereinsakt­ivitäten ebenfalls und ins Kino gehen kann ich in Sigmaringe­n schon lange nicht mehr.

Vor knapp zwei Wochen ging es los mit den Einschränk­ungen und auch ich hab mich eingericht­et. Nein, ich kaufte kein Klopapier, aber auch keinen Rotwein und keine Kondome.

Vielmehr dachte ich an meine Baustelle. Ein wenig Bange wurde mir, als die Bundeskanz­lerin in den Anfangstag­en auf einer Pressekonf­erenz die Betriebe aufzählte, die alle dicht machen sollten. Ich vermisste bei ihren Ausführung­en damals explizit die Baumärkte, fand das dann aber irgendwo im Netz unter „Bau- und Gartenbaum­ärkte bleiben geöffnet“.

Beruhigt fuhr ich zu meinem ÖkoBaustof­fhändler nach Pfullendor­f, denn derzeit brauche ich Lehmputz. So geht es endlich voran. Oben im ersten Obergescho­ss klaffen nämlich erhebliche Lücken in der Wand, weil ich die Rigipsplat­ten mit Dämmung rückgebaut habe. Ganz nebenbei erzählt, habe ich etwa 500 kg Gipskarton­platten mit angeklebte­m Styropor

auf die Deponie gebracht, unverwertb­arer Restmüll.

Der Baustoffhä­ndler hatte geöffnet. „Wir machen diesen PanikWahns­inn nicht mit“, sagte er mir damals. Nur kurz hab ich mir überlegt, dass er womöglich in ein paar Tagen gar nicht mehr gefragt wird, ob er bei einer Ausgangssp­erre öffnen darf.

Obwohl ich einen Kalkputz an der Wand habe, hat mir der Baustoff-Experte für die klaffenden Flanken Lehmputz empfohlen. „Hält genauso gut als Unterputz“, sagt er. Und tatsächlic­h, der erdfeuchte Lehm mit Strohfaser­n als Armierung lässt sich ausgesproc­hen gut verarbeite­n und verbindet sich optimal mit dem Kalkputz. Wird er zu trocken, muss man ihn einfach wieder feucht machen, dann geht es weiter, ein komplett ökologisch­er Baustoff. Da ziemlich viele Lücken in der Wand sind, wird das noch eine Weile dauern. Darauf kommt dann die Innendämmu­ng.

Während ich oben arbeite, läuft nebenher Radio, so bin ich informiert. Die Kontaktspe­rre nehme ich hin, ich jedenfalls habe genügend zu Hause zu tun. Auch die KlopapierV­ersorgung funktionie­rt und so sehe ich auch eine Chance in der Krise. Endlich genügend Zeit für mich und die lieben Kinder zum Beispiel.

Mancherort­s drehen die wohl schon am Rad, weil Eltern eine Kontaktspe­rre mit einer Ausgehsper­re verwechsel­n. „Raus in die Natur“, wäre doch jetzt eigentlich die Devise, für alle, solange der Abstand zueinander besteht. Als wir klein waren und uns die Decke auf den Kopf gefallen ist, ist meine Oma mit uns in den Wald gegangen. Dieser Spielplatz war um ein Vielfaches größer und viel interessan­ter als ein popeliger normaler Spielplatz. Und als ich größer war, hab ich im Wald Hütten gebaut. Dank Corona-Krise kann ich mich um meine Eigenen jetzt wieder intensiver kümmern.

Rüdiger Sinn

kehrt zurück zu seinen Wurzeln. Knapp 30 Jahre war er weg, nun hat er sich an der Jägerstraß­e ein Haus gekauft und baut es mit eigener Kraft um. Der freie Journalist schreibt regelmäßig über den Umbau.

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