Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Dank Corona läuft es auf der Baustelle
Die Corona-Krise hinterlässt leere Straßen, Ruhe und bei mir eine gewisse Gelassenheit, denn nun hab ich endlich weniger Termine. Die Baustelle ruhte in letzter Zeit ebenfalls sehr oft, denn es gab andere, gefühlt wichtigere „Baustellen“. Jetzt aber kann ich ran und es gibt keine Ausreden mehr: Versammlungen sind verboten, Vereinsaktivitäten ebenfalls und ins Kino gehen kann ich in Sigmaringen schon lange nicht mehr.
Vor knapp zwei Wochen ging es los mit den Einschränkungen und auch ich hab mich eingerichtet. Nein, ich kaufte kein Klopapier, aber auch keinen Rotwein und keine Kondome.
Vielmehr dachte ich an meine Baustelle. Ein wenig Bange wurde mir, als die Bundeskanzlerin in den Anfangstagen auf einer Pressekonferenz die Betriebe aufzählte, die alle dicht machen sollten. Ich vermisste bei ihren Ausführungen damals explizit die Baumärkte, fand das dann aber irgendwo im Netz unter „Bau- und Gartenbaumärkte bleiben geöffnet“.
Beruhigt fuhr ich zu meinem ÖkoBaustoffhändler nach Pfullendorf, denn derzeit brauche ich Lehmputz. So geht es endlich voran. Oben im ersten Obergeschoss klaffen nämlich erhebliche Lücken in der Wand, weil ich die Rigipsplatten mit Dämmung rückgebaut habe. Ganz nebenbei erzählt, habe ich etwa 500 kg Gipskartonplatten mit angeklebtem Styropor
auf die Deponie gebracht, unverwertbarer Restmüll.
Der Baustoffhändler hatte geöffnet. „Wir machen diesen PanikWahnsinn nicht mit“, sagte er mir damals. Nur kurz hab ich mir überlegt, dass er womöglich in ein paar Tagen gar nicht mehr gefragt wird, ob er bei einer Ausgangssperre öffnen darf.
Obwohl ich einen Kalkputz an der Wand habe, hat mir der Baustoff-Experte für die klaffenden Flanken Lehmputz empfohlen. „Hält genauso gut als Unterputz“, sagt er. Und tatsächlich, der erdfeuchte Lehm mit Strohfasern als Armierung lässt sich ausgesprochen gut verarbeiten und verbindet sich optimal mit dem Kalkputz. Wird er zu trocken, muss man ihn einfach wieder feucht machen, dann geht es weiter, ein komplett ökologischer Baustoff. Da ziemlich viele Lücken in der Wand sind, wird das noch eine Weile dauern. Darauf kommt dann die Innendämmung.
Während ich oben arbeite, läuft nebenher Radio, so bin ich informiert. Die Kontaktsperre nehme ich hin, ich jedenfalls habe genügend zu Hause zu tun. Auch die KlopapierVersorgung funktioniert und so sehe ich auch eine Chance in der Krise. Endlich genügend Zeit für mich und die lieben Kinder zum Beispiel.
Mancherorts drehen die wohl schon am Rad, weil Eltern eine Kontaktsperre mit einer Ausgehsperre verwechseln. „Raus in die Natur“, wäre doch jetzt eigentlich die Devise, für alle, solange der Abstand zueinander besteht. Als wir klein waren und uns die Decke auf den Kopf gefallen ist, ist meine Oma mit uns in den Wald gegangen. Dieser Spielplatz war um ein Vielfaches größer und viel interessanter als ein popeliger normaler Spielplatz. Und als ich größer war, hab ich im Wald Hütten gebaut. Dank Corona-Krise kann ich mich um meine Eigenen jetzt wieder intensiver kümmern.
Rüdiger Sinn
kehrt zurück zu seinen Wurzeln. Knapp 30 Jahre war er weg, nun hat er sich an der Jägerstraße ein Haus gekauft und baut es mit eigener Kraft um. Der freie Journalist schreibt regelmäßig über den Umbau.